Viertes Kapitel.

[160] In welchem die Ankunft eines Kriegsmannes allen Feindseligkeiten ein völliges Ende macht, und unter allen Parteien einen festen und dauerhaften Friedensschluß bewirkt.


Um diese Zeit langte ein Unteroffizier mit ein paar Rotten Musketiere an, welche einen Deserteur gefangen führten. Der Unteroffizier erkundigte sich alsobald nach der ersten obrigkeitlichen Person des Orts und ihm ward von dem Gastwirt die Nachricht, er sei selbst mit dieser Würde bekleidet. Darauf forderte der Unteroffizier seine Quartierbillets zugleich mit einer Kanne Bier, und indem er sich über Kälte beklagte, spreizte er sich hin vor das Kaminfeuer.

Um diese Zeit war Herr Jones beschäftigt, der armen bedrängten Dame, die an einem Tische in der Küche saß und ihre Widerwärtigkeiten beseufzte, nach bestem Vermögen Trost einzusprechen; um aber meine schönen Leserinnen über einen besonders wichtigen Umstand nicht in Verlegenheit zu lassen, halte ich es hier für nötig, ihnen die Nachricht zu geben, daß sie, noch bevor sie das Zimmer oben im Hause verlassen, sich so gut mit einem Kissenüberzug, den sie dort fand, bedeckt hatte, daß ihre züchtige Wohlanständigkeit durch die vielen Mannspersonen, welche sich jetzt in der Küche befanden, nicht im geringsten beleidigt wurde.[160]

Jetzt ging einer von den Soldaten hin zu seinem Unteroffizier und flüsterte dem etwas ins Ohr, worauf er seine Augen fest auf die Dame heftete und, nachdem er sie fast eine Minute lang betrachtet hatte, auf sie zuging und sagte: »Bitte Pardon, Madam! aber ich irre mich gewiß nicht, Sie können niemand anders sein als die Dame des Herrn Kapitän Waters.«

Die arme Frau, die in ihren gegenwärtigen bedrängten Umständen auf das Gesicht irgend eines anwesenden Menschen wenig Achtung gegeben hatte, sah nicht so bald nach dem Unteroffizier auf, als sie sich seiner augenblicklich erinnerte, ihn bei seinem Namen nannte und antwortete: Sie wäre allerdings die unglückliche Person, wofür er sie hielte, setzte aber hinzu, sie wundere sich, wie sie jemand in dieser verstellenden Kleidung erkennen könnte; worauf der Unteroffizier erwiderte: er wäre sehr erstaunt, Ihro Gnaden in solcher Kleidung zu erblicken, und er fürchte, es müsse ihr ein widriger Unfall begegnet sein. – »Ein sehr widriger Unfall freilich ist mir begegnet,« sagte sie, »und ich bin diesem Herrn,« sie zeigte auf Jones, »gar höchlich verbunden, daß es nicht der allerunglücklichste geworden ist, oder daß ich nur noch lebe, um davon sprechen zu können.« – »Der Herr mag so viel gethan haben als er will,« ließ sich der Unteroffizier hören, »so bin ich gewiß, der Herr Hauptmann wird's ihm wieder gut machen, und wenn ich Ihr' Gnaden in irgend etwas dienen kann, so brauchen Ihr' Gnaden nur zu befehlen und ich will mich glücklich dünken, wenn ich der gnäd'gen Frau meine geringen Dienste zu leisten im stande bin, und das muß ein jeder thun, denn ich weiß, der Herr Hauptmann wird's sehr reichlich belohnen.«

Die Gastwirtin, welche oben von der Treppe alles anhörte, was zwischen dem Unteroffizier und Madame Waters vorging, kam in aller Eile herunter, rannte gradesweges auf sie zu und begann wegen aller vorigen Beleidigungen um Verzeihung zu bitten, mit dem Ersuchen, ihrer Unwissenheit von ihrem Stande die Schuld zu geben: »Denn, liebster Himmel! gnädige Frau,« sagte sie, »wie hätte ich's mir einfallen lassen können, daß eine Dame von Ihrem vornehmen Stande in solcher Kleidung aufgezogen kommen könnte? Gewiß und wahrhaftig, Madam, hätt' ich nur die geringste Vermutung gehabt, daß Ihr' Gnaden Ihr' Gnaden wären, die Zunge hätt' ich mir lieber aus dem Halse brennen lassen, ehe ich gesagt hätte, was ich gesagt habe, und ich hoffe, Ihr' Gnaden werden sich's gnädigst gefallen lassen, von meinen Kleidern eins anzunehmen, bis Sie Ihren eignen Koffer bekommen.«

