Siebentes Kapitel.

[28] Voll solcher ernsthafter Materie, daß der Leser das ganze Kapitel hindurch nicht ein einziges Mal lachen kann, es sei denn, daß er über den Autor lachen wollte.


Als Hannchen vor Herrn Alwerth erschienen, nahm Herr Alwerth sie mit in seine Schreibstube und redete mit ihr folgendermaßen:

»Gutes Kind, Sie weiß es, als einer Magistratsperson steht es in meiner Macht, Sie für das was Sie gethan hat sehr strenge zu bestrafen, und Sie fürchtet vielleicht, daß ich mich dieser Gewalt um so eher bedienen werde, weil Sie gewissermaßen Ihre Sünde vor meine Thüre gelegt hat.

Doch das ist vielleicht eine von den Ursachen, die mich bewegen, mit Ihr auf eine mildere Art zu verfahren: denn da Privatrache niemals den geringsten Einfluß auf einen Richter haben soll, so will ich den Umstand, daß Sie ihr Kind in meinem Hause niedergelegt hat, so wenig als eine Vergrößerung Ihres Vergehens ansehen, daß ich vielmehr zu Ihrer Entschuldigung annehmen will, Sie habe dies aus natürlicher Liebe zu Ihrem Kinde gethan; weil Sie dabei einige Hoffnung haben konnte, es auf dieser Art besser versorgt zu sehen, als es Ihr selbst oder seinem gottlosen Vater möglich war. Ich würde in der That sehr auf Sie er zürnt gewesen sein, wenn Sie das kleine verlassene Geschöpf, nach Art der unnatürlichen Mütter, welche mit ihrer Keuschheit ihr mütterliches Gefühl zugleich verleugnet zu haben scheinen, weggelegt hätte. Dieserwegen will ich Ihr nur wegen des Teils Ihres Vergehens die nötigen Weisungen geben, welcher in der Verletzung Ihrer Keuschheit besteht. Ein Verbrechen, das so gering es auch von liederlichen Personen geachtet werden mag, schon an sich selbst sehr schändlich in seinen Folgen, aber sehr fürchterlich ist.

Die Schändlichkeit dieses Vergehens muß jedem Christen hinlänglich deutlich sein, um so mehr, da es den Gesetzen unserer Religion schnurstracks entgegen begangen wird und das ausdrückliche Gebot dessen übertritt, der diese Religion gründete. Und hier ist es nicht zu leugnen, daß seine Folgen mit Recht für fürchterlich angesehen werden können; denn was kann fürchterlicher sein, als[28] durch Uebertretung eines göttlichen Gebots Gottes Ungnade auf sich zu ziehen und zwar in einem Fall, wo die strengste Strafe ausdrücklich an das Gebot geheftet ist.

Doch diese Betrachtungen, so sehr ich besorgen muß, daß man ihrer zu wenig achte, sind so natürlich und auffallend, daß sie keiner besonderen Einschärfung bedürfen. Mag es also mit dieser kurzen Erinnerung genug sein, um Ihr eigenes Nachdenken über diese Materie zu erwecken; denn meine Absicht ist, Sie zur Reue zu bringen, nicht aber zur Verzweiflung zu treiben.

Es ergeben sich noch andere Folgen, die freilich nicht so fürchterlich und schrecklich sind, als diese; und welche doch, wenn man sie genau betrachtet, nach meiner Meinung alle Menschen, wenigstens aber Personen Ihres Geschlechts, von Begehung dieses Lasters abschrecken sollten.

Denn Ihr werdet dadurch ehrlos gemacht und gleich den ehemaligen Aussätzigen unter den Juden aus der menschlichen Gesellschaft verbannt. Wenigstens könnet Ihr keinen andern Umgang haben, als mit bösen Menschen, weil ehrsame Personen Euch in ihrer Gesellschaft nicht dulden.

Wenn Ihr eigenes Vermögen habt, so werdet Ihr dadurch unfähig gemacht, desselben auf eine angenehme Weise zu genießen. Habt Ihr keins, so werdet Ihr dadurch verhindert, welches zu erwerben, ja nur Euch Euren Unterhalt zu verschaffen; denn niemand von unbescholtener Ehre will Euch in sein Haus aufnehmen und so werdet Ihr oft von der Not selbst in einen Stand von Schande und Elend hineingezwungen, der sich unvermeidlicherweise mit dem Verderben beides, Leibes und der Seele, endigen muß.

Kann man irgend ein Vergnügen als einen Ersatz für diese Uebel ansehen? kann irgend eine Versuchung mit aller ihrer Sophisterei und Täuschung beredt genug sein, Euch zu einem so einfältigen Tausche zu bewegen? oder kann irgend ein Gelüsten des Fleisches Eure Vernunft dergestalt überwältigen und so völlig übertäuben und dadurch verhindern, daß Ihr nicht mit Schrecken und Abscheu vor einem Laster fliehet, dem solche Strafen auf dem Fuße folgen.

