Viertes Kapitel.

[249] Enthält allerlei Dinge für die Neugier.


Sobald Herr Alwerth zu Hause kam, nahm er seinen Neffen beiseite, und nach einer kurzen Vorrede teilt er ihm den Vorschlag mit, welcher vom Herrn Western gethan worden, und sagte ihm dabei zugleich, wie angenehm ihm selbst diese Verbindung sein würde.

Sophiens Reize hatten auf Herrn Blifil nicht den geringsten Eindruck gemacht; nicht als ob sein Herz schon vorher verplempert, oder er überhaupt gegen alle Schönheit unempfindlich gewesen wäre, oder, als ob er vor dem weiblichen Geschlechte einen Abscheu gehabt hätte: sondern seine Begierden waren von Natur so gemäßigt, daß er durch Philosophie, durch Studieren, oder durch andre Mittel sehr leicht im stande war, sie zu dämpfen; und was jene Leidenschaft betrifft, von der wir im ersten Kapitel dieses unsers sechsten Buches gehandelt haben, davon hatte er kein Gränchen in seiner ganzen Leibes- und Seelenmasse.

Aber so gänzlich rein er auch von der gemischten Leidenschaft war, die wir dort behandelten und von welcher Sophiens Tugend und Schönheit einen so vortrefflichen Gegenstand ausmachten: so war er doch mit andern gewissen Leidenschaften fast ebenso reichlich ausgerüstet, die sich einen weiblichen Genuß an dem schönen Vermögen der jungen Braut versprachen. Diese waren Geldgeiz und Ehrgeiz, welche die Herrschaft über sein Gemüt unter sich teilten. Er hatte den Besitz dieses Vermögens schon oft als eine sehr wünschenswerte Sache betrachtet und hatte darüber gewisse entfernte[249] Absichten gehegt und gepflegt. Seine eigene Jugend aber, und die Jugend des Fräuleins, und freilich dann auch und hauptsächlich der Gedanke, daß Herr von Western noch wieder heiraten und mehr Kinder auf die Welt setzen könnte, hatten ihn abgehalten, nicht gar zu hastig bei der Sache zu verfahren.

Dieses große und höchst wesentliche Hindernis war nun meistentheils gehoben, da der Vorschlag von Herrn Western selbst herkam. Blifil antwortete also dem Herrn Alwerth nach einem sehr kurzen Besinnen: »Heiraten sei eine Sache, an die er noch nicht gedacht habe; er sei aber von seiner freundschaftlich väterlichen Vorsorge so gerührt und überzeugt, daß er in allen Dingen sich gerne seinem Willen unterwerfen würde.«

Alwerth war von Natur ein lebhafter Mann und sein gegenwärtiges gesetztes Wesen war ein Werk der Weisheit und Philosophie und nichts weniger als natürliches Phlegma: denn er hatte in seiner Jugend viel Feuer besessen und hatte eine schöne Frau aus Liebe geheiratet. Er war also von dieser kalten Antwort sei nes Neffen eben nicht sehr erbaut; auch konnte er sich nicht enthalten, sehr warm zu Sophiens Lobe zu sprechen und sich seine Verwunderung merken zu lassen, wie das Herz eines jungen Mannes der Macht solcher Reize widerstehen könnte, wofern es nicht von einer ältern Liebe bewacht würde.

Blifil versicherte, er wisse nichts von einer solchen Wache, und dann fing er an, so weise und fromm über Liebe und Ehestand zu sprechen, daß er einem Vater oder Vormunde, der weit weniger von der Frömmigkeit gehalten hätte, damit das Maul gestopft haben würde. Am Ende ward der edle Mann überzeugt, daß sein Neffe gegen Sophie nicht die geringste Einwendung, vielmehr für sie diejenige Hochachtung habe, welche bei gesetzten und tugendhaften Gemütern der sichere Grund von Freundschaft und Liebe ist. Und da er nicht zweifelte, der Bräutigam würde in kurzer Zeit seiner Braut ebenso angenehm werden, so versprach er allen Teilen viel Glück, das aus einer so anständigen und wünschenswerten Verbindung erwachsen müßte. Mit Blifils Einwilligung also schrieb er den nächsten Morgen an Herrn Western die Nachricht, sein Neffe habe den Vorschlag mit Dank und Freude aufgenommen, und er würde bereit sein, der jungen Dame die Stunde seine Aufwartung zu machen, wo es ihr gefällig sein würde, seinen Besuch anzunehmen.

Western war sehr erfreut über diesen Brief und schickte auf der Stelle seine Antwort; in welcher er, ohne seiner Tochter ein Wort davon gesagt zu haben, noch denselben Nachmittag bestimmte, um die Szene des Brautspiels zu eröffnen.[250]

Sobald er diesen Boten abgefertigt hatte, suchte er seine Schwester auf, die er dabei antraf, daß sie Herrn Schickelmann die Zeitung vorlas und erklärte. Dieser Erklärung mußte er eine gute Viertelstunde beiwohnen, so hart auch der Zwang war, den sein natürliches Ungestüm darunter litt, ehe ihm gestattet ward, zu reden. Endlich fand er gleichwohl eine Lücke, der Dame zu sagen, er habe ein Geschäft von großer Wichtigkeit mit ihr zu überlegen, worauf sie antwortete: »Mon frère, ich bin ganz zu Ihrem Dienste. Im Norden stehn die Sachen so gut, daß ich heute recht en humeur bin.«

Der Pfarrer ging dann hinaus, und Western hinterbrachte ihr alles, was vorgegangen war, und verlangte, sie möchte die Sache Sophien kundthun, was sie gerne und willig übernahm, obgleich bei dem allem ihr Bruder es den freudigen Aspekten im Norden ein wenig zu verdanken haben mochte, daß er so ohne alle kritische Noten über sein Benehmen durchwischte: denn er war wirklich ein wenig zu hastig und heftig.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 249-251.
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