Viertes Kapitel.

[51] Besteht aus Besuchen.


Herr Jones war während des ganzen Tages in der Gegend eines gewissen Hauses und im Angesicht einer gewissen Thüre herumgeschlendert. Und obgleich dieser Tag einer der kürzesten war, so schien er ihm doch einer der längsten im ganzen Jahre zu sein. Als endlich die Glocke fünf geschlagen hatte, ging er wieder hin zu Madame Fitz Patrick, welche, ob es gleich eine ganze Stunde zur wohlanständigen Besuchzeit zu früh war, ihn sehr höflich empfing, dabei aber beständig auf ihrer Unwissenheit in Ansehung Sophiens beharrte.

Jones, wie er nach seinem Engel sich erkundigte, hatte sich das Wort Kousine entfallen lassen, worauf Madame Fitz Patrick sagte: »Sie wissen also, mein Herr, daß wir Verwandte sind? Diesem Verhältnis gemäß werden Sie mir das Recht einräumen, mich zu erkundigen, was für ein Geschäft Sie bei meiner Kousine auszurichten haben?« Hier stand Jones eine ziemliche Zeit bei sich an und besann sich, und antwortete endlich, er hätte eine ansehnliche Summe Geld in Händen, die ihr zugehörte und die er ihr zuzustellen wünschte. Er zog darauf das Taschenbuch hervor, benachrichtigte Madame Fitz Patrick von dem was es enthielte und von der Art und Weise, wie es in seine Hände gefallen wäre. Mit dieser Erzählung war er kaum zu Ende gelangt, als ein heftiges Getöse das ganze Haus erschütterte. Dieses Getöse denjenigen beschreiben zu wollen, die dergleichen gehört haben, wäre vergebens, und sich zu bestreben, denjenigen, die nichts Aehnliches gehört haben, davon eine richtige Idee zu geben, wäre noch vergeblicher, denn man kann mit Wahrheit sagen:


– – non acuta

Sic geminant Corybantes aera;


Cybeles Priester ließen nicht so laut ihre Cymbeln von Erz ertönen.[51]

Kurz, ein Livree- Bedienter klopfte oder vielmehr donnerte an die Thüre. Jones ward ein wenig stutzig über das Toben, weil er dergleichen nie vorher gehört hatte; Madame Fitz Patrick aber sagte ganz gelassen zu ihm, weil eben einige Gesellschaft ankäme, so könne sie ihm jetzt keine Antwort geben, wenn es ihm aber gefällig wäre, so lange zu warten bis solche wieder weg wäre, so, ließ sie sich merken, hätte sie ihm wohl etwas zu sagen.

Jetzt öffneten sich die Flügelthüren des Zimmers und die gnädige Frau von Bellaston, nachdem sie ihren weiten Reifrock seitwärts hereingeschoben, und erst eine sehr tiefe Verbeugung gegen Madame Fitz Patrick und hernach eine ebenso tiefe gegen Herrn Jones gemacht hatte, ward an der obern Seite des Zimmers aufs Kanapee zum Sitzen geführt.

Wir erwähnen dieser kleinen Umstände so genau zum besten einiger Landdamen von unsrer Bekanntschaft, welche es wider die Regeln der Bescheidenheit halten, ihre Kniee vor einer Mannsperson zu beugen.

Die Gesellschaft war kaum ruhig zum Sitzen gelangt, als die Ankunft einer kürzlich erwähnten Person, von den Ständen des Reichs, einen neuen Aufstand und eine Wiederholung der Zeremonien veranlaßte.

