Zweites Kapitel.

[175] Ein schnakisches Abenteuer, das dem Junker Western begegnete, und Sophiens traurige Lage.


Wir müssen nunmehr den Leser nach Herrn von Westerns Wohnung bringen, die er auf Empfehlung des Gastwirts zu den Herkules-Säulen an der Ecke von Hyde Park, in einem Hause in Piccadilly genommen; denn in den Herkules-Säulen, welches das erste Wirtshaus war, dessen er bei seiner Ankunft in die Stadt ansichtig wurde, brachte er seine Pferde unter, und in dieser Wohnung, welches die erste war, wovon man ihm sagte, sich selbst.

Als hier Sophie aus der Mietkutsche stieg, in welcher sie aus Frau von Bellastons Hause herfuhr, verlangte sie nach dem Zimmer, welches für sie bestellt wäre, worein der Vater sehr gerne willigte, und sie dahin selbst begleitete. Ein kurzes Gespräch, das aber weder wesentlich noch anmutig genug war, um es wörtlich herzusetzen, erfolgte drauf zwischen ihnen, in welchem er ihr aufs heftigste zusetzte, ihr Jawort zur Heirat mit Blifil zu geben, welcher, wie er ihr kund that, binnen wenig Tagen in der Stadt sein würde. Anstatt aber einzuwilligen, gab sie vielmehr eine kürzere und entschlossenere abschlägige Antwort, als sie noch jemals gegeben hatte. Dies stieß den Vater dergestalt vor den Kopf, daß er nach manchem bittern Fluche sie heilig versicherte, er wolle sie schon nötigen, ihn zu nehmen, sie möchte wollen oder nicht, von ihr ging, unter Schelten und Fluchen die Thüre zuschloß, und den Schlüssel zu sich steckte.

Derweilen Sophie da saß, ohne alle andre Gesellschaft als die, welche man auch dem schwersten Staatsgefangnen nicht zu nehmen pflegt, nämlich: Feuer und Licht, setzte sich der Junker hin, um sich bei einer Flasche Wein mit seinem Pfarrer und dem Wirte aus den[175] Herkules-Säulen gütlich zu thun, welcher letztere, wie der Junker sagte, ein exzellenter dritter Mann sein würde und erzählen könnte, was in der Stadt neues vorginge; denn ganz gewiß, sagte er, muß er einen Haufen wissen, weil soviele adlige Pferde von der höchsten Noblesse bei ihm einkehren.

In dieser anmutigen Gesellschaft brachte Junker Western den ganzen Abend und einen großen Teil des folgenden Tages hin, während welcher Periode nichts vorfiel, das wichtig genug gewesen, um in dieser Geschichte Platz zu finden. Diese ganze Zeit brachte Sophie in völliger Einsamkeit zu; denn ihr Vater schwur, sie sollte niemals wieder lebendig aus ihrer Kammer kommen, wenn sie nicht erst einwilligte, Herrn Blifil zum Manne zu nehmen. Er litt auch nicht einmal, daß die Thüre aufgeschlossen wurde, als bloß, ihr das Essen zu bringen, bei welchen Gelegenheiten er aber immer selbst dabei war.

Den zweiten Morgen nach seiner Ankunft, als er mit seinem Pfarrer bei einer gerösteten Semmel mit Butter und einer Kanne Doppelbier zum frühstücken saß, ward ihm angesagt, daß ein Edelmann unten wäre, der ihn zu sprechen wünschte.

»Ein Edelmann!« sprach der Junker, »wer beim Teufel! kann das sein? Thut mir 'n Gefallen, Doktor, geht mal hinunter, und seht zu, wer es ist. Blifil kann schwerlich schon in'r Stadt sein. – Thun Sie mir 'n Gefallen und hörn mal zu, was er will.«

Der Doktor kam wieder mit der Nachricht, es wäre ein wohlgekleideter Mann, und aus der Bandschleife am Hute zu schließen, wäre es ein Offizier von der Armee; er sagte, er habe ein eigenes Gewerbe, das er an Herrn von Western selbst ausrichten müßte.

