Siebentes Kapitel.

[198] Herr Western macht, in Gesellschaft Herrn Blifils, einen Besuch bei seiner Schwester.


Ihro Gnaden, Fräulein Tante von Western waren im vollen Geschäft, Dero Nièce eine Vorlesung über Klugheit und Ehestandspolitik zu halten, als ihr Bruder und Blifil mit weniger Zeremonien als die Visitengesetze erheischen, hereinbrachen. Sobald Sophie Herrn Blifil sah, ward sie blaß und verlor fast den Gebrauch ihrer Sinne. Ihre Tante hingegen setzte einen roten Kamm auf, und da ihr alle ihre Sinne und Kräfte zugebote standen, so begann sie, ihre Zunge gegen den Junker in Gang zu setzen.

»Mon Frère,« sagte sie, »ich erstaune über Ihre Aufführung! Wollen Sie denn niemals lernen, einige Achtung für das Decorum zu haben? Wollen Sie denn ein jedes Appartement für[198] das Ihrige ansehen, oder als ob es einem Ihrer Landpächter zugehörte? Meinen Sie denn, daß Sie die Freiheit haben, so ohne alle Décence und ohne alles Anmelden Damen von Stande in ihren geheimen Gemächern zu überfallen?« – »Wie, was Hagel! gibt's nun schon wieder?« schrie der Junker. »Sollt' man nicht mein'n, ich käm' eben drüber zu, daß sie – –« – »Nur keine von Ihren Zoten, Herr, das verbitt' ich mir,« antwortete sie. – »Sie haben meine arme Nièce so überrascht, daß sie sich, wie Sie sehen, kaum auf den Füßen halten kann. – Geh', meine Beste, begieb dich in dein Zimmer und suche deine Lebensgeister wieder zu sammeln, denn ich sehe, du hast es nötig!« Bei welchen Worten Sophie, die niemals einen willkommeneren Befehl erhalten hatte, eilig fortging.

»Nun, mein Seel, Schwester, du bist toll!« schrie der Junker. »Zwingst sie wegzugehen, da ich den Junker eignes Gewerbs herbring' daß er 'r schön thun soll und ums Jawort bitten.«

»Gewiß, mon Frère, Sie sind noch ärger als toll, da Sie wissen, in was für einer Situation die Affairen stehen, so – ich bin gewiß, – ich bitte Herrn von Blifil um Verzeihung, aber ich bin gewiß, daß er recht gut weiß, wem er einen so unangenehmen Empfang beizumessen hat. Was mich selbst anbetrifft, so wird mir es allemal ein Vergnügen sein, Herrn von Blifil bei mir zu sehen, seine eignen guten Einsichten würden's ihm aber nicht gestattet haben, so unangemeldet zuzufahren, wenn Sie ihn nicht dazu genötigt hätten.«

Blifil machte seinen Kratzfuß, stotterte und sah aus wie ein Schafskopf; Western aber, ohne ihm Zeit zu lassen, seine behufige Rede vorzubringen, antwortete: »Nu, ja denn, ich habe schuld, wenn du meinst, ich hab's ja immer, freilich! Aber komm, hörst! laß daß Mädchen wieder hol'n oder laß Herrn Blifil zu ihr gehn – Er ist ja drum herkommen und es ist kein' Zeit zu verlieren.«

»Mon Frère,« rief die Schwester, »Herr von Blifil, weiß ich zuversichtlich, besitzt zu viel Verstand, als daß er, nach dem, was vorgegangen ist, heute morgen ma Nièce noch wiederzusehen verlangen sollte. Damen haben gar feine Nerven, und wenn unsre Lebensgeister einmal in Unordnung gebracht sind, so lassen sie sich nicht so im Augenblick wieder herstellen. Hätten Sie Herrn von Blifil gestattet, daß er ma Nièce hätte seine Empfehlung sagen und um die Erlaubnis bitten lassen, ihr heute nachmittag seine Aufwartung machen zu dürfen, so hätte ich sie vielleicht dahin vermocht, seinen Besuch anzunehmen; aber nun zweifle ich fast daran, daß so etwas möglich zu machen sein wird.«

