Achtes Kapitel.

[157] Kurz und lieblich.


Ungeachtet aller der Verbindlichkeiten, welche Madame Miller vom Herrn Jones erhalten hatte, konnte sie sich doch des folgenden Morgens nicht enthalten, ihm einige sanfte Vorstellungen wegen des Gelärmes zu thun, welches vorige Nacht auf seinem Zimmer vorgefallen war. Diese Vorstellungen waren gleichwohl so sanft und freundlich, unter der (wirklich wahren) Versicherung, daß sie dabei weiter nichts zur Absicht habe, als einzig und allein Herrn Jones' wahres Bestes, daß er, weit entfernt, sich dadurch für beleidigt zu halten, die Ermahnungen der guten Frau mit Dankbarkeit aufnahm, bezeugte, daß ihm das Vorgegangene leid thäte, es so gut beschönigte als er vermochte, und dabei versprach, inskünftige niemals mehr dergleichen Unruhen ins Haus zu bringen.

Allein obgleich Madame Miller sich nicht enthielt, ihm beim ersten Morgengruß unter vier Augen eine kleine Epistelpredigt zu halten, so war doch die Veranlassung, weswegen er diesen Morgen herunterzukommen gebeten ward, von einer viel angenehmeren Art. Es geschah wirklich des Endes, daß er bei Mademoiselle die Stelle eines Vaters vertreten und solche am Altare dem Herrn Nachtigall geben sollte, welcher jetzt völlig angekleidet und auch völlig so nüchtern war, als wie viele meiner Leser glauben werden, ein Mann sein muß, der auf eine so unbesonnene Weise sich eine Frau antrauen läßt.

Und hier ist es vielleicht nicht unrecht angebracht, wenn wir erklären, auf was für Art und Weise der junge Bräutigam den Klauen seines Oheims entwischt und wie er in die Umstände geraten sei, in welchen wir ihn den Abend vorher erblickt haben.

Demnach also, als der Onkel mit seinem Neffen in seiner Wohnung angekommen war, ließ er, teils aus eigner Liebhaberei (denn er hatte ein herzliches Behagen an seiner Weinflasche), teils auch um seinen Neffen außer stand zu setzen, seinen Vorsatz unmittelbar auszuführen, Wein anschaffen, womit er dem jungen Menschen so wacker zutrank, daß dieser, obgleich er dem Trunke nicht ergeben, aber doch auch davon kein so abgesagter Feind war, daß er sich[157] durch Weigern des Ungehorsams und der Unhöflichkeit hätte schuldig machen wollen, sehr bald seine volle Ladung erhielt.

Eben als der Oheim diesen Sieg gewonnen hatte und für seinen Neffen ein Bett zurechtmachen ließ, kam ein Bote mit einer Nachricht an, die ihn dergestalt vor den Kopf stieß und so aus aller Fassung brachte, daß er den Augenblick alle Gedanken an seinen Neffen fahren ließ und alle seine Sinne bloß mit seinen eignen Angelegenheiten beschäftigte.

Diese plötzliche Nachricht war nichts geringeres, als daß seine Tochter sich beinahe den ersten Augenblick seiner Abwesenheit zunutze gemacht hätte, um mit einem benachbarten jungen Geistlichen auf und davonzugehen, gegen den der Vater nur eine einzige Einwendung hätte haben können, nämlich, daß er keinen Heller im Vermögen hatte. Indessen hatte sie es nicht für rätlich erachtet, solche ihre Liebschaft selbst diesem Vater anzuvertrauen, und so künstlich hatte sie ihre Sachen anzufangen gewußt, daß keine Seele das Geringste davon geargwohnt hatte, bis nun nach vollzogener Heirat.

Der alte Herr Nachtigall hatte kaum diese Nachricht vernommen, als er in der äußersten Verwirrung befahl, sogleich eine Postchaise anspannen zu lassen, und nachdem er seinen Neffen der Sorge eines Bedienten anempfohlen hatte, unmittelbar das Haus verließ und kaum wußte was er that oder wohin er ging.