Wie niedrig und kriechend muß das Frauenzimmer denken, welches jene Würde der Seele und jenen anständigen Stolz nicht fühlt, ohne welchen wir des Namens menschlicher Geschöpfe nicht wert sind; die es ertragen kann, mit dem niedrigsten Tier in Einer Klasse zu stehen; die alles das, was groß und edel ist, ihren ganzen himmlischen Teil einem Gelüsten aufopfern kann, welches sie mit den niedrigsten Tieren der Schöpfung gemein hat! Denn Leidenschaft der Liebe wird doch sicherlich kein Weib als Entschuldigung[29] anführen wollen! Das hieße gestehen, daß sie sich bloß für eine Puppe und für ein Spielzeug der Männer achtete. Liebe, in so barbarischem Sinne wir auch immer die Meinung dieses Wortes nehmen mögen, ist an und für sich eine vernünftige und löbliche Leidenschaft und kann niemals ohne gegenseitig zu sein, gewaltthätig werden. Denn obgleich die Schrift uns gebietet, unsere Feinde zu lieben, so versteht sie darunter doch nicht jene innige Liebe, die wir natürlicherweise gegen unsere Freunde hegen; viel weniger daß wir ihnen unser Leben und, was uns noch teurer sein muß, unsere Unschuld aufopfern sollen. In was für einem Licht kann nun ein vernünftiges Frauenzimmer den Mann betrachten, welcher in sie dringt, alles das Elend, was ich oben beschrieben habe, ihm zu Gefallen über sich zu ziehen und ihm also auf ihre zu große Unkosten ein kurzes, gemeines und verächtliches Vergnügen zu erkaufen? kann Sie ihn anders betrachten als ihren Feind? Denn nach den Gesetzen der Gewohnheit fällt die ganze Schande nebst allen ihren fürchterlichen Folgen allein auf die weibliche Seite. Kann Liebe, welche allemal das Beste des geliebten Gegenstandes sucht, ein Frauenzimmer zu einem Handel verleiten wollen, der so völlig zu ihrem Nachteile ist? Wenn ein solcher Verführer also so unverschämt sein sollte, eine wirkliche Liebe zu ihr vorzugeben, sollte das Frauenzimmer ihn nicht billig nicht nur als einen Feind, sondern als den ärgsten aller ihrer Feinde, für einen falschen, ränkevollen, betrügerischen Heuchelfreund ansehen, der nicht nur ihren Körper, sondern auch ihren Verstand zu verführen und zu verderben trachtet?«

Hier zeigte Hannchen große Reue und Herr Alwerth, nachdem er einige Minuten stillgeschwiegen fuhr folgendergestalt fort:

»Ich habe Ihr dies sagen wollen, gutes Kind, nicht um Ihr das, was geschehen, unwiderruflich geschehen ist, vorzurücken, sondern Sie auf die Zukunft zu warnen und zu stärken. Und auch diese Mühe würde ich mir nicht gegeben haben, wenn ich nicht einigermaßen eine gute Meinung von Ihrem Verstande hätte, ungeachtet des fürchterlichen Fehltritts, den sie begangen hat; und wenn ich nicht einige Hoffnung zu Ihrer herzlichen Reue hätte, die ich auf die Offenherzigkeit und Aufrichtigkeit Ihres Geständnisses gründe. Wenn ich mich darin nicht irre, so will ich sorgen, Ihr von dieser Schaubühne Ihrer Schande weg und an einen Ort zu verhelfen, wo Sie als unbekannt die Strafe vermeiden kann, welche, wie ich gesagt habe, auf Ihr Verbrechen in dieser Welt folgt; und ich hoffe, durch aufrichtige Reue werde Sie das viel drückendere Urteil von sich ablehnen, was darüber für jene Welt verkündigt ist. Führe Sie sich in Zukunft gut auf, Kind, so soll Sie kein Mangel wieder[30] auf eben die Abwege verleiten; und glaube Sie mir, schon in dieser Welt ist mehr Freude bei einem unschuldigen und tugendhaften Wandel als bei einem liederlichen und lasterhaften Leben.«

»Was Ihr Kind betrifft, so laß Sie sich darüber keinen Gedanken beunruhigen; ich will dafür auf eine bessere Weise sorgen, als Sie nur hoffen kann. Und nun bleibt nichts weiter übrig, als daß Sie mir bekenne: wie der böse Mann heißt, der Sie verführt hat? Denn mein Unwille gegen diesen wird weit größer sein, als Sie bei dieser Gelegenheit gegen sich selbst erfahren hat.«

