Drittes Kapitel.

[135] Näherer Aufschluß über den vorstehenden Plan.


Obgleich der Leser schon längst gemutmaßt haben mag, daß die hochadelige Dame von Bellaston ein Mitglied, und zwar kein unansehnliches von der großen Welt gewesen, so war sie überdem noch wirklich ein sehr ansehnliches Mitglied von der kleinen Welt, eine Benennung, wodurch eine hoch- und sehr ehrwürdige Gesellschaft bezeichnet ward, die erst seit kurzem in diesem Königreiche blühte.

Unter andern guten Grundsätzen, worauf diese Societät errichtet worden, war auch einer sehr merkwürdig; ebenso wie es bei einem ehrwürdigen Klub von Helden, der sich am Ende des letzten Krieges zusammenthat, eine Regel war, daß jedes Mitglied sich jeden Tag wenigstens einmal schlagen sollte, so war's in dieser Societät Gesetz für jedes Mitglied, binnen vierundzwanzig Stunden wenigstens eine schnakische Schnurre zu erzählen, welche durch die ganze Brüder-und Schwesterschaft weiterverbreitet werden mußte.

Man erzählte von dieser Societät allerlei Ammenmärchen, die, nach einer gewissen Eigenschaft zu urteilen, wohl nicht ohne Fug für die eigne Erfindung der Gesellschaft zu halten sind, als z.B. daß der Teufel ihr Präsident gewesen und daß er oben am Tische in einem Lehnsessel gesessen. Bei genauer Nachfrage aber finde ich, daß an all diesen Erzählungen kein Wort wahr ist, daß die Versammlung aus einem guten Schlage von Leuten bestand, und daß die Possen, die sie ausstreuten, unschädlich und bloß erfunden waren, um Scherz und Lachen zu verbreiten.

Herr Eduarts war gleichfalls Mitglied dieser komischen Gesellschaft. An ihn wendete sich also Frau von Bellaston als an ein bequemes Werkzeug zu ihrem Zwecke, und gab ihm ein Märchen unter den Fuß, womit er herausrücken sollte, wenn sie ihm das Stichwort gäbe, und dies sollte nicht eher geschehen als bis alle übrigen bis auf Graf Liebegrim und ihn selbst fortgegangen wären, und zwar wenn sie beim Whistspiele säßen.

Zu dieser Zeit also, welches zwischen sieben und acht Uhr des[135] Abends war, wollen wir unsern Leser mit hinnehmen. Als Frau von Bellaston, Graf Liebegrim, Fräulein von Western und Herr Eduarts beim Whist saßen und an der letzten Partie ihrer Robbers spielten, erhielt Eduarts sein verabredetes Zeichen von der Dame vom Hause, welches darin bestand, daß sie sagte. »Nun, Herr Eduarts, es ist doch wahr, Sie sind seit einiger Zeit ganz unausstehlich. Sie pflegten uns sonst noch Neuigkeiten aus der Stadt zu erzählen, und jetzt wissen Sie ebensowenig von der Welt als ob Sie in Wüsten lebten.«

Herr Eduarts begann darauf wie folgt: »Meine Schuld ist das nicht, gnädige Frau, es liegt daran, daß die Menschen so ein Schafsleben führen und nichts thun, was des Erzählens wert wäre. – Doch, hm! Ja, eben denk' ich daran, dem Obersten Wilcox ist ein sehr scheußlicher Zufall begegnet – der arme Lippert! – Sie kennen ihn, Herr Graf, jedermann kennt Philipp Wilcox! Wahrlich! es thut mir herzlich leid um ihn.«

»Was ist's denn? So sagen Sie doch?« sagte Dame Bellaston. »Nun, er hat heute morgen jemand im Duell getötet, weiter nichts!«

Der Graf, der nicht um das Geheimnis wußte, fragte ganz ernsthaft, wen er getötet habe? Worauf Eduarts antwortete: »Einen jungen Menschen, den keiner von uns kennt, einen Burschen der eben aus Sommersetshire zur Stadt gekommen ist und ein naher Verwandter von dem Herrn von Alwerth sein soll, von dem Sie vielleicht gehört haben. Ich sah den Menschen tot liegen auf einem Kaffeehause. – Meiner Seele! es ist eins der feinsten Gewächse von Körper, die ich in meinem Leben gesehen habe.«

