Zwölftes Kapitel.

[170] Rebhuhn hat eine Entdeckung gemacht.


Weil noch Jones sich an dem Bewußtsein seiner Redlichkeit erlabte, kam Rebhuhn springend und hüpfend ins Zimmer, wie seine Gewohnheit war, wenn er eine gute Zeitung brachte, oder zu bringen glaubte. Er war diesen Morgen von seinem Herrn ausgeschickt mit dem Befehle, zu versuchen, ob er nicht von dem Gesinde der Frau von Bellaston, oder sonst auf eine andere Art erfahren könnte,[170] wohin man Sophie geführt hätte; und er kam jetzt zurück, und erzählte unserm Helden mit fröhlichen Geberden, daß er das verlorne Schäflein gefunden habe. »Ich habe, liebster Herr,« sagte er, »den schwarzen Jakob, den Wildmeister gesehn, der einer von den Leuten ist, die der Junker mit zur Stadt gebracht hat. Ich kannte ihn augenblicks, ob ich ihn gleich seit vielen Jahren nicht gesehn habe; aber Sie wissen, liebster Herr, es ist ein merkwürdiger Kerl, oder, um eine reinere Phrasis zu gebrauchen, er hat einen merkwürdigen Bart, den stärksten und schwärzesten, den ich jemals gesehn habe. Es währte indessen ein Weilchen, ehe sich der schwarze Jakob auf mich besinnen konnte.« – »Nun gut! Aber hat Er gutes Neues?« rief Jones. »Was weiß er von meiner Sophie?« – »Sollen's gleich hören,« antwortete Rebhuhn. »Ich komme gleich darauf, sobald ich nur kann. – Sie sind so ungeduldig, liebster Herr, daß Sie gleich den Infinitivum wissen wollen, ehe sie noch den Imperativum fassen können. Was sagte ich doch? Ja, es währte ein Weilchen, ehe er sich auf mein Gesicht besinnen konnte.« – – »Mit seinem Affengesicht!« rief Jones. »Was weiß er von Sophie?« – »Nun, liebster Herr,« antwortete Rebhuhn, »von Fräulein Sophie weiß ich weiter nichts, als was ich Ihnen eben erzählen will; und ich hätt's Ihnen schon längst all's erzählt, wenn Sie mir nicht ins Wort gefallen wären; aber, wenn Sie so böse aussehen, so schrecken Sie mir alles aus dem Kopfe heraus, oder, um eine reinere Phrasis zu gebrauchen, aus meinem Gedächtnis heraus. Ich habe Sie niemals so böse gesehen, seit dem Tage, da wir Upton verließen, und den Tag vergesse ich nicht, und sollte ich auch noch tausend Jahr leben.« – »Nun denn! so fahr Er denn fort auf seine eigne Manier,« sagte Jones; »denn Er hat sich's doch einmal in den Kopf gesetzt, mich wahnsinnig zu machen!« – »Um alles in der Welt nicht!« erwiderte Rebhuhn. »Das hat mir schon Angst genug gemacht; und wie ich sagte, ich werde das nicht vergessen, so lange ich lebe!« – »Nun gut, und der schwarze Jakob« rief Jones. – »Nun gut, liebster Herr, wie ich sagte, es währte ein Weilchen, ehe er sich besinnen konnte, wer ich wäre; denn ich habe mich wirklich sehr verändert, ich bin gealtert, seitdem ich ihn gesehen habe. Non sum qualis eram! Ich habe mein Kreuz und Leiden in dieser Welt, und nichts macht einen Mann früher alt, als der Gram. Ich habe sagen hören, er soll in einer Nacht eisgraue Haare machen können! Inzwischen kennen that er mich doch endlich, das ist wahr genug; denn wir sind von einem Alter, und wir gingen alle beide in eine Freischule. Jakob war ein recht hartlerniger Junge; aber was thut ihm das? Zum laufen hilft nicht schnell sein, sagt Salomon; und nicht alle Menschen machen ihr Glück in der Welt, nachdem sie was gelernt haben; das mag ich wohl mit Fug und Recht von mir selbst sagen; aber das wird in den nächsten tausend Jahren wohl noch nicht anders werden. Nun gut und nicht allzu gut! – Wo war ich denn? – Ha, ja! – Gut! Wir hatten uns nicht so grade einander wieder gekannt, als wir uns nach manchem herzlichen Händeschütteln miteinander verglichen, nach einem Bierkeller zu gehn und[171] eine Kanne auszuwippen, und zu allem Glück war das Bier von dem besten, das ich gefunden habe, so lange ich in der Stadt gewesen bin. – Nun, liebster Herr, nun komme ich auf den rechten Punkt. Sehn Sie, ich hatte Sie nicht so stracks genannt und ihm erzählt, daß Sie und ich zusammen zur Stadt gekommen wären, und die ganze Zeit hindurch miteinander gelebt hätten, als er eine frische Kanne einzapfen ließ, und dabei fluchte und schwur, er wollte eins auf Ihre Gesundheit trinken! Und, das muß ich sagen, er trank so herzlich scharf auf Ihre Gesundheit, daß mir die Augen übergingen vor Freuden, zu sehn, daß es noch so dankbare Seelen in der Welt gäbe. Und als wir die Kanne aus hatten, nun so sagte ich, daß ich meine Kanne ebenfalls geben wollte; und somit tranken wir noch eine Kanne auf Ihre liebe Gesundheit; und darauf machte ich, daß ich nach Hause kam, um Ihnen die gute Zeitung zu bringen.«