»Was will die Frau,« sagte Madame Waters, »mit ihrem dummen Geschwätz? Meint Sie, daß ich mich im geringsten um[161] das Geschwätz bekümmere, das über die Lippen solcher niedrigen Kreaturen geht als Sie ist? Aber ich wundere mich nicht wenig über Ihre Dreistigkeit, daß Sie meint, ich werde nach dem, was vorgefallen ist, etwas von Ihren schmutzigen Lumpen über meinen Leib ziehen. Sie muß wissen, gute Frau, daß mir dazu die Nase zu hoch gewachsen ist!«

Hier legte sich Jones ins Mittel und bat Madame Waters, der Wirtin zu verzeihen und ihr Kleid anzunehmen. »Denn ich muß bekennen,« fuhr er fort, »unser Aufzug war ein wenig verdächtig, als wir zuerst ins Haus kamen, und die gute Frau Wirtin that alles, wie ich überzeugt bin, was sie that, aus bloßer Besorgnis für den guten Namen ihres Hauses, wie sie selbst gesteht.«

»Ja, bei aller Heiligkeit, das that ich! Der Herr spricht doch noch wie 'n rechtlicher Herr und man siehts 'n deutlich an, daß er's ist. Und in Wahrheit, mein Haus ist für ein so wohlberüchtigtes Haus bekannt, als nur eins an der ganzen Heerstraße sein kann. Und ohne Ruhm zu melden wird es von den besten von Adel und Grafen und Herrn besucht, sowohl Irländern als Engländern. Und Trotz sei einem jeden geboten, der mir in dem Punkte die geringste Verleumdung nachsagen kann. Und wie ich schon gesagt habe, hätt' ich's nur mit einem halben Wörtchen gewußt, daß Ihr' Gnaden Ihr' Gnaden wären, ich hätte mir lieber die Finger im Feuer verbrannt, als daß ich sie an Ihr' Gnaden hätte legen wollen! Aber freilich, wo hübsche honette Leute kommen und ihr Geld verzehren, da mag ich auch nicht, daß sie ihr Aergernis haben sollen, an en Kuppel Lumpenbagasche, die, wo sie hinkommen, mehr Läuse als bares Geld absetzen. Mit solchem Volke habe ich in meinem Leben kein Mitleiden, und 's ist auch wahrhaftig nur närrische Dummheit, wenn man's mit ihnen hat. Und wenn unsre Orts-Obrigkeiten ihre Schuldigkeiten thäten, so müßt' es alles aus dem Land hinausgepeitscht werden, und das wär' wahrhaftig für solch Zeug das beste! – Ja, aber was Ihr' Gnaden anbelangt, so thut mir's von Herzen leid, daß Ihr' Gnaden ein Unglück begegnet ist, und wenn Ihr' Gnaden mir die Ehre anthun wollen, so lang eins von meinen Kleidern anzuziehen, bis Ihr' Gnaden Ihre eigenen bekommen können, so soll wahrhaftig das beste, was ich nur in meinem Leben habe, Ihr' Gnaden zu Dienste stehen.«

Ob Kälte, Schamhaftigkeit, oder die Ueberredung des Herrn Jones das meiste über Madam Waters vermochten, will ich nicht bestimmen, aber sie ließ sich endlich durch die Rede der Frau Wirtin besänftigen und ging mit dieser guten Frau allein nach einem Zimmer, um sich in vollständigere Kleidung zu werfen. Der Wirt fing gleichfalls an, dem Herrn Jones seine wohlgesetzte Entschuldigungsrede[162] zu halten, ward aber alsbald von diesem großmütigen Jüngling unterbrochen, welcher ihn bei der Hand faßte, solche herzlich schüttelte und ihn einer völligen Verzeihung versicherte, indem er sagte: »Wenn Sie zufrieden sind, mein guter Freund, so versichre ich Sie, bin ich's gleichfalls.« Und in der That hatte der Wirt in einem gewissen Sinne die meiste Ursache, zufrieden zu sein, denn sein Zwerchfell war ihm tüchtig durchgewalkt, dahingegen Jones kaum einen einzigen Schlag bekommen hatte.

Rebhuhn, der diese ganze Zeit über an der Pumpe seine blutige Nase gewaschen hatte, trat in eben dem Augenblick wieder in die Küche, als sein Herr und der Gastwirt einander die Hände schüttelten. Als ein friedliebender Mann nahm er diese Anzeichen der Aussöhnung mit Vergnügen wahr, und obgleich sein Antlitz hin und wieder Merkmale von Susannens Fäusten, noch mehr aber von ihren Nägeln aufzuweisen hatte, so wollte er sich doch lieber mit dem behelfen, was ihm das Glück im vorigen Kampfe beschert hatte, als es versuchen, seine Scharte in einem neuen auszuwetzen.