Sophie, an der eben das Kartengeben war, als Eduarts davon gesagt hatte, daß ein Mensch getötet worden, hielt die Karten still in der Hand und hörte aufmerksam zu, denn alle solche Geschichten griffen ihr ans Herz. Als er aber kaum zum letzten Teile der Erzählung gelangt war, wollte sie fortfahren herumzugehen, und nachdem sie hier drei, dort sieben, und dem dritten zehn Karten gegeben hatte, fielen ihr zuletzt die übrigen aus der Hand und sie sank hin auf ihrem Stuhle.

Die Gesellschaft benahm sich, wie es bei solchen Fällen gewöhnlich ist, der gewöhnliche Aufstand erfolgte, die gewöhnliche Hilfe ward herbeigerufen, und zuletzt kam Sophie, wie gewöhnlich, wieder zu ihren Sinnen, und ward bald hernach auf ihr ernstliches Bitten nach ihrem Zimmer gebracht, woselbst ihr auf Bitte des Grafen die Frau von Bellaston die rechte Wahrheit sagte, die Sache als einen kurzweiligen Spaß von ihrer eignen Erfindung wegscherzen wollte und sie mit der wiederholten Versicherung tröstete, daß weder der Graf noch Eduarts, ob sie ihm gleich die Historie eingegeben hätte, den geheimen Knoten von der Sache wüßten.

Der Graf Liebegrim bedurfte kein weiteres Zeugnis um ihn zu überführen, wie richtig ihm die Sache von der Frau von Bellaston vorgestellt worden, und nun ward bei ihrer Zurückkunft ins Zimmer unter diesen zwei hochadeligen Personen ein Plänchen angelegt, welches zwar Seiner hochgräflichen Gnaden nicht so sträflich[136] vorkam, (denn Hochdieselben versprachen bei gräflicher Treue und Glauben, und waren auch wirklich des ernsten Vorsatzes, dem Fräulein in der Folge durch die Mariage alle Erstattung zu leisten, die nur in Dero Kräften stünde), das aber manche von unsern Lesern, wie wir nicht zweifeln, mit gerechtem Abscheu betrachten werden.

Glocke sieben des nächsten Abends ward für das unselige Vorhaben anberaumt, da die vortreffliche von Bellaston über sich nahm, daß Sophie allein sein und der Graf bei ihr eingeführt werden sollte. Das ganze Hausgesinde sollte alsdann zweckmäßig beschäftigt sein, die meisten Bedienten aus dem Hause verschickt, und Jungfer Honoria, um keinen Verdacht zu erregen, solange bei ihrem Fräulein gelassen werden, bis der Graf angekommen, und dann wollte die vertraute, mütterliche Dame sie in einem Zimmer beschäftigen, das von dem Schauplatze der geplanten Schandthat so weit als möglich entlegen wäre und wo Sophie sie nicht abrufen könnte.

Nachdem solchermaßen die Sachen bestens verabredet waren, nahmen Se. hochgräflichen Gnaden Abschied, und Ihro Gnaden begaben sich zur Ruhe, innigst vergnügt über ein Projekt, an dessen glücklichem Ausgange sie keine Ursache zu zweifeln hatte, und welches so sicher versprach, Sophien unfähig zu machen, ihrer Liebschaft mit Jones ferner hinderlich zu sein, und das zwar auf eine Art, daß sie niemals dazu geholfen zu haben scheinen konnte, wofern auch die That der Welt bekannt werden sollte. Aber auch diesem, zweifelte sie nicht, wollte sie dadurch vorbeugen, daß sie über Hals und Kopf die Heirat beschleunigte, wozu die geschändete Sophie sehr leicht zu bereden sein und worüber die ganze Familie sich höchlich erfreuen würde.