Hier erst hub Hannchen die Augen von der Erde in die Höhe und begann mit bescheidenem Blick und ehrerbietiger Stimme wie folgt:

»Sie zu kennen, bester Herr Alwerth, und ihre menschenfreundliche Güte nicht zu lieben, wäre ein Beweis von gänzlichem Mangel an Verstand und Güte des Herzens bei jedermann. Bei mir aber würde es die höchste Stufe von Undankbarkeit anzeigen, wenn ich von dem hohen Grade der Güte, welche Sie bei dieser Gelegenheit auszuüben geruhet haben, mich nicht tief im Innersten meines Herzens gerührt fände. Ich weiß, Sie ersparen mir die Schamröte, Ihnen meine Reue über das Vergangene nochmals zu wiederholen. Meine künftige Aufführung wird meinen Vorsatz viel besser zu Tage legen, als alle meine Versprechungen, die ich hier thun könnte. Erlauben Sie mir, gnädiger Herr, Sie zu versichern, daß mir Ihre Vermahnung tiefer ans Herz gegangen ist, als das großmütige Erbieten, womit Sie solche beschlossen haben. Denn, wie Sie zu sagen belieben, sie ist ein Beweis, daß Sie von meinem Verstande eine gute Meinung haben.« –

Hier hielt sie ein paar Minuten inne, weil ihre Thränen häufig herabrollten und fuhr dann weiter fort:

»Wirklich, gnädiger Herr, Ihre Güte überwältigt mich; aber ich will streben, diese gütige Meinung zu verdienen; denn wenn ich den Verstand besitze, den Sie so gütig sind, mir zuzutrauen, so können solche Warnungen bei mir nicht verloren gehen. Ich dank' Ihnen herzlichst, gnädiger Herr, für Ihren gefaßten liebreichen Vorsatz zu gunsten meines armen hilflosen Kindes; es ist unschuldig und ich hoffe, es soll lange genug leben, um sich für alle die Wohlthaten, die es von Ihnen empfangen wird, dankbar zu erzeigen. Aber nun, gnädiger Herr, muß ich Sie auf meinen Knien anflehen, verschonen Sie mich mit dem Befehl, Ihnen den Vater meines Kindes zu nennen. Ich verspreche heilig, Sie sollen ihn eines Tages erfahren. Ich bin aber unter den feierlichsten Zusagungen und Versprechungen der Ehe und den heiligsten Eiden und Gelübden der Religion gebunden, seinen Namen, für jetzt noch,[31] zu verschweigen, und Ihre Gesinnungen sind mir zu wohl bekannt, als daß ich besorgen könnte, Sie wollten von mir verlangen, ich solle meine Ehre oder meine Religion aus den Augen setzen.«

Herr Alwerth, dem die geringste Erwähnung dieser heiligen Worte schon hinlänglich war, um höchst bedächtlich zu verfahren, besann sich einen Augenblick, ehe er antwortete, und dann sagte er zu ihr: sie habe unrecht gethan, gegen einen schlechten Menschen solche Gelübde einzugehen. Da es aber geschehen, könne er nicht drauf dringen, daß sie wortbrüchig werden sollte.

Er sagte, es sei nicht aus persönlicher Neugierde, daß er nach ihm gefragt habe, sondern um den Kerl zu strafen; wenigstens, damit er nicht unwissenderweise solchen Leuten Wohlthaten zufließen ließe, die es nicht verdienten.

Was diese Punkte betreffe, so beruhigte ihn Hannchen durch die feierlichsten Beteuerungen, der Mann sei ganz und gar außer seinem Wirkungskreise und so wenig seiner Macht unterworfen, als er, nach aller Wahrscheinlichkeit, jemals der Gegenstand seiner Mildthätigkeit werden würde.

Hannchen hatte sich durch ihr treuherziges Betragen bei diesem würdigen Manne so viel Zutrauen erworben, daß er ihr ganz willig glaubte, was sie ihm sagte; denn da sie die Niederträchtigkeit verachtet hatte, sich selbst durch eine Lüge zu entschuldigen, und in ihrer gegenwärtigen Lage lieber sein ferneres Mißfallen auf sich laden, als ihrer Ehre und Zusage dadurch untreu werden wollte, daß sie einen andern verriete, so besorgte er sehr wenig, daß sie sich gegen ihn einer Falschheit schuldig machen würde.

Er entließ sie also mit der Versicherung, er würde sie bald von dem Orte entfernen, wo sie so viele Zungen wider sich gereizt hätte, und beschloß mit noch einigen hinzugefügten Vermahnungen, in welchen er Reue und Besserung empfahl, und sagte: »Bedenke Sie wohl, Kind, dort oben ist noch einer, dessen Gnade Sie sich noch wieder zu erbitten hat, und dessen Wohlwollen für Sie weit wichtiger ist, als das meinige.«

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 28-32.
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