Die heroische Susanne war ebenfalls mit ihrer Viktoria ganz wohl zufrieden, ob ihr solche gleich ein blaues Auge eingetragen, welches ihr Rebhuhn gleich im ersten Anfalle gefärbt hatte. Auch unter diesen beiden ward also ein Friedensbündnis errichtet und eben die Hände, welche die Werkzeuge des Krieges gewesen, wurden jetzt zu einem Zeichen der Versöhnung gebraucht.

Solchergestalt war nunmehr die Ruhe auf allen Seiten völlig wieder hergestellt, worüber der Feldwebel, ob es gleich den Grundsätzen seines Handwerks schnurstracks zuwiderlaufend scheinen mag, seinen Beifall bezeigte: »So recht!« sagte er. »Das ist freundschaftlich, sackerlott! ich kann's in Tod nicht leiden, wenn 'n paar Leute mit 'n ander maul'n, wenn se enmal so 'n Verstoß mit 'nander gehabt hab'n. Wenn 'n paar Freunde sich verzürnen, so ist der beste Weg, daß se nicht lange um d'n Brei 'rum gehn, sondern 's kurz und gut, wie man zu sagen pflegt, als Freunde ausmachen, entweder mit Fäusten oder dem Degen, oder mit Pistolen, was sie am liebsten wollen, und denn damit aus und holla! Kurze Haare sind bald gebürstet! Ich meinesteils bei allen sapperment! ich hab' meinen Freund niemals lieber, als wenn ich mich mit'n herumfechte. Ein rechtlicher Kerl muß sein Lebstag keinen Groll hegen!«

Er schlug darauf eine Libation, als einen wesentlichen Teil der Zeremonie bei allen Freundschaftsschlüssen dieser Art vor. Vielleicht macht der Leser hier den Schluß, er habe in der alten Geschichte sehr bewandert sein müssen: das ist nun freilich wahrscheinlich genug! Gleichwohl kann ich's nicht mit Zuversicht behaupten, weil er zu Unterstützung dieser Gewohnheit keine Autorität anführte. Dennoch[163] ist es sehr wahrscheinlich, daß er seine Meinung auf sehr gute Autoritäten gründete, weil er solche mit manchen tüchtigen militärischen Flüchen, die ich hier nicht wiederholen mag, nachdrücklich bestärkte.

Kaum hatte Jones den Vorschlag vernommen, als er dem Kriegsmanne beistimmte, eine Opferschale, oder vielmehr einen reichhaltigen Napf, angefüllt mit einem Getränke, das bei solchen Gelegenheiten gebräuchlich ist, herbeizuschaffen befahl, und dann selbst mit der Zeremonie den Anfang machte. Er legte seine rechte Hand in die Hand des Gastwirts, faßte mit der linken den Napf, sprach die gewöhnlichen Worte und machte also seine Libation, worauf alle Anwesende nach der Reihe dasselbige thaten. In der That ist es eben nicht nötig, diese Zeremonie sehr umständlich zu beschreiben, weil sie von den Libationen, worüber wir bei den alten Schriftstellern und bei ihren neuern Nachbetern so vieles aufgezeichnet finden, fast wenig oder gar nicht unterschieden ist. Der wichtigste Unterschied liegt in zwei Umständen. Erstlich goß die gegenwärtige Gesellschaft das Getränk bloß in ihre Gurgel, und zweitens trank der Feldwebel, welcher hier das Amt eines Priesters verrichtete, zuletzt. Allein, ich glaube, er beobachtete den alten Brauch, indem er von dem Opfertranke ungleich mehr zu sei nem Anteile verschluckte, als die übrige ganze Gesellschaft, und auch die einzige Person bei dem Opfermahle war, die zu der Libation nichts beitrug, ausgenommen, daß er durch seine Gegenwart und Amtsverrichtung die Handlung um so feierlicher machte.

Die guten Leute setzten sich nun allesamt um das Küchenfeuer herum, woselbst gesellige Fröhlichkeit durchaus zu walten schien, und Rebhuhn vergaß nicht nur seine schimpfliche Niederlage, sondern verwandelte auch seinen Hunger in Durst und begann sehr bald außerordentlich witzig und drollig zu werden. Wir müssen gleichwohl diese angenehme Gesellschaft auf eine Weile verlassen und Herrn Jones nach Madame Waters' Zimmer begleiten, woselbst das Mittagessen, das er bestellt hatte, nunmehr auf dem Tische stand. In der That erforderte es nicht viel Zeit, dieses Mahl anzurichten, da es schon seit drei Tagen völlig fertig gestanden hatte und weiter nichts bedurfte, als daß es die Köchin von neuem aufwärmte.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 160-164.
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