Neuntes Kapitel.

[204] Jones macht einen Besuch bei Madame Fitz Patrick.


Dem Leser wird es vermutlich jetzt angenehm sein, mit uns zum Herrn Jones zurückzukehren, welcher zur bestimmten Stunde bei Madame Fitz Patrick seine Aufwartung machte. Vorher aber, ehe wir die Unterredung erzählen, welche dabei vorfiel, wird es unserer gewöhnlichen Metode zufolge nicht undienlich sein, ein wenig rückwärts zu gehen und die Ursachen einer so großen Veränderung in dem Betragen dieser Dame zu entwickeln, welche, nachdem sie hauptsächlich deswegen ihre Wohnung verändert hatte, um Herrn Jones auszuweichen, ihn dagegen jetzt mit allem Fleiße, wie wir gesehen, aufgesucht hatte, um sich mit ihm zu unterreden.

Und hier werden wir nichts weiter nötig haben, als dasjenige anzuführen, was sich Tages vorher zutrug, da sie, nachdem sie von Frau von Bellaston vernommen, daß der Junker Western zur Stadt gekommen wäre, zu ihm ging, um ihm in seiner Wohnung in Piccadilly ihre Pflicht als Onkel zu bezeigen und sie von ihm mit[204] manchen schmutzigen Invitationen, welche zu ekelhaft waren, um sie hier anzuführen, empfangen und sogar bedroht ward, mit den Füßen zur Thüre hinaus gestoßen zu werden. Von da führte sie ein alter Bediente ihrer Tante Western, mit dem sie von alters her gute Bekanntschaft hatte, nach der Wohnung dieser Dame, welche ihr zwar nicht freundschaftlicher, aber doch höflicher, oder um die Wahrheit zu sagen, mit einer andern Art von Härte begegnete. Kurz, sie verließ beide in der völligen Ueberzeugung, daß sie nicht nur in ihrem Projekte der Aussöhnung für jetzt gescheitert sei, sondern auch alle Gedanken fahren lassen müsse, es jemals damit zustandezubringen. Von diesem Augenblicke an füllte sich ihr Gemüt mit Rachgier, und da sie in dieser Stimmung Herrn Jones im Schauspielhause antraf, so schien sich ihr dadurch eine Gelegenheit darzubieten, für diesen letzten Zweck ein wenig thätig zu sein.

Der Leser muß sich erinnern, daß er in der Nachricht, welche Madame Fitz Patrick von ihrer eignen Liebesgeschichte gab, mit der Zärtlichkeit bekannt gemacht worden ist, welche das hochwohlgeborne gnädige Fräulein von Western zu Bath gegen den Herrn Fitz Patrick zu tragen geruhten, von deren Verunglückung Madame Fitz Patrick die große Bitterkeit herrechnen zu müssen glaubte, mit der ihr ihre Tante begegnet war. Madame Fitz Patrick hegte deswegen nicht den geringsten Zweifel, daß das edle Fräulein Tante den verliebten Schmeicheleien des Herrn Jones ebensoleicht, als ehemals bei dem andern Gehör geben würde; denn das Uebergewicht der Reize war ganz gewiß auf Seiten des Herrn Jones, und die Fortschritte, welche ihre Tante seitdem an Jahren gemacht hatte, müßten, wie sie meinte, (mit was für Grunde, kann ich nicht sagen), dem Projekte viel eher günstig als zuwider sein.

Als ihr demnach Jones aufwartete, that sie ihm vorläufig die Erklärung, wie sie wünschte, ihm angenehme Dienste leisten zu können; ein Wunsch, der wie sie sagte, aus der festen Ueberzeugung herrührte, daß sie dadurch Sophie ungemein verbinden würde. Alsdann brachte sie einige Entschuldigungen vor, warum sie ihn vormals hätte fehlgehen lassen müssen, und nachdem sie endlich noch Herrn Jones bekannt gemacht hatte, in wessen Gewahrsam sich seine Geliebte befände, was er nach ihrer Meinung nicht wußte, ging sie in deutlichen Worten mit ihrem Entwurfe hervor, und gab ihm den Rat, sich in die ältere Dame verliebt zu stellen, um sich dadurch den Zutritt bei der jüngern zu erleichtern. Sie erzählte ihm zugleich dabei, wie gut dieser Kunstgriff schon ehemals dem Herrn Fitz Patrick gelungen sei.