»Es thut mir sehr leid, Ihro Gnaden,« sagte Blifil, »daß die außerordentliche Gewogenheit des Herrn von Western für mich, die ich niemals mit genugsamem Danke erkennen kann, die Ursach' gewesen sein muß, daß« – »In der That, mein Herr,« fiel sie ihm ins Wort, »Sie haben nicht Ursach', sich im geringsten zu entschuldigen, wir alle kennen meinen Herrn Bruder zu gut.«

»Mein'thalben mag mich kenn'n wer will!« erwiderte der Junker.[199] »Aber, wann muß er denn wieder komm'n, mit 'r zu sprech'n? Denn, bedenk's doch, 'ch sag' dir ja, daß 'r eignes Gewerbs drum herkommen ist, und Nachbar Alwerth auch.« – »Mon Frère,« sagte sie, »was für Gewerbe Herr von Blifil an ma Nièce bestellen zu lassen für gut befinden wird, die sollen richtig in ihre Hände geliefert werden und ich meine, sie bedürfe keines Unterrichts, darauf in gehöriger Form zu antworten. Ich bin überzeugt, sie wird sich nicht weigern, Herrn von Blifil zu einer schicklichen Zeit zum Besuche anzunehmen.« – »Ja, sie wird, den Teufel auch,« schrie der Junker. »Daß dich alle tausend! – wenn wir s' nicht kennt'n! Ich will nichts sag'n, aber 's gibt so Leute, die immer klüger sind als d' ganze Welt! – Hätt' ich nur mein'n Will'n hab'n können, sie sollt' mir vorhin nicht davongelaufen sein. Und nun seh' ich's schon kommen, ich erwart' all' Augenblick', zu hören, s' ist wieder Heidi gangen. Ja, ja, so dumm, wovor mich gewisse Leute halten, so weiß ich's doch recht gut, sie haßt – –« – »Was soll das hier, mon Frère?« erwiderte die Dame. »Ich will's nicht leiden, daß man meiner Nièce was übles nachsagt. Das fiele auf meine Familie zurück, und der macht sie Ehre und wird ihr Ehre machen, das sag' ich Ihnen. Ich setze für ihre Aufführung meine ganze Reputation in der Welt zum Pfande. Es wird mir lieb sein, mon Frère, Sie diesen Nachmittag wiederzusehen, ich habe Ihnen alsdann etwas wichtiges zu sagen. – Für jetzt müssen sowohl Herr von Blifil als Sie mich entschuldigen, denn ich muß mich eilig ankleiden.« – »Nun gut! aber,« sagte der Junker, »setz' doch nur 'ne Zeit.« – »In der That,« sagte sie, »ich kann keine Zeit bestimmen. – Ich sag' Ihnen, heut' nachmittag will ich Sie sprechen.« – »Was Teufel, willst du, daß ich machen soll, siehst du!« schrie der Junker gegen Blifil. »Ich kann sie so wenig herumholen als 'n Wölp einen alten Hasen. Kann sein daß 'r heut' nachmittag der Kopf besser steht.« – »Ich seh' wohl, Herr von Western,« antwortete Blifil, »ich bin zum Unglück bestimmt! Aber ich werde dennoch niemals vergessen, wie viel ich Ihnen schuldig bin.« – Hierauf beurlaubte er sich mit vielen Komplimenten bei Ihro Gnaden, Fräulein von Western, welche ihrerseits fast ebensoviel Zeremonien dagegen machte, und beide gingen weg, der Junker mit einem Schwure, den er zwischen den Zähnen murmelte, daß Blifil den Nachmittag noch seine Tochter sehen und sprechen sollte.

Wenn Herr Western von diesem Besuche nicht sonderlich erbaut war, so war es Blifil noch weniger. Was den ersten anbetrifft, so schob er das ganze Benehmen seiner Schwester bloß auf ihre üble Laune und auf ihr Mißvergnügen darüber, daß sie die Visiten-Zeremonien unterlassen hätten; Blifil sah aber ein wenig tiefer auf den Grund der Sachen. Aus zwei oder drei Worten, die der gnädigen Dame entfallen waren, argwöhnte er etwas von mehrerem Belang, und, die Wahrheit zu sagen, argwöhnte er richtig, wie erhellen wird, wenn wir die verschiedenen Materien auseinandergewickelt haben werden, die das folgende Kapitel enthält.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 198-200.
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