Nachdem diese geendigt waren, begann die Konversation (wie der Ausdruck lautet) außerordentlich brillant zu werden. Weil dabei inzwischen nichts vorfiel, das dieser Geschichte wesentlich, oder auch nur eigentlich an sich selbst wesentlich gewesen wäre, so vermeide ichs etwas davon anzuführen, um so mehr da ich aus Erfahrung weiß, daß die feinste Konversation im Ton der großen Welt oft sehr platt ausfällt, wenn sie in Büchern nachgeschrieben oder auf der Schaubühne hergesagt wird. Wirklich besteht ein dergleichen Gastmahl des Geistes aus solchen Leckerbissen, welche diejenigen, so von vornehmen Assembleen ausgeschlossen sind, sich begnügen müssen, ebensowenig kennen lernen, als die verschiedenen Leckerbissen der hohen französischen Kochkunst, welche bloß auf die Tafeln der Großen aufgesetzt werden. Weil auch in der That alle beide nicht für Jedermanns Geschmack zugerichtet zu sein pflegen, so möchten sie auch wohl beide an den großen Haufen oft ebensogut als verschwendet sein.

Der arme Jones war bei dieser eleganten Szene mehr Zuschauer als mitspielende Person, denn obgleich in der kurzen Zwischenzeit vor der Ankunft des hochgebornen Herrn Grafen erst die gnädige Frau von Bellaston, und hernach Madame Fitz Patrick ihre Reden an ihn gerichtet hatten, so war doch nicht so bald dieser vornehme Herr ins Zimmer getreten, als er die ganze Aufmerksamkeit der beiden Damen ganz allein verschlang, und da er den Herrn Jones[52] ebensowenig bemerkte, als ob er ganz und gar nicht zugegen gewesen, ausgenommen wenn er ihn von Zeit zu Zeit vom Kopf bis zu den Füßen mit den Augen maß, so folgten die beiden Damen seinem Beispiele.

Die Gesellschaft war nun schon solange beieinander gewesen, daß Madame Fitz Patrick ganz deutlich merkte, ein jeder von ihnen wollte der letzte zum Weggehen bleiben. Sie entschloß sich sonach, sich Herrn Jones zuerst vom Halse zu schaffen, weil er der Besuch war, mit welchem sie nach ihrer Meinung die wenigsten Umstände zu machen hätte. Sie nahm also bei einem kleinen Stillstande des Gespräches die Gelegenheit wahr, ihn anzureden und sagte zu ihm mit einer sehr feierlichen Miene: »Es wird mir heute abend nicht möglich sein, mein Herr, Ihnen in Ihrer Angelegenheit eine Antwort zu erteilen, wenn Sie aber so gütig sein wollen, ein Wort zur Nachricht zurückzulassen, wohin ich morgen nach Ihnen schicken kann –«

Jones hatte natürliche, aber keine künstliche Lebensart. Anstatt also das Geheimnis von seiner Wohnung einem Bedienten mitzuteilen, sagte er es der Länge und Breite nach der Dame selbst und beurlaubte sich kurz darauf mit vielen Zeremonien. Er war nicht so bald zur Thür hinaus, als der große vornehme Herr, der ihn in seiner Anwesenheit gar nicht bemerkt hatte, anfing, ihn in seiner Abwesenheit destomehr zu bemerken. Allein wenn uns der Leser bereits entschuldigt hat, daß wir ihm den brillantern Teil der Konversation nicht erzählt haben, so wird er gewiß auch sehr geneigt sein, uns zu entschuldigen, wenn wir das unerzählt lassen, was eigentlich nach gemeiner Art Nackenschläge heißen kann. Inzwischen mag es vielleicht für unsre Geschichte wesentlich sein, daß wir einer Bemerkung der Frau von Bellaston erwähnen, welche ein paar Minuten nach ihm ihren Abschied nahm und beim Weggehen zu Madame Fitz Patrick sagte: »In Ansehung meiner Kousine bin ich überzeugt, daß sie von diesem Menschen keine Gefahr zu befürchten hat.«

Unsre Geschichte soll dem Beispiele der Frau von Bellaston folgen und sich von der gegenwärtigen Gesellschaft beurlauben, die sich jetzt verringert hatte bis auf zwei Personen, unter welchen nichts vorfiel, was im geringsten unsern Leser oder uns anginge, und wodurch wir uns also nicht abhalten lassen werden, zu solchen Dingen überzugehen, die allen denjenigen von größerer Wichtigkeit zu sein scheinen müssen, welche sich nur im geringsten für die Begebenheiten in unsrer Geschichte interessieren.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 51-53.
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