Aber nicht ganz so ruhig stand es in dem Busen des zweiten Verschwornen. Sein Gemüt ward hin und her geworfen in all der ängstlichen Verwirrung, welche Shakespeare so vortrefflich beschrieben hat:


Between the Acting of a dreadful Thing,

And the first Motion, all the Interim is

Like a Phantasma, or a hideous Dream:

The Genius and the mortal Instruments

Are then in Council; and the state of Man

Like to a little Kingdom, suffers then

The Nature of an Insurrection. –


Eh eine grausenvolle Schreckensthat

Von ihrem Anbeginn ins Werk tritt;

Die Zwischenzeit ist wie ein Phantasma,

Wie ein furchtbarer Traum. Der Genius

Und seine sterblichen Werkzeuge gehn

Alsdann zu Rath. Des Menschen Zustand ist

Gleich einem kleinen Königreich, das sich

Zum Aufruhr bäumt. –


Obgleich die Heftigkeit seiner Leidenschaft ihn den ersten Wink von diesem Anschlage sehr begierig hatte auffassen lassen, besonders, da er von einer Anverwandten des Fräuleins gegeben ward; so begann doch, als der Freund der Ueberlegung, das Kopfkissen, ihm die[137] That in allen ihren natürlichen schwarzen Farben, nebst allen Folgen die sie haben müßte, und denen, welche sie wahrscheinlicherweise haben könnte, vorgestellt hatte, seine Entschlossenheit zu wanken, oder vielmehr ganz und gar zur andern Seite überzutreten. Und nach einem langen Kampfe zwischen Ehre und Gelüsten, der eine ganze Nacht hindurch währte, siegte endlich die erste, und er setzte sich vor, der Frau von Bellaston aufzuwarten und den Anschlag aufzugeben.

Frau von Bellaston war noch im Bette, ob es gleich schon sehr spät des Vormittags war, und Sophie saß bei ihr, als ihr der Bediente ansagte, Graf Liebegrimm sei im Besuchzimmer; worauf die Dame ihm sagen ließ, sie lasse ihn bitten zu verziehen, sie wolle alsobald bei ihm sein. Der Bediente war aber nicht so bald zur Thüre hinaus, als die arme Sophie ihrer Kousine anlag, sie möchte doch die Besuche des häßlichen Grafen (so nannte sie ihn, obgleich ein wenig ungerechterweise), die eigentlich ihr gälten, bestens ablehnen. »Ich sehe seine Absichten,« sagte sie, »denn er hat mich gestern seine Liebe mehr als zu deutlich merken lassen. Da ich aber entschlossen bin, mich niemals mit ihm einzulassen, so bitte ich Sie, gnädige Kousine, uns nicht wieder allein bei einander zu lassen, und den Leuten im Hause zu befehlen, daß sie mich allemal verleugnen, wann er sich bei mir ansagen lassen sollte.«

»Ha, Kind!« sagte Frau von Bellaston, »ihr Landmädchen habt doch beständig nichts im Kopfe, als lauter Feinsliebchens! Sobald nur ein Mann höflich mit euch spricht, so bildet ihr euch ein, er sei in euch verliebt. Er ist einer von den galantesten jungen Mannspersonen in der Stadt, und ich bin überzeugt, er meint nichts weiter, als eine kleine Galanterie. Verliebt in Sie? Wahrhaftig! ich wollte von ganzem Herzen wünschen, er wärs; und Sie müßten geradezu im Kopfe verrückt sein, wenn Sie ihn ausschlügen.«

»Da ich nun aber einmal ganz gewiß so verrückt bin,« sagte Sophie, »so hoffe ich, seine Besuche werden mir nicht aufgedrungen werden.«

»O Kind,« sagte Frau von Bellaston, »Sie brauchen sich nicht so zu fürchten. Wenn Sie mit aller Gewalt mit dem Jones davonlaufen wollen, so sehe ich nicht, wer Sie daran hindern kann.«

»Auf meine Ehre, Madame,« rief Sophie, »Sie thun mir zu nahe. Ich werde niemals mit einer Mannsperson davonlaufen, und werde mich auch niemals wider den Willen meines Vaters verheiraten.«

»Gut, gut Fräulein Western!« sagte die Dame. »Wenn Sie heute morgen nicht aufgelegt sind, Gesellschaft zu sehen, so mögen Sie sich auf Ihre Zimmer begeben. Denn ich fürchte mich vor dem Grafen nicht und muß ihn in mein Toilettenzimmer heraufkommen lassen.«

Sophie dankte ihrer Tante und ging fort, und kurz drauf ward Graf Liebegrimm im obern Zimmer angenommen.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 135-138.
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