Nachdem also der Onkel abgereist war, kam der Bediente herein, um den Neffen zu Bette zu bringen. Er weckte ihn deswegen auf, und als er ihm nach vieler Mühe begreiflich gemacht hatte, daß sein Onkel abgereist sei, verlangte Neffe Nachtigall, anstatt die ihm angebotene gütige Bedienung anzunehmen, mit großem Eifer, daß man eine Sänfte schaffen sollte, welches der Bediente, der keinen ausdrücklichen Befehl erhalten hatte, ihn zu bewachen, sehr willig ausrichtete. Und nachdem er solchergestalt wieder nach dem Hause der Madame Miller getragen worden, strauchelte er herauf nach Herrn Jones' Zimmer, wie vorhin erzählt worden ist.

Nachdem nunmehr der Riegel des Oheims weggeschoben worden (obgleich der junge Nachtigall noch nicht wußte, wie es zugegangen) und alle Interessenten sehr bald in Bereitschaft gesetzt waren, so stiegen die Mutter, Herr Jones, Herr Nachtigall und seine Braut in eine Mietkutsche, die sie nach dem geistlichen Gerichtshofe brachte, woselbst Mademoiselle Nanette in aller Behendigkeit, nach der gemeinen Redensart, zu einer ehrlichen Frau, und ihre Mutter in dem reinsten Sinne des Wortes, zur glücklichsten unter allen sterblichen Müttern gemacht wurde.

Und nunmehr, da Herr Jones seine freundschaftlichen Bemühungen für diese arme Frau und ihre Familie zu einem glücklichen Schlusse gediehen sah, fing er an auf seine eignen Angelegenheiten zu denken. Aber damit hier nicht viele von meinen Lesern seine Thorheit tadeln, womit er sich mit andrer Leute Händeln befaßte, und damit andre wenigere nicht denken mögen, er habe uneigennütziger gehandelt als er eigentlich that, so halten wir für nötig, unsrem Leser die Versicherung zu geben, daß er soweit entfernt[158] war, in dieser Sache ganz unbefangen zu handeln, daß er sogar einen ganz großen Anteil daran nahm, solche bis zu ihrem endlichen Schlusse hinauszuführen.

Um diesen anscheinenden Widerspruch auf einmal zu heben, läuft es nur darauf hinaus: Er war einer von denen, welche mit dem Schauspieler beim Terenz wahrhaftig sagen können: Homo sum: Nihil humani a me alienum puto. Er war niemals, weder bei den Leiden noch bei den Freuden eines Menschen ein gleichgültiger oder kalter Zuschauer, und die einen oder die andern fühlte er immer in einem größern oder geringern Maße, je nachdem er dazu etwas beigetragen hatte. Folglich konnte er nicht das Werkzeug sein, eine ganze Familie von der tiefsten Stufe des Elends bis zum Gipfel der Freude zu heben, ohne sich selbst zugleich dabei eine große Glückseligkeit zu erwerben; mehr vielleicht als Weltmänner sich oft mit der sauersten Mühe und Arbeit, selbst oft mit dem Durchwaten der tiefsten Sümpfe der Bosheit erkaufen.

Diejenigen Leser, die mit ihm von einerlei Farbe sind, sind vermutlich der Meinung, daß dies kurze Kapitel eine gar reichliche Materie in sich fasse, inzwischen daß andre vielleicht wünschen, es hätte, so kurz es auch ist, gänzlich wegbleiben mögen, weil es mit dem Hauptzwecke nichts zu thun hat, der nach ihrer Meinung ohne Zweifel dahinauslaufen wird, den Herrn Jones an den Galgen, oder womöglich zu einem noch bedauernswürdigeren Ende zu bringen.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 157-159.
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