Elftes Kapitel.

[276] Ein kurzes Kapitel, welches aber Materien genug enthält, um den gutherzigen Leser zu rühren.


Es war Herrn Alwerths Gewohnheit, niemals einen Menschen zu strafen, nicht einmal einen Bedienten zu verabschieden, solange er sich zornig fühlte. Er beschloß also, bis auf den Nachmittag zu warten, ehe er Jones sein Urteil spräche.

Der arme junge Mensch kam wie gewöhnlich zu Tische; sein Herz war zu schwer belastet, um ihm zu erlauben, zu essen. Sein Gram wurde um ein Großes durch die unfreundlichen Blicke des Herrn Alwerth vermehrt, weil er draus schloß, daß Western die ganze Sache zwischen ihm und Sophien entdeckt hätte. Von Blifils Geschichte aber hatte er nicht den geringsten Argwohn; denn an dem größesten Teile derselben war er völlig unschuldig, und was das übrige anbetraf, so argwöhnte er, weil er selbst vergessen und vergeben hatte, von der andern Seite gleichfalls nicht, daß sie es ihm nachtragen würden. Als das Mittagessen geendigt war und die Bedienten das Zimmer verlassen hatten, fing Herr Alwerth[276] eine Rede an. Er beleuchtete darin ziemlich umständlich die Vergehungen, welche sich Jones hatte zu schulden kommen lassen, besonders aber diejenigen, welche der heutige Tag ans Licht gebracht hatte, und schloß am Ende damit, daß er ihm sagte: Wofern er sich nicht von diesen Beschuldigungen reinigen könne, wäre er entschlossen, ihn auf ewig von seinem Angesichte zu verbannen.

Es trafen für Jones manche nachteilige Umstände zusammen, die ihn hinderten, seine Verteidigung zu führen; ja, er wußte kaum den Inhalt der wider ihn vorgebrachten Anklage: denn Herr Alwerth, indem er der Betrunkenheit und so weiter während seines Krankenlagers gedachte, überging aus Bescheidenheit jeden Umstand, der auf ihn selbst Beziehung hatte, in welcher doch das Verbrechen eigentlich steckte. Jones konnte also das beregte Faktum nicht leugnen. Sein Herz war ohnedem schon von Kummer überwältigt, und sein Mut war so tief gesunken, daß er nichts zu seiner Rechtfertigung zu sagen wußte, sondern das Ganze eingestand, und gleich einem Verbrecher in Verzweiflung sich aufs Gnadebitten legte und schließlich sagte: Daß, ob er sich gleich mancher Thorheiten und Unbedachtsamkeiten schuldig bekennen müsse, er dennoch hoffe, nie etwas gethan zu haben, womit er das verdiene, was für ihn die härteste Strafe in der Welt sein würde.

Alwerth antwortete: Er habe ihm bereits schon zu oft verziehen, sowohl aus Mitleiden mit seiner Jugend, als in Hoffnung auf Besserung: er fände jetzt aber, er sei ein verhärteter Bösewicht, und einen solchen in seinem gottlosen Wesen zu bestärken und zu stützen, würde für jedermann ein Verbrechen sein. »Ja,« sagte Herr Alwerth zu ihm, »dein verwegenes Vorhaben, ein junges Frauenzimmer ihrer Familie zu stehlen, macht mir's zur Pflicht, dich zu strafen, und dadurch meinen eigenen guten Namen zu rechtfertigen. Die Welt, welche mich schon wegen der Güte getadelt hat, die ich dir bewiesen habe, möchte mit einigem Schein von Gerechtigkeit wenigstens denken, daß ich einer so schändlichen, niederträchtigen Unternehmung durch die Finger sähe. Ein Unternehmen, an dem dir mein Abscheu nicht unbekannt sein konnte, und an welches du, wäre dir nur das geringste an meiner Ruhe und Ehre sowohl, als an meiner Freundschaft gelegen gewesen, niemals hättest denken können. Pfui über dich, junger Mensch! Ich kenne wirklich kaum eine Strafe, die deinem Verbrechen angemessen wäre, und weiß kaum, ob das, was ich im Begriff bin, an dir zu thun, mit der Gerechtigkeit bestehen kann. Indessen, da ich dich so gut als mein eigenes Kind erzogen habe, so will ich dich nicht nackt in die Welt hinausstoßen. Wenn du also dies Papier öffnest, so wirst du etwas finden, welches dich in den Stand setzen wird, bei ordentlichem[277] Fleiße deinen anständigen Unterhalt zu gewinnen: wirst du es aber zu bösen Endzwecken anwenden, so werde ich mich nicht verbunden erachten dir fernerhin weiter unter die Arme zu greifen, denn ich bin fest entschlossen, von heute an auf keine Weise weiter etwas mit dir zu schaffen zu haben. Das noch kann ich nicht unterlassen dir zu sagen: kein Punkt in deiner ganzen Aufführung hat mehr mein Mißfallen erregt, als dein schlechtes Betragen gegen diesen jungen Mann (er zeigte auf Blifil), welcher an dir so redlich und so zärtlich freundschaftlich gehandelt hat.«

Diese letzten Worte waren fast zu bittere Pillen, um sie verschlucken zu können. Ein Strom von Thränen ergoß sich über Jones' Wangen, und jedes Vermögen, zu sprechen oder sich zu bewegen, schien ihn verlassen zu haben. Es dauerte einige Zeit, bevor er im stande war, Herrn Alwerths bestimmten Befehl zur Abreise zu befolgen. Endlich that er's, nachdem er vorher seine Hände mit einer Inbrunst geküßt hatte, die sich schwerlich affektieren und ebenso schwerlich beschreiben läßt.

Der Leser müßte sehr schwach sein, wenn er, nachdem er überlegt, in welchem Lichte Jones damals dem Herrn Alwerth erschien, diesen wegen zu großer Strenge in seinem Urteile tadeln wollte. Und doch verdammte die ganze Nachbarschaft, entweder aus ähnlicher Schwachheit, oder aus andern schlimmern Gründen diese Gerechtigkeit und Strenge als die härteste Grausamkeit. Ja, eben die Leute, welche vorher den edlen Mann wegen der Güte und Zärtlichkeit getadelt hatten, die er einem Bastard (seinem eigenen, wie die allgemeine Meinung war,) bewiesen hatte, schrieen nun ebenso laut darüber, daß er sein eigenes Kind aus dem Hause gestoßen hätte. Besonders nahmen die Weiber ganz einstimmig Jones' Partei und trugen sich über die Veranlassung mit mehr Geschichtchen umher, als ich in diesem Kapitel Raum habe niederzuschreiben.

Eins muß ich indessen nicht vergessen, daß nämlich bei ihrem jetzigen Splitterrichten keiner der Summe mit einem Worte erwähnte, die sich in dem Papier befand, welches Herr Alwerth dem Jones zustellte, und welche nicht geringer war, als fünfhundert Pfund Sterling; vielmehr waren sie alle darüber einig, er sei ohne einen Pfennig, und einge sagten sogar, nackt von seinem unmenschlichen Vater aus dem Hause gestoßen worden.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 276-278.
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