Erstes Kapitel.

[223] Ein Knochen für die Kritiker.


Man ist vielleicht der Meinung, als wären wir in unserm letzten Einleitungskapitel dem furchtbaren Haufen von Männern, genannt Kritiker, nicht mit aller geziemenden Ehrfurcht begegnet, indem solche von den Autoren eine gar große Unterthänigkeit zu erheischen und wirklich auch mehrenteils zu erhalten gewohnt sind. Wir wollen demnach in diesem hier unsre Verfahrungsgründe gegen diese hochansehnliche Zunft beibringen, und werden solche vielleicht hier in einem Lichte darstellen, in welchem sie bisher noch nicht betrachtet worden ist. Das Wort Kritik ist griechischer Abstammung, und will soviel sagen als urteilen; daher vermute ich, haben einige Personen, welche die Ursprache nicht verstanden und die Uebersetzung des Stammworts allein merkten, geschlossen, es bedeute Urteil im juristischen Sinne, wo es gar oft als gleichbedeutend mit Verurteilung gebraucht wird.

Ich bin um so mehr geneigt, diese Meinung anzunehmen, als seit einigen Jahren die meisten Kritiker unter den Juristen angetroffen werden. Viele von diesen Herren haben, aus kleingläubiger Verzweiflung vielleicht, daß sie wohl nicht so bald auf eine bürgerliche[223] Gerichtsbank zu sitzen kommen möchten, sich auf die Bänke des Parterres im Schauspielhause gesetzt, woselbst sie ihre richterliche Gewalt ausgeübt, und ihre Urteile abgegeben, das heißt, ohne Gnad und Barmherzigkeit verurteilt haben. Es möchte diesen Herren vielleicht so unbehaglich eben nicht sein, wenn wir's bei dieser Vergleichung mit einem der wichtigsten und ehrenvollsten Aemter in der bürgerlichen Gesellschaft bewenden ließen; und wenn wir gemeint wären, um ihre Gunst und Gewogenheit zu werben, so würden wir das wirklich thun. Da wir aber des Vorhabens sind, nicht nur sehr aufrichtig, sondern auch sehr verständlich mit ihnen zu reden, so müssen wir sie hier an einen andern Justizbeamten von weit niedrigerm Range erinnern, mit welchem sie gleichfalls eine entfernte Aehnlichkeit haben, insofern sie nicht nur verurteilen, sondern auch selbst ihre Urteile zur Vollstreckung bringen.

In der That gibt es aber noch ein ander Licht, in welches die neueren Kritiker mit vieler Gerechtigkeit und Schicklichkeit gestellt werden mögen, und zwar in das Licht eines gemeinen Ehrenschänders. Wenn ein Mensch, welcher die Charaktere anderer Leute durchsichtet und durchspäht, in keiner andern Absicht, als um ihre Fehler zu entdecken und solche öffentlich der Welt bekannt zu machen, den Namen eines Ehrenschänders oder eines Räubers des guten Namens der Menschen verdient, warum sollte nicht ein Kritiker, welcher in ebenderselben hämischen Absicht liest, nicht eben so ziemender Weise ein Ehrenschänder oder ein Räuber des guten Namens der Bücher genannt werden?

Das Laster hat, wie ich glaube, keinen verworfenern Sklaven, die bürgerliche Gesellschaft kann kein häßlicheres Ungeziefer aufweisen, und der Satan selbst kann keinen würdigern, vielleicht auch keinen angenehmern Gast in seiner Wohnung aufnehmen, als einen Ehrenschänder. Ich fürchte, die Welt betrachtet dies Ungeheuer nicht mit halb dem Abscheu, welchen es verdient, und noch mehr fürchte ich mich, die Ursache von dieser unverantwortlichen Gelindigkeit gegen dasselbe zu entwickeln; so viel ist aber gewiß, daß ein Dieb, mit ihm verglichen, fast unschuldig erscheint; ja selbst der Mörder reicht nur sehr selten an seine Verbrechen; denn Verleumdung ist eine grausamere Waffe als ein Schwert, und die Wunden, welche die erste schlägt, sind allemal unheilbar. In der That gibt's nur eine Art zu morden, und zwar die feigste und verabscheuteste von allen, welche eine genaue Aehnlichkeit mit dem Laster hat, wogegen hier deklamiert wird, und das ist das Vergiften; ein Mittel sich zu rächen, das so niederträchtig und doch so gräulich ist, daß es die alten Gesetze mit vieler Weisheit durch eine ganz besonders strenge Strafe vor allen übrigen Mordthaten auszeichneten.[224]

Zu dem fürchterlichen Unheil, welches die Verleumdung anstiftet, und zu der Niederträchtigkeit der Mittel, durch welche sie wirkt, kommen noch andere Umstände, welche ihre scheußlichen Eigenschaften noch verdammenswürdiger machen; denn oft handelt der Ehrenschänder, ohne im geringsten gereizt zu sein, und selten verspricht er sich irgend einigen Lohn, es sei denn, daß gewisse schwarze und höllisch gesinnte Gemüter den Gedanken für Belohnung halten können, andrer Menschen Untergang und Elend bewirkt zu haben.