»Ein Offizier, der!« rief der Junker. »Was kann so 'n Kerl mit mir zu thun haben? Wenn er Zeddel auf Kriegsfuhren haben will, die kann 'ch 'n hier nicht geben; hier bin 'ch kein' Obrigkeit; und Werbpässe kann 'ch 'n auch nicht geben – nun, laß 'n denn heraufkommen, wenn er mich ja sprechen muß.«

Ein sehr wackerer Mann trat darauf ins Zimmer, welcher, nachdem er dem Junker sein Kompliment gemacht und sich die Gewogenheit ausgebeten hatte, mit ihm allein zu sein, folgendes Gewerbe anbrachte:

»Mein Herr, ich habe die Ehre Ihnen aufzuwarten, auf Befehl des Herrn Grafen von Liebegrimm, aber mit einem ganz verschiedenen Auftrage, als Sie vermutlich nach dem, was vorgestern abend vorgefallen ist, erwarten mögen.«

»Graf! was für 'n Graf?« rief der Junker. »Ich hab den Namen nie gehört.«

»Se. Hochgeboren der Herr Graf,« sagte der Offizier, »sind bereit und willig, alles Vorgefallene der Wirkung des Trunks zuzuschreiben, und das unbedeutendste Geständnis dieser Art wird alles wieder in sein voriges Gleis setzen, denn, weil sie die zärtlichste Neigung zu Ihrem Fräulein Tochter hegen, so wären Sie, mein Herr, die letzte Person auf dem Erdboden, an welchen dieselben eine Beleidigung ahnden möchten, und ein Glück ist es für Sie alle[176] beide, daß der Herr Graf bereits so öffentlich bekannte Beweise von seiner Herzhaftigkeit gegeben hat, die ihn instandsetzen, eine Beleidigung von dieser Art so ungerächt hingehn zu lassen, ohne seine Ehre dadurch in üble Nachrede zu bringen. Deswegen besteht alles, was er verlangt, bloß darin, daß Sie mir gewissermaßen ein Geständnis thun; das glimpflichste von der Welt soll angenommen werden, und dann sind Se. Hochgräfliche Gnaden gesonnen, Ihnen heute nachmittag Dero Respekt zu bezeigen, in der Hinsicht, Ihre Erlaubnis zu erhalten, die junge Dame, Ihr Fräulein Tochter, auf den Fuß eines Liebhabers besuchen zu dürfen.«

»Ich versteh' nicht so recht, was Sie sagen wollen, mein Herr,« sagte der Junker, »aber aus dem, was Sie so von mein'r Tochter sagen, mag's wohl sein, dünkt mir, daß Ihr Hochgeborner der Herr Graf ist, von dem mir mein' Kousine, Frau von Bellaston, so was erwähnt hat und so was von Werbung um meine Tochter sagte. Wenn nun, so gleichsam sozusagen, das so wäre – so können Sie nur dem Höchstgebornen Herrn Grafen meine Dienste zuvor vermelden und sagen, das Mädchen wär schon versagt.«

»Vielleicht, mein Herr,« sagte der Offizier, »sind Sie von der Größe dieses Anerbietens nicht hinlänglich unterrichtet. Ich sollte glauben, eine solche Person von solchem hohen Stande und so großem Reichtume würde nirgendwo eine abschlägige Antwort erhalten.«

»Sehn Sie, Herr!« antwortete der Junker, »ganz treuherzig zu sagen, meine Tochter ist schon versprochen; aber wenn das auch nicht wär', so gäb' ich sie doch kein'm Grafen, und wär' er noch so hochgebor'n. Ich hasse alle die hoh'n Herrn; 's ist ein Rudel Hofschranzen und die meiste sind ausländsche Leut, und 'ch will nichts mit'n zu thun haben!«

»Wohl, mein hochgeehrter Herr,« sagte der Offizier; »wenn Ihre Entschließung also beschaffen ist, so enthält die Botschaft, die ich Ihnen von Sr. Hochgräflichen Gnaden zu überbringen habe, daß solche um die Ehre Ihrer Gesellschaft ersuchen, und zwar noch heute vormittag im Hyde Park.«

»Sie können nur 'm Grafen sagen,« antwortete der Junker, »daß ich was zu thun habe und nicht kommen kann. Ich habe gnug und satt im Hause zu schaffen und kann nicht ausgehn, wenn 'ch auch ich weiß nicht was zu holen wüßte.«

»Ich bin versichert, mein hochgeehrter Herr,« erwiderte der andre, »Sie sind ein viel zu braver Kavalier, eine solche Antwort zurückzusenden. Sie werden nicht, des bin ich gewiß, von sich gesagt sein lassen, daß Sie einem Pair des Reichs, nachdem Sie ihm an die Ehre gegriffen, die gebührende Satisfaktion versagt hätten. Se. Hochgeborn hätten gerne, aus sonderbarer Hochachtung für die junge Dame, die Sache auf eine andre Art beilegen wollen. Aber es sei denn, daß er Sie als Vater betrachten darf, sonst leidet seine Ehre es nicht, einen solchen Schimpf einzustecken, als Sie, wie Sie wohl wissen müssen, ihm zufügen wollen.«

