Drittes Kapitel.

[235] Ein sehr kurzes Kapitel, in welchem gleichwohl eine Sonne, ein Mond, ein Stern und ein Engel vorkommen.


Die Sonne hatte sich schon seit einiger Zeit (denn um diese Jahrszeit ist sie fast ganz bürgerlich) zur Ruhe begeben, als Sophie sehr erquickt von ihrem Schlaf aufstand, welcher, so kurz er war, dennoch durch nichts als durch ihre außerordentliche Ermattung hätte veranlaßt werden können; denn ob sie gleich ihrer Kammerjungfer gesagt hatte, als sie Upton verließ, und sie es auch vielleicht selbst glauben mochte, sie sei völlig ruhig, so ist doch nichts gewisser, als daß ihre Seele ein wenig von der Krankheit angegriffen war, die von allen unruhigen Symptomen eines Fiebers begleitet wird und vielleicht gerade diejenige Unpäßlichkeit ist, welche die Aerzte meinen (wofern sie etwas meinen!), wenn sie von einem Nervensieber sprechen.

Madame Fitz Patrick verließ um eben die Zeit gleichfalls ihr Bett. Sie klingelte ihrer Jungfer und kleidete sich unverweilt an. Sie war wirklich ein sehr hübsches Frauenzimmer, und in jeder andrer als Sophiens Gesellschaft möchte man sie für schön gehalten haben. Allein als Jungfer Honoria aus eignem Antrieb ihre Aufwartung machte (denn ihre Gebieterin wollte nicht, daß man sie wecken sollte) und unsre Heldin hatte fertig ankleiden helfen, ging[235] es den Reizen der Madame Fitz Patrick, die das Amt eines Morgensterns verrichtet hatte und der Vorläufer eines größern Glanzes gewesen war, ebenso, wie es diesem Stern zu gehen pflegt, das heißt, sie wurden völlig verdunkelt, als der größere Glanz hervortrat.

Vielleicht hatte Sophie niemals schöner ausgesehen, als eben zu dieser Stunde. Wir müssen also die Magd im Wirtshause wegen ihrer Hyperbel nicht verdammen, welche, als sie das Feuer angemacht hatte und wieder herunter kam, erklärte und mit einem Eide beteuerte, wenn es einen Engel auf Gottes Erdboden gäbe, so wäre er gewiß oben im Zimmer.

Sophie hatte ihre Kousine mit ihrem Vorsatze, nach London zu gehen, bekannt gemacht, und Madame Fitz Patrick hatte sich erklärt, sie dahin zu begleiten; denn die Ankunft ihres Eheherrn zu Upton hatte ihr Vorhaben, nach Bath, oder zu ihrer Tante Western zu gehen, vereitelt. Sobald sie also mit ihrem Thee fertig waren, that Sophie den Vorschlag, weiterzugehen, weil der Mond eben gar helle schien und ihr das bißchen Frost sehr willkommen war. Sie fühlte auch gar keine von den Aengstlichkeiten, welche manches junge Frauenzimmer vor dem Nachtreisen gefühlt haben möchte; denn sie besaß, wie wir vorhin schon bemerkt haben, einen kleinen Grad von natürlicher Herzhaftigkeit, und diese ward durch ihre gegenwärtige Gemütsverfassung, die fast nahe an Verzweiflung grenzte, um ein merkliches vermehrt. Da sie überdem schon bei diesem Mondscheine mit aller Sicherheit gereist war, so war sie dadurch um so dreister geworden, es auch zum drittenmale zu wagen.

Madame Fitz Patrick war von furchtsamerem Gemüt: die größere Angst hatte zwar die geringere besiegt und die Gegenwart ihres Gemahls hatte sie zu einer so unzeitigen Stunde aus Upton getrieben; jetzt aber wirkte diese geringere Furcht vor ich weiß nicht was, jetzt, da sie an einen Ort gelangt war, woselbst sie sich vor seinen Verfolgungen völlig sicher hielt, bei ihr so stark, daß sie ihrer Kousine aufs dringendste anlag, sie möchte doch bis den nächsten Morgen verweilen und sich nicht den Gefahren des Nachtreisens aussetzen.

Sophie, welche bis zum Uebermaß gefällig war, gab endlich dieser Aengstlichkeit nach, als sie sah, daß sie solche ihrer Kousine weder ausreden noch auslachen könnte. Vielleicht möchte es schwerer gehalten haben, sie zu dieser Einwilligung zu bringen, wenn sie Nachricht von ihres Vaters Ankunft zu Upton gehabt hätte; denn, was den Herrn Jones betrifft, so möchte ihr wohl, wie ich besorge, der Gedanke, daß er sie einholen könnte, keinen so großen Abscheu verursachen; ja, wenn ich die Wahrheit gestehen soll, so glaub' ich,[236] wünschte sie das mehr, als daß sie es fürchtete, ob ich gleich diesen Wunsch bei aller meiner Ehrlichkeit dem Leser hätte verhehlen können, da es eine von jenen geheimen, unfreiwilligen Bewegungen der Seele war, mit denen die Vernunft oft nichts zu schaffen hat.

Nachdem die jungen Damen beschlossen hatten, die Nacht über in dem Wirtshause zu bleiben, machte ihnen die Wirtin ihre Aufwartung, um zu erfahren, was die gnädigen Damen zum Abendessen befehlen möchten. Solcher Zauber lag in der Stimme, in den Manieren und in dem leutseligen Betragen Sophiens, daß sie die Wirtin bis zum höchsten Grade entzückte, und daß die gute Frau, welche nicht anders meinte, als sie habe der Jenny Cameron aufgewartet, wie man eine Hand umkehrt, eine eifrige Jakobitin ward, und der Sache des Prätendenten alles beste anwünschte, wegen der großen Sanftmut und Leutseligkeit, womit ihr von seiner vermeinten Geliebten begegnet worden war.

Die beiden Kousinen fingen nunmehr an, sich einander ihre wechselseitige Neugierde zu gestehen, um zu erfahren, was für außerordentliche Zufälle auf beiden Seiten diese so sonderbare und unerwartete Zusammenkunft verursacht hätten. Als endlich Madame Fitz Patrick von Sophien ein Versprechen erhalten hatte, daß sie in ihrer Reihe gleichfalls erzählen wolle, begann sie dasjenige mitzuteilen, was der Leser, wenn ihn darnach verlangt, ihre Geschichte zu wissen, im folgenden Kapitel lesen kann.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 235-237.
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