Shakespeare hat dieses Laster vortrefflich gemalt, wenn er sagt:


Who steals my Gold steals Trash, 'tis something, nothing;

'Twas mine, 'tis his, and hath been Slave to Thousands:

But he who filches from me my good Name,

Robs me of that which not enriches him,

But makes me poor indeed.


Wer mein Gold stiehlt, stiehlt Spreu; etwas und nichts;

Was mein war, wird sein; von Tausenden war's schon Sklav.

Hingegen er, der meinen guten Leumund wegnimmt,

Beraubt mich des, was ihn um nichts bereichert,

Mich aber wirklich arm macht.


Mit diesem allen werden ohne Zweifel meine Leser einverstanden sein; vieles davon wird aber nach aller Wahrscheinlichkeit für zu streng geachtet werden, wenn es auf den Ehrenschänder der Bücher angewendet wird. Hier aber muß man in Betrachtung ziehen, daß beide Mißhandlungen aus einerlei schändlicher Gemütsart entspringen, und beide keine Versuchung von außen zu ihrer Entschuldigung anführen können. Wir werden auch nicht länger glauben, daß eine auf diesem Wege zugefügte Beleidigung nicht eben viel zu bedeuten habe, wenn wir die nahe Verwandtschaft eines Schriftstellers mit seinem Buche betrachten, indem es wirklich für ein Kind seines Verstandes zu achten ist.

Derjenige Leser, welcher bis daher seiner Muse nachgesehen hat, im strengsten jungfräulichen Stande hinzuleben, kann nur eine sehr unvollkommene Idee von dieser Art väterlicher Zärtlichkeit haben. Bei diesem dürfen wir füglich die zärtliche Ausrufung des Mackduff wiederholen: Ach Freund, du hast kein Buch geschrieben! Der Mann aber, dessen Muse Mutter geworden ist, wird das Rührende dieser Worte tief in seiner Seele fühlen; vielleicht begleiten mich seine Zähren (vorzüglich, wenn sein Liebling nicht mehr am Leben wäre), wenn ich der Unbequemlichkeiten erwähne, mit welchen seine schwangere Muse die Bürde bis zur Reife trägt, der schmerzhaften Wehen, mit welchen sie solche zur Welt bringt, und endlich der zärtlichsten Sorgfalt,[225] womit der liebriche Vater seinen Liebling nährt und pflegt, bis er ihn soweit erzogen, daß er ihn in der Welt produzieren kann.

Auch gibt es unter allen Arten väterlicher Zärtlichkeit keine, die weniger eine Wirkung des reinen Instinkts wäre, und welche sich so gut mit der philosophischen Weisheit reimen ließe, als diese. Denn diese Kinder kann man mit höchster Wahrheit ihres Vaters Reichtum nennen, und viele von ihnen haben mit wahrer kindlicher Liebe ihren Vater in seinem hohen Alter ernährt; dergestalt, daß nicht nur die Liebe, sondern auch der zeitliche Vorteil eines Schriftstellers durch diese Ehrenschänder, deren giftiger Hauch die Blüte seines Buchs versengt, fast unersetzlich beeinträchtigt wird.

Endlich ist der Ehrenschänder eines Buchs auch wirklich ein Schänder der Ehre seines Verfassers; denn, sowie man niemand einen Bastard nennen kann, ohne zugleich seine Mutter Hure zu schelten, so kann auch niemand von einem Buche sagen, es sei dummes Zeug, scheußlicher Unsinn und dergleichen, ohne den Verfasser einen Dummkopf zu heißen. Dies Schimpfwort ist nun freilich im moralischen Sinne nicht so arg als Schelm oder Spitzbube, ist aber seinem zeitlichen Vorteile vielleicht weit schädlicher.

So spaßhaft alles dieses dem einen und dem andern scheinen mag, so zweifle ich doch nicht, wird es andre geben, welche davon die Wahrheit fühlen und eingestehen; ja welche sogar glauben mögen, ich habe die Sache noch nicht mit der erforderlichen Feierlichkeit behandelt. Ich denke aber immer, man könne auch triftige Wahrheiten mit lächelnder Miene sagen. In der That ist es eine sehr boshafte Beschäftigung, wenn man ein Buch hämischer oder auch nur leichtsinnigerweise als schlecht verschreit; und ein sauersehender, schnarchender Kritikus verdient nach meiner Meinung den Verdacht, daß er ein böser Mensch sei.

Deshalb will ich es in den noch übrigen Seiten dieses Kapitels versuchen, die Züge dieses Charakters auseinanderzusetzen und zu zeigen, was für einer Gattung von Kritik ich gern das Handwerk legen möchte. Denn niemand, ausgenommen eben diejenigen Menschen, welche hier gemeint werden, kann mich so verstehen, als hielte ich dafür, es gäbe gar keine befugte Richter in der gelehrten Republik, oder als ginge mein Bestreben dahin, alle jene edlen Kunstrichter, deren Bemühungen die gelehrte Welt so viel zu verdanken hat, aus dieser Republik zu verbannen. Dergleichen Kunstrichter waren Aristoteles, Horaz und Longin unter den Alten, Dacier und Bossu unter den Franzosen, und einige andere unter den übrigen Nationen, welche allerdings die gerechteste Befugnis hatten, eine richterliche Gewalt in foro litterario auszuüben.

Ohne aber alle erforderlichen Eigenschaften eines Kunstrichters,[226] die ich schon anderwärts berührt habe, zu bestimmen, meine ich, ganz kühnlich den Tadel eines jeden Menschen verwerfen zu dürfen, womit er über Werke herfährt, die er selbst nicht gelesen hat. Kritiker von diesem Schlage, sie sprechen nun aus eigener Vermutung oder Verdacht, oder nach dem Bericht und der Meinung anderer, fallen mit Recht unter das Urteil: daß sie den Büchern, welche sie verdammen, verleumderischerweise die Ehre abschneiden.

Dieses Urteil zu verdienen sind gleichfalls alle diejenigen verdächtig, welche, ohne besondere Fehler anzuzeigen, ein Buch in allgemeinen und entehrenden Ausdrücken verurteilen, als da sind elend, dumm, unsinnig Zeug und dergleichen; und besonders, wenn sie sich des vornehmen Schimpfworts pöbelhaft bedienen; ein Wort, welches sich in dem Munde keines Kritikers schickt, der nicht wenigstens hochwohlgeboren ist.

Ferner, wenn auch in einem Buche hin und wieder Fehler zu finden sein möchten, so verrät es doch, wofern solche nicht die wesentlichsten Stücke des Buches selbst angreifen, oder wenn sie durch größere Schönheiten ersetzt sind, vielmehr die Bosheit eines Verleumders, als wahres Kunsturteil eines Kritikers, wenn er über das Ganze bloß wegen einiger mangelhaften Teile ein strenges Urteil fällt. Ein solches Verfahren ist Horazens Vorschrift schnurstracks zuwider:


Verum ubi plura nitent in carmine, non ego paucis

Offendor maculis, quas aut incuria fudit,

Aut humana parum cavit natura –


Wo viel, viel schönes im Gedichte glänzt,

Beleidigen mich kleine Fehler nicht,

Die etwa Kinder der Sorglosigkeit,

Wie! oder leichter Menschenschwachheit sind.


Denn, wie Martial sagt: aliter non fit avite Liber, so sind noch alle Bücher gemacht. Alle Schönheit eines Charakters sowohl, als einer Gestalt, und überhaupt aller menschlichen Dinge, muß nach dieser Weise geprüft werden. Grausam würde es sein in der That, wenn ein solches Werk, wie diese Geschichte, zu dessen Verfertigung einige tausend Stunden verwendet sind, deswegen sollte verurteilt werden können, weil irgend ein Kapitel, oder vielleicht einige Kapitel so beschaffen sein können, daß sich mit Recht und Vernunft daran etwas aussetzen ließe, und doch ist nichts gewöhnlicher, als daß die allerstrengsten Urteile über Bücher sich auf solche Ausstellungen gründen, welche, wenn sie für nichts mehr und weniger genommen würden, als was sie sind, (das geschieht aber nicht immer) dem Verdienste des Ganzen nicht das geringste benehmen. Auf dem Theater[227] besonders ist ein einziger Ausdruck, der nicht gerade nach dem Geschmacke der Zuschauer, oder nur eines oder des andern Kritikers unter den Zuschauern gewählt ist, sicher ausgezischt zu werden, und schon ein Auftritt, welcher keinen Beifall findet, setzt das ganze Stück in Gefahr. Sich mit seinem Schreiben nach solchen strengen Regeln einzuschränken ist ebenso unmöglich, als nach den Meinungen einiger finstern Schwärmer zu leben, und wenn wir nach den Vorschriften einiger Kritiker und einiger Christen urteilen, so wird kein Schriftsteller in dieser, und kein Mensch in jener Welt der Verdammnis entrinnen.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 223-228.
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