Herr Jones bezeigte der Dame seine große Dankbarkeit für die gütigen Gesinnungen, die sie ihm durch Worte versichert und durch diesen Vorschlag noch kräftiger bezeugt habe, allein außerdem, daß er ihr zu verstehen gab, es möchte diesmal nicht so gut glücken, weil der Dame seine Liebe für ihre Niece bekannt wäre, welches beim Herrn Fitz Patrick nicht der Fall gewesen; so sagte er ihr auch: er fürchte, das junge Fräulein Western würde, sowohl wegen ihres äußersten Abscheus vor aller Falschheit, als wegen ihrer besondern[205] pflichtvollen Achtung gegen ihre Tante, einen solchen Betrug niemals gutheißen.

Madame Fitz Patrick fühlte hierbei ein wenig Nesselbrennen; und in der That, wenn man es nicht einen Verstoß der Zunge nennen soll, so war es doch ein ziemlicher Schnitzer wider die Lebensart vom Herrn Jones, und er würde ihn schwerlich gemacht haben, wenn ihm nicht das Vergnügen das er fühlte, wenn er von seiner Sophie sprach, alle Ueberlegung benommen hätte, denn dies Lob der einen Kousine war mehr noch als ein versteckter Tadel der andern.

»In der That, Herr Jones,« sagte die Dame mit einiger Wärme, »ich wüßte nicht, was leichter wäre, als einem alten Frauenzimmer weiß zu machen, man sei in sie verliebt, wenn sie zumal verliebten Temperaments ist, und ob sie gleich meine Tante ist, so muß ich doch sagen, daß keine so hellige Seele mehr zu finden ist, als Ihro Gnaden. Können Sie nicht vorgeben, daß die Verzweiflung, die Niece zu erlangen, weil sie Herrn Blifil versprochen worden, Sie dahin gebracht habe, Ihre Gedanken auf die Tante zu richten? Meine Kousine Sophie kann ich für kein so einfältiges Gänschen halten, daß sie die geringste Bedenklichkeit gegen so etwas haben, oder sich es als etwas unrechtes vorstellen sollte, wenn einmal eine von diesen Unholdinnen für das häufige Unheil gezüchtigt würde, das sie mit ihren tragisch-komischen Leidenschaften über die Familien ziehen, denn es ist schon schlimm genug, daß sie nicht nach den Gesetzen dafür zu züchtigen sind. Ich hatte dergleichen Skrupel nicht, und doch, hoffe ich, wird meine Kousine sich nicht dadurch beleidigt glauben, wenn ich sage, sie kann eine jede Art von wirklicher Falschheit nicht ärger verabscheuen, als ihre Kousine Fitz Patrick. Pflichtvolle Achtung gegen meine Tante zu haben, des kann ich mich nun freilich nicht rühmen und sie hat es auch nicht um mich verdient. Unterdessen, mein Herr, habe ich Ihnen meinen guten Rat mitgeteilt, und wenn Sie bei sich anstehn ihn zu befolgen, so muß ich meine hohe Meinung von Ihrem Verstande herabstimmen, weiter nichts.«

Jetzt sah Jones ganz deutlich den Schnitzer, den er gemacht hatte, und strebte aus allen Kräften ihn wieder auszumerzen; es glückte ihm aber so schlecht, daß er sich nur immer tiefer in taube Worte saud Widersprüche hineinstotterte und stammelte. Die Wahrheit zu sagen, ist es oft sicherer, es still hingehen zu lassen, wenn man sich einmal verschnappt hat, als zu suchen es wieder gut zu machen, denn gemeiniglich arbeitet man sich nur immer tiefer hinein, anstatt sich herauszuwickeln, und wenige Menschen haben bei solchen Gelegenheiten die Gutherzigkeit, welche Madame Fitz Patrick gegen Herrn Jones bezeigte, da sie ihm mit einem Lächeln sagte: »Sie haben nicht nötig, sich noch weiter zu entschuldigen zu suchen, denn ich kann einem wirklich verliebten Manne alles gar leichtlich verzeihen was, eine Wirkung der Zärtlichkeit für seine Geliebte ist.«

