Zwölftes Kapitel.

[88] Schließt das dreizehnte Buch.


Der elegante Lord Shaftesbury legt irgendwo seine Mißbilligung gegen das Sagen zu vieler Wahrheiten an den Tag, woraus man die Folge ziehen kann, daß in gewissen Fällen Lügen nicht nur zu entschuldigen, sondern sogar löblich sind.

Und unstreitig hat niemand einen wohlbefugteren Anspruch auf diese löbliche Abweichung von der Wahrheit, als Frauenzimmer, wenn von Liebessachen die Rede ist. Und sie können sich dabei auf die Belehrung, die Erziehung, und besonders auf die Sanktion, oder vielmehr auf den Zwang der eingeführten Gewohnheit berufen, wodurch sie abgehalten werden, nicht sowohl den ehrlichen Trieben der Natur nachzugeben (das wäre ein zu thörichtes Verbot), sondern dies Nachgeben zu gestehen.

Wir schämen uns sonach keineswegs, es zu sagen, daß unsre Heldin jetzt den Vorschriften des obengenannten hochgeborenen vizegräflichen Philosophen folgte. Da sie völlig überzeugt war, daß ihre gnädige Tante über Jones' Person in Unwissenheit sei, so entschloß sie sich, diese Unwissenheit zu unterhalten, wenn es ihr auch ein wenig Flunkern kosten sollte.

Jones war noch nicht lange zur Thüre hinaus, als die ehrsame Tante anfing: »Auf mein Wort, ein artiger, hübscher, junger Mensch, ich möchte wissen, wer er sein mag, denn ich erinnere mich nicht, sein Gesicht vorher gesehen zu haben.«

»Ich auch nicht, gnäd'ge Tante,« sagte Sophie. »Das muß ich sagen, in Ansehung meiner Banknote hat er sich sehr artig betragen.«[88]

»Allerdings, und es ist ein sehr hübscher Mann,« sagte die ältere Dame, »meinen Sie nicht auch?«

»Ich habe eben nicht viel Achtung auf ihn gegeben,« antwortete Sophie, »aber es kam mir doch so vor, als ob er ein wenig zu steif und gezwungen wäre.«

»Außerordentlich richtig bemerkt!« rief die Bellaston. »Man kann es seinen Manieren ansehen, daß er noch in keine guten Gesellschaften gekommen ist. Ja, ungeachtet er Ihnen Ihr Geld wiedergebracht hat und kein Findelohn haben wollte, so zweifle ich doch fast, daß er ein Edelmann sei. – Wohlgeborene Personen, wie ich immer bemerkt, haben einen gewissen Anstand, den andre niemals annehmen können. – Ich glaube, ich thue am besten, wenn ich Ordre gebe, daß ich für ihn nicht zu Hause bin.«

»Aber gewiß, gnädige Frau,« antwortete Sophie, »der Verdacht, sollt' ich meinen, fiele weg nach dem was er gethan hat! – Zudem, wenn Ihro Gnaden ihn beobachtet haben, war in seinen Reden so eine Eleganz, so eine gewisse Feinheit und Artigkeit im Ausdruck, daß – daß –«

»Ich gestehe,« sagte die Bellaston, »seine Worte weiß der Mensch zu setzen. – Und wirklich, Sophie, Sie müssen mir's verzeihen, in der That, Sie müssen.«

»Ich? meine Gnädige, Ihnen verzeihen!« sagte Sophie.

»Ja, im Ernste, das müssen Sie,« antwortete sie lachend; »denn ich hatte einen abscheulichen Argwohn, als ich zuerst ins Zimmer trat – ich wiederhol' es, Sie müssen's verzeihen, aber ich argwöhnte, es wäre wirklich der Herr Jones.«

»Das argwöhnten Sie wirklich?« versetzte Sophie, indem sie errötete und sich zum Lachen zwang.

»Ja, ich versich're Sie's in allem Ernste,« erwiderte sie. »Ich weiß selbst nicht, wie mir's einfallen konnte, denn, mag das übrige sein wie es will, so ist doch so viel wahr, daß der Mensch recht hübsch gekleidet ging, und das, meine liebe Sophie, ist, wie ich glaube, wohl eben nicht oft der Fall mit Ihrem Freunde.«

»Dieser Scherz,« sagte Sophie, »ist ein wenig unbarmherzig, gnädige Tante, nach dem Versprechen, das ich Ihnen gegeben habe.«

»Ganz und gar nicht, liebes Kind,« sagte die ältere Dame. – »Vorher wohl wäre er's gewesen. Aber nachher, da Sie versprochen haben, sich ohne Ihres Vaters Einwilligung nicht zu verheiraten, welches, wie Sie wissen, ebensoviel heißt, als nicht weiter an Jones zu denken, können Sie doch sicher einen kleinen Spaß über eine Leidenschaft vertragen, die einem jungen Mädchen auf'm Lande noch verzeihlich genug war, von der Sie mir aber sagen, daß Sie sie völlig besiegt haben. Was muß ich denken, meine teure Sophie, wenn Sie nicht einmal einen kleinen Scherz über seine Kleidung vertragen können? Ich muß wirklich besorgen, daß es sehr weit mit Ihnen gekommen sei, und zweifle fast, ob Sie ganz aufrichtig gegen mich gewesen sind.«

»In der That, Ihro Gnaden,« erwiderte Sophie, »Sie versteh'n[89] mich unrecht, wenn Sie meinen, daß ich seinetwegen im geringsten empfindlich geworden bin.«

»Seinetwegen?« antwortete die ältere Dame. »Sie müssen mich unrecht verstanden haben, meine Anmerkung ging nicht weiter als auf seine Kleidung, denn ich wollte Ihrem Geschmacke durch gar keine andre Vergleichung einen Vorwurf machen. – Ich glaube nicht, meine teure Sophie, wenn Ihr Herr Jones solch ein Mensch gewesen wäre, als dieser –«

»Ich dachte,« sagte Sophie, »Ihro Gnaden hätten ihm zugestanden, daß er hübsch sei.« –

»Wem? ich bitte!« rief die Dame hastig.

»Herrn Jones!« antwortete Sophie, – und indem sie sich gleich darauf besser besann – »Herrn Jones! Nein, nein! Ich bitte um Vergebung, dem Fremden wollte ich sagen, der eben hier war.«

»O Sophie! Sophie!« rief die Dame, »dieser Herr Jones, fürcht' ich, steckt Ihnen noch immer im Kopfe.«

»Also auf meine Ehre, meine Gnädige,« sagte Sophie, »versich're ich Sie, Herr Jones ist mir ebenso völlig gleichgültig, als der fremde Herr, der uns eben verlassen hat.«

»Auf meine Ehre,« sagte die Bellaston, »ich glaube es. Verzeihen Sie mir also einen kleinen Scherz; aber ich verspreche Ihnen, ich will seinen Namen niemals wieder nennen.«

Und hierauf gingen die beiden Damen auseinander, zum unendlich größeren Vergnügen Sophiens als der Bellaston, welche ihre Nebenbuhlerin gerne noch ein wenig länger gepeinigt hätte, wenn sie nicht durch wichtigere Angelegenheiten abgerufen worden wäre. Was Sophien anbelangt, so war ihr Gemüt über diesen ersten Versuch im Betrügen nichts weniger als ruhig über den sie, als sie in in ihrem Zimmer allein war, mit Reue und innerlicher Beschämung nachdachte. Auch konnte sie nicht einmal die besondere Schwierigkeit ihrer Lage, oder die Notwendigkeit des Falles, in Ansehung ihrer Aufführung mit ihrem Gewissen aussöhnen, welches viel zu zart war, den Gedanken zu ertragen, daß sie sich einer Falschheit schuldig gemacht habe, so sehr sie auch die Umstände entschuldigen möchten. Und dieser Gedanke gestattete ihr nicht, die ganze folgende Nacht nur ein einziges Mal die Augen zuzuthun.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 88-90.
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