»Was für Zeitung?« schrie Jones; »Er hat mir kein Wort von Sophie gesagt.« – »Ja, Gott verzeih mir die Sünde! das hätte ich bald vergessen!« sagte Rebhuhn. »In der That, wir sprachen in der Länge und in der Breite vom Fräulein von Western, und Jakob der sagte mir alles, und so, daß Junker Blifil zur Stadt käme, um mit ihr Hochzeit zu halten. So muß er sich wohl tummeln, sagte ich, oder ich kenne jemand, der sie weg haben kann, ehe er noch einmal da ist, und in der That, Herr Wildmeister, sagte ich zu ihm, 's wäre tausend Schade, wenn sie der Jemand nicht bekommen sollte. Sie müssen beide wissen, und ich kann's Ihnen sowohl als dem Fräulein sagen, Herr Seegrimm, sagte ich, daß es nicht ihres Reichtums wegen ist, daß er ihr nachgeht; denn was das Ding anbelangt, so kann ich Ihnen wohl sagen, daß eine andre Dame, von viel vornehmerem Stande, und viel reicher, als Fräulein von Western, in jemand so tückisch verliebt ist, daß sie ihm nachgeht bei Tag und bei Nacht.« Hier geriet Jones in Zorn und fuhr Rebhuhn gewaltig an, daß er ihn, wie er sagte, verraten und verkauft habe. Der arme Schlag von Kerl aber antwortete, er habe keinen Namen genannt. »Und dazu noch, liebster Herr, kann ich es versichern, daß Jakob Ihr aufrichtiger Freund ist, und daß er mehr als einmal den Herrn Blifil zum bösen Fierk gewünscht hat. Ja, er sagte auch, er wollte alles thun, was ihm nur menschenmöglich wäre, Ihnen zu dienen, und das wird er thun, darauf will ich wohl meinen Kopf verwetten. – Ich Sie verraten, wahrhaftig! ich zweifle sogar, daß Sie einen treuern Freund auf der Welt haben, mich ausgenommen, als ihn oder einen, der Ihnen zu gefallen soweit gehn wollte.«

»Wohl!« sagte Jones, ein wenig besänftigt. »Er sagte, dieser Mensch, von dem ich wohl glauben will, daß er geneigt genug ist, mein Freund zu sein, befinde sich mit Sophie in einem und demselbigen Hause?«

»In eben und demselbigen Hause!« antwortete Rebhuhn. »Je, liebster Herr, er steht ja beim Junker Western in Diensten, und geht recht tapfer gekleidet einher, das versichre ich Sie; und wenn er nicht den schwarzen Bart hätte, Sie würden ihn schwerlich wieder kennen.«[172]

»Einen Dienst,« sagte Jones, »wird er mir denn doch wenigstens thun können. Ohne Zweifel wird er mir einen Brief an Sophie richtig bestellen.«

»Auf den Kopf treffen Sie den Nagel, ad Unguem!« schrie Rebhuhn. »Daß doch ich nicht eher drauf gedacht habe! Ich stehe dafür, aufs erste Wort soll er es flugs thun.«

»Nun gut denn!« sagte Jones, »so laß Er mich jetzt allein, damit ich den Brief schreibe, den Er ihm morgen früh bringen soll; denn ich setze voraus, daß Er weiß, wo Er ihn finden kann.«

»O, ja wohl!« antwortete Rebhuhn. »Ich will ihn gewiß schon wieder finden, das hat keine Not! Das Bier ist viel zu gut, als daß er lang wegbleiben sollte. Es sollte mich wundern, wenn er nicht alle Tage nach der Schenke käme, solang er in der Stadt ist.«

»So kennt Er also die Gasse nicht, wo meine Sophie logiert?« rief Jones.

»Je, was sollte ich nicht? liebster Herr!« sagte Rebhuhn.

»Wie heißt denn die Gasse?« rief Jones.

»Wie sie heißt? wie sie heißt? – Je! es ist hier nahe bei!« antwortete Rebhuhn, »nur ein paar Gassen entlang. Den Namen weiß ich freilich nicht eigentlich; denn sehn Sie! weil er 'n nicht sagte, so wissen Sie wohl, hätte es ihm Argwohn in 'n Kopf setzen können, wenn ich darnach gefragt hätte. Nein, nein, Herr! Rebhuhn weiß Bescheid! da ist er zu pfiffig dazu, so was dazu machen, das versichre ich Ew. Gnaden.«

»Du bist mir der wahre pfiffige Bursche, wahrlich!« erwiderte Jones. »Indessen will ich meinem lieben Mädchen schreiben, denn so pfiffig wird Er ja wohl sein, denke ich, ihn morgen in der Bierschenke wieder zu finden!«

Und nun, nachdem er den scharfsinnigen Rebhuhn entlassen hatte, setzte sich Jones nieder zum schreiben, bei welchem Geschäfte wir ihn auf einige Zeit lassen wollen. Und hiermit machen wir dem fünfzehnten Buche ein Ende.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 170-173.
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