Sie ernuerte hierauf ihren Vorschlag, empfahl solchen sehr dringend und ließ keinen Beweggrund ungenutzt, den ihre Erfindungskraft über diesen Gegenstand nur hervorbringen konnte,[206] denn sie war so heftig gegen ihre Tante aufgebracht, daß sie nichts in der Welt wußte, was ihr mehr Vergnügen gewähren könnte, als sie dem Gelächter preiszugeben und, wie ein wahres Frauenzimmer, wollte sie bei der Ausführung eines Lieblingsprojekts von keinen Schwierigkeiten hören.

Jones beharrte gleichwohl dabei, das Unternehmen von sich abzulehnen, welches auch in der That nicht die geringste Wahrscheinlichkeit eines guten Erfolgs für sich hatte. Er entdeckte ohne Mühe die Ursachen, durch welche sich Madame Fitz Patrick verleiten ließ, ihren Rat so äußerst andringlich zu machen. Er sagte: er wolle die zärtliche und leidenschaftliche Achtung nicht leugnen, die er für Sophie hege, er wäre sich aber der Ungleichheit ihrer Lagen so wohl bewußt, daß er sich niemals mit der Hoffnung schmeicheln könne, ein so göttliches junges Frauenzimmer werde sich soweit herablassen, auf einen Menschen zu denken, der ihrer so unwürdig sei, ja, er beteuerte, er könne es kaum übers Herz bringen, es nur einmal zu wünschen. Er schloß mit Aeußerungen von großmütigen Gesinnungen, die wir für jetzt nicht Muße haben herzusetzen.

Es gibt einige feine Damen (denn ich wage es hier nicht, gar zu allgemein zu sprechen), bei denen die Ichheit so durch und durch vorleuchtet, daß sie solche niemals von irgend einem Gegenstande trennen, und weil Eitelkeit bei ihnen ein Triebrad ist, so sind sie geneigt, jedes Lob, das ihnen in den Weg kommt, aufzugreifen und es, ob es gleich fremdes Eigentum ist, zu ihrem eigenen Gebrauche anzuwenden. In Gesellschaft solcher Damen ist es unmöglich von einem andern Frauenzimmer etwas artiges zu sagen, was sie nicht auf sich selbst bezögen; ja, oftmals verschönern sie noch die Lobsprüche, welche sie solchergestalt auffangen, als zum Beispiele, wenn dieser ihre Schönheit, ihr Witz, ihre Artigkeit, ihr munteres Wesen, soviel Lob verdienten, was verdiene denn nicht ich, die ich diese Eigenschaften in einem soviel vorzüglichern Grade besitze?

Bei dieser Art Damen macht sich ein Mann oft sehr beliebt, indem er andre Frauenzimmer preist, und unterdessen daß er seine feurigen und großmütigen Gesinnungen für seine Geliebte ausdrückt, gehen sie mit dem Gedanken um, was für ein reizender Liebhaber dieser Mann für sie sein müßte, der alle diese Zärtlichkeit für einen geringern Grad von Verdiensten fühlen kann. Hiervon, so seltsam es scheinen mag, habe ich manches Beispiel gesehen, noch außer Madame Fitz Patrick, welcher alles dieses wirklich begegnete, und welche jetzt für Herrn Jones ein gewisses etwas zu fühlen begann, wovon sie die Symptome viel eher verstand, als Sophie solche ehedem verstanden hatte.

Vollkommne Schönheit ist, die Wahrheit zu bekennen, an beiden Geschlechtern ein weit unwiderstehlicherer Reiz, als man gewöhnlich denkt; denn ungeachtet, daß sich einige von uns mit einem geringeren Los begnügen und als eine aufgegebene Lektion auswendig lernen (wie Kinder in den Schulen ihre Sprüche aufsagen, ohne bei den Worten etwas zu denken), daß man nicht auf das Aeußerliche,[207] sondern auf wesentliche Vorzüge sehen müsse, so habe ich doch immer bemerkt, wenn eine vollendete Schönheit zum Vorschein gekommen ist, daß jene wesentlichern Vorzüge bloß mit der Art von Glanze scheinen, welche man an den Sternen wahrnimmt, nachdem die Sonne aufgegangen ist.

Als Jones seine Ausrufungen geendigt hatte, wovon viele im Munde des Oroondates selbst nicht unzierlich geklungen haben würden, holte Madame Fitz Patrick einen tiefen Seufzer, wendete ihre Augen vom Herrn Jones ab, auf welchen solche eine Zeitlang geheftet gewesen waren, senkte ihre Blicke zur Erde und rief: »In der That, Herr Jones, ich bedaure Sie! Aber gewöhnlich ist es das Los solcher Zärtlichkeit, daß sie an solche Personen verschwendet wird, die dagegen unempfindlich sind! Ich kenne meine Kousine besser als Sie, Herr Jones, und ich muß sagen, daß jedes Frauenzimmer, das eine solche Leidenschaft und eine solche Person nicht mit Gegenliebe erkennt, beider unwürdig ist.«

»In Wahrheit, gnädige Frau,« sagte Jones, »Sie können nicht meinen –« – »Meinen?« rief Madame Fitz Patrick, »ich weiß nicht, was ich meine. In der wahren Zärtlichkeit, denk' ich, liegt ein gewisser Zauber! Nur sehr wenige Frauenzimmer treffen solche bei Mannspersonen an, und noch wenigere wissen sie, wenn sie solche antreffen, sie nach ihrem wahren Werte zu schätzen. Ich habe noch niemals solche wahre, edle Gesinnungen gehört, und ich weiß nicht wie es zugeht, aber Sie zwingen einen, Ihnen zu glauben. Wirklich, es muß das nichtswürdigste Frauenzimmer sein, welches solche Verdienste zu übersehen imstande ist.«

Ton und Blick, womit alles dieses gesprochen wor den, flößten Herrn Jones einen Argwohn ein, welchen wir dem Leser nicht gerne mit dürren Worten mitteilen wollen. Anstatt darauf zu antworten, sagte er: »Ich fürchte, gnädige Frau, ich habe Ihnen mit meinem Besuch zu viel Langeweile gemacht!« Und dabei machte er Anstalt zum weggehn.

»Ganz und gar nicht, Herr Jones!« antwortete Madame Fitz Patrick. – »In Wahrheit, ich bedaure Sie, Herr Jones, in Wahrheit, das thu' ich! Wenn Sie aber schon weggehn wollen, so überlegen Sie ja den Plan, den ich Ihnen gesagt habe. Ich bin überzeugt, Sie werden ihn billigen, und besuchen Sie mich wieder, sobald Sie können – morgen früh, wenn Sie belieben, oder zu welcher Stunde Sie morgen sonst wollen. Ich will den ganzen Tag zu Hause bleiben.«

Hierauf nahm Jones unter vielen Danksagungen sehr ehrerbietigen Abschied; auch konnte Madame Fitz Patrick sich nicht entbrechen, ihm ein Abschiedspräsent mit einem Blicke zu machen, der so deutlich sprach, daß, wenn er daraus nichts verstanden hätte, er gar keinen Begriff von der Augensprache gehabt haben müßte. Wirklich bestärkte dieser Blick seinen Entschluß, nicht wieder zu ihr zu gehen, denn so fehlerhaft er auch bisher in dieser Geschichte geschienen hat, so waren doch jetzt seine Gedanken so gänzlich auf Sophie eingeschränkt, daß ich glaube, kein weibliches Geschöpf auf[208] Gottes Erdboden hätte ihn nun mehr zu einer Handlung der Unbeständigkeit verleiten können.

Madame Fortuna aber, die nicht seine Freundin war, beschloß, weil er willens wäre, ihr keine zweite Gelegenheit zu geben, sich die jetzige zu nutze zu machen, und demzufolge richtete sie den tragischen Vorfall in die Wege, welchen wir nun in klagenden Tönen erzählen wollen.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 204-209.
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