»Ich ihm zufügen wollen?« schrie der Junker; »'s ist 'ne vermaledeite Lüge. Ich hab'n niemals was zufügen wollen.«[177]

Auf diese Worte, worunter das Wort Lüge für einen Briten besonders ganz unverdaulich war, erwiderte der Offizier einen sehr kurzen mündlichen Verweis, und diesen begleitete er zu gleicher Zeit mit einigen fühlbaren Zurechtweisungen, welche nicht so bald die Ohren des Herrn Western berührten, als der würdige Junker sehr rasch im Zimmer herumzuhüpfen begann und dabei aus allen Kräften blöckte, als ob er eine größere Anzahl von Zuschauern herbeirufen wollte, die seine Gewandtheit mit ansehn möchten.

Der Pfarrer, der mit seinem Frühstück noch lange nicht fertig geworden war, hatte sich nicht weit entfernt; er eilte also ungesäumt auf des Junkers Schreien herbei und rief: »Um's Himmels willen! Junker, was gibt's hier?« – »Was 's gibt?« versetzte der Junker, »da ist'n Straßenräuber, glaub' ich, der mich bestehlen will und morden. Denn 'r ist über mich herg'fall'n, mit dem Prügel da, den 'r in der Hand hält, da ich doch vermaledeit sein will, wenn 'ch 'n nur ein Duwort g'sagt hab.«

»Was, Herr,« sagte der Offizier, »sagten Sie nicht, ich löge?«

»Nein, so wahr 'ch selig zu werden denke!« antwortete der Junker. »Ich glaub' ich mag gesagt hab'n – 's wär' 'ne Lüge, daß ich dem Grafen hätt 'n Schimpf anthun woll'n. Aber aus mein'm Maul ist das Wort nicht gekommen: Sie lügen! Ich weiß besser, was 'ch thue, und der Herr hätt' auch besser wiss'n soll'n, was er thät, als über'n nackten Mann herzufallen. Wenn ich 'n Prügel in der Hand gehabt hätte, sollt'st dich's mal unterstand'n hab'n mich zu schlag'n, 'ch hätt' dich wichs'n woll'n, daß dir die Backenknochen hätt'n soll'n um d' Ohren fliegen, wie Dreschkaff! Komm 'runter in'n Hoff, gleich! 'ch will 'n Gang auf Faustkeule mit 'r thun, um 'n paar Löcher im Kopf; so will 'ch! Oder 'ch will in 'ne nackte Kammer mit 'r gehn, und 'r 'n Panzen voll boxen, das d'r von nachzusag'n hab'n sollst. Bist nur 'n Matzpump von Kerl, bist du nur! Sieh, das sag' ich!«

Der Offizier erwiderte mit einiger Verachtung: »Ich seh', Herr, Sie sind nicht wert, daß ich mich mit Ihnen einlasse, und ich werde dem Grafen sagen, daß Sie's für ihn nicht wert sind. Mir thut's leid, daß ich an Ihnen meine Finger besudelt habe!« Mit welchen Worten er von dannen ging. Der Pfarrer verhinderte dabei den Junker, daß er ihm nicht nachliefe, womit er denn auch eben nicht viel Mühe hatte, weil der andre, ob er sich gleich ein wenig sträubte, doch nicht gar zu heftig darauf erpicht zu sein schien. Inzwischen schickte der Junker, als der Offizier fort war, manchen Fluch und manche Drohung hinter ihm her; weil ihm solche aber nicht eher über die Lippen gingen, als bis der Offizier die Treppen hinunter war, und nur immer lauter und lauter wurden, sowie jener sich weiter und weiter entfernte, so kamen sie ihm nicht zu Ohren, oder hinderten ihn wenigstens nicht am weggehn.

Die arme Sophie indessen, welche in ihrem Gefangenenzimmer ihres Vaters Geschrei von Anfang bis Ende mit anhörte, begann nun erst mit dem Fuße zu donnern, und hernach ebenso laut zu schreien, als der alte Herr vorher gethan hatte, obgleich mit einer[178] viel wohlklingendern Stimme. Dies Geschrei brachte den Junker sehr bald zum Schweigen und zog alle seine Aufmerksamkeit auf seine Tochter, welche er so inniglich liebte, daß die geringste Besorgnis, es möchte ihr was zugestoßen sein, ihn gleich in Angst und Schrecken setzte. Denn, den einzigen Umstand ausgenommen, wobei es auf die ganze künftige Glückseligkeit ihres Lebens ankam, standen alle seine Neigungen unter ihrer unumschränkten Gewalt.

Nachdem er alle seine Wut hinter dem Offizier herausgelassen und geschworen hatte, er wolle ihn vor Gericht ziehen, ging endlich der Junker hinauf zu Sophie, welche er, sobald er die Thüre aufgeschlossen und aufgemacht hatte, ganz blaß und außer Atem fand. Indessen faßte sie den Augenblick, als sie ihren Vater sah, alle ihre Kräfte zusammen und rief, indem sie ihn bei der Hand faßte, mit innigster Bewegung: »O liebster Papa, ich bin fast des Todes vor Schrecken! Ich hoffe zum Himmel, daß Ihnen doch kein Leids widerfahren ist.« – »Nä, nä!« rief der Junker, »viel Leids eben nicht. Der Schurke hat mir eben nicht viel gethan; aber Ohrfeigen will 'ch hab'n, wenn 'ch 'n nicht zitieren lasse,« – »O liebster Papa, ich bitte,« sagte sie, »erzählen Sie mir doch, was war 's denn? wer ist es, der Sie angefallen hat?« – »Dem Namen von 'm weiß 'ch nicht,« antwortete Western. »So 'n Offizierkerl, glaub' ich, die wir dafür bezahlen müssen, daß s' uns schlag'n. Aber diese Prügelei soll 'r teuer genug bezahlen, wenn 'r was hat, wie 'ch wohl nicht glaube, daß er hat. Denn obschons er so fein herausstaffiert war, so zweifl' ich doch, daß er 'n fußbreit Land auf Gottes Erdboden sein nenn'n kann.« – »Aber, liebster Papa,« sagte sie, »worüber kam denn der Streit her?« – »Worüber sollt'r herkommen,« antwortete der Junker, »als über dich, Fiekchen? Worüber sonst kommt all' mein Kreuz und Leiden her, Fiekchen? Du wirst deinen armen Vater noch unter d' Erde bringen! Da ist n' Laff' vom Grafen, Gott weiß wer 'r ist! der hat Lust zu dir gekriegt, und weil 'ch 'n nicht mein Jawort geben wollt', so läßt er mich 'raus fordern. Komm, sei 'n fromm Kind, Fiekchen, und mach dem Kreuz deines Vaters 'n Ende. Nu, komm! thu's doch! Sag' ja, willst 'n hab'n! Er wird in 'r Stadt sein, heut' noch, od'r morgen, versprich mir nur, daß du 'n nehm'n willst, sobald 'r kömmt, so machst du mich zum glücklichsten Mann in 'r Welt, und ich 'll dich zur glücklichsten Frau mach'n. Sollst die schönsten Kleider haben, die in der ganzen Stadt zu krieg'n sind, und die schönsten Jewelen, und 'ne Kutsche mit Sechsen, wenn du nur sprichst! Ich hab's Allwerten schon zugesagt, daß ich mein halbes Einkommen aufgeben will, und gib mir 'ne Ohrfeige, wenn ich mich lange besinne, alles zu verschreiben.« – »Will mein lieber Papa so gütig sein, und will mich anhören?« – »Was frägst' noch, lieb's Fiekchen?« rief er. »Weißt ja, daß 'ch dein' Stimm' lieber hör', als die Musik der besten Kuppel Hund' im ganzen Land. Anhören! dich? lieb's Herzenstöchterchen! Ich hoff', ich will 'ch hören, so lang' als 'ch lebe; denn, wenn 'ch die Freud' nicht mehr hab'n sollt', so geb' 'ch um mein ganzes Leben kein Ei und Butterbrot mehr! Mein Seel![179] Fiekchen, du weißt nicht, wie lieb 'ch dich halte! wahrlich du weißt's nicht, sonst hätt'st du nicht so weglaufen können von mir, und deinen armen Vater so verlassen, der kein' andre Freud' hat, un' keinen andern Trost auf der Welt, als sein klein süß Fiekchen.« Bei diesen Worten standen ihm die Thränen in den Augen, und Sophie (der die Thränen über die Wangen rollten) antwortete: »In Wahrhelt, liebster Papa, ich weiß, Sie haben mich sehr lieb gehabt, und Gott ist mein Zeuge, wie herzlich ich Ihre Liebe erwidert habe, und nichts in der Welt hätte mich antreiben können, aus dem Hause eines Vaters, den ich so inniglich lieb habe, heimlich wegzugehen, als die Furcht, in die Arme dieses Mannes gezwungen zu werden. Gott weiß, daß ich eher tausend Leben für seine Glückseligkeit aufgeopfert haben wollte; ja, ich habe mich bestrebt, mich noch zu weit mehrerem zu bereden, und hatte mich beinahe zu dem Entschlusse hinvernünftelt, das allerelendeste Leben zu wählen und mich Ihrem Willen zu unterwerfen. Aber diese einzige Entschließung war es, zu der ich mein Gemüt nicht zwingen konnte, und niemals können werde.« Hier begann der Junker ganz wild auszusehn, und der Schaum zeigte sich auf seinen Lippen. Sophie, die dies bemerkte, bat, er möchte sie vollends aushören, und fuhr darauf fort: »Wenn meines teuern Vaters Leben, seine Gesundheit, oder sonst ein wahres Glück für ihn auf'm Spiel stände, so steht hier Ihre entschloßne Tochter! und möge mir der Himmel all seinen Segen entziehn, wenn ich mich nicht allem Jammer preisgeben wollte, um Ihr Wohlsein zu erhalten. Ja, dem widerwärtigsten, den ich für mich unter allen Menschen kenne, wollte ich in die Arme fliegen. Für Ihr Wohl wollte ich Blifiln meine Hand geben.« – »Ich sag' dir ja, 's wird mich beim Wohlsein erhalten,« antwortete der Vater, »'s wird mir Glück bringen, Gesundheit und Leben, und all's. Bei meiner armen Seele! Sieh! ich werde sterben, wenn du nicht ja sagst. Vor Gram sterb' ich; bei meiner armen Seele! so thu' ich!« – »Ist's möglich,« sagte sie, »daß Sie so darauf gestellt sein können, mich elend zu machen?« – »Ich sag' Dir's ja, nein!« antwortete er schreiend; »ich bin gänzlich drauf g'stellt, dich glück lich zu machen. Ich! – Verwünscht will 'ch sein, wenn ich was wüßte, das ich nicht thun wollt', dich glücklich zu machen!« – »Und will denn mein liebster Papa nicht glauben, daß ich auch ein klein wenig wisse, was mich glücklich machen kann? Wenn nun des Menschen Glückseligkeit in seiner Einbildung bestünde, wie müßte mein Zustand aussehn, wenn ich mich für die allerunglückseligste Person unter allen auf der Welt hielte!« – »Besser, daß du dir's einbildst,« erwiderte der Vater, »als daß du's wirklich wirst, wenn du 'n Bettlerlumpen von Landstreicher heirat'st!« – »Wenn Sie damit sich beruhigen wollen,« sagte Sophie, »so will ich Ihnen aufs feierlichste versprechen, niemals, weder ihn noch einen andern, ohne den Willen meines Vaters zu heiraten, so lang' er lebt. Lassen Sie mich mein ganzes Leben Ihrem Dienst weihen; lassen Sie mich wieder Ihr armes kleines Fiekchen sein und mein ganzes Vergnügen, alle meine Sorgen darein setzen, wie ehmals, Ihnen Vergnügen und Zeitvertreib[180] zu machen.« – »Weißt du was, Sophie?« antwortete der Junker, »das Kosen laß mans bleiben, 's will's 'n nicht thun. Ja, da kriegt deine Tante nur recht, mich für den Gimpel zu halten, wie sie thut. Nä, nä, Sophie! so mußt mir nicht kommen! dazu hab' ich zu viel Weisheit im Kopf und kenn' die Welt viel zu gut, daß ich mich auf's Wort eines Weibsen verlassen sollt', wenn noch darzu in der Flader ist.« – »Aber lieber Papa,« sagte die Tochter, »womit hab' ich dies Mißtrauen verdient? Hab' ich jemals ein Versprechen gebrochen? Oder haben Sie mich von meiner Wiege an jemals auf einer Falschheit betroffen?« – »Nun, seh' man's, Fieke,« versetzte der Vater, »Falschheit hin, Falschheit her! Ich hab' nun einmal mein'n Kopf auf diese Heirat gesetzt, und hab'n sollst 'n. Mein Seele! das sollst; mein Seel', wenn 'n nicht sollst! Und wenn d'ch auch den Tag drauf ersäufst, oder aufhängst.« Sowie er diese Worte sagte, ballte er die Faust, faltete die Stirn, biß sich die Lippen und donnerte so laut, daß die arme, betrübte, erschrockene Sophie zitternd in einen Sessel zurücksank, und wäre nicht bald eine Thränenflut ausgebrochen und hätte ihr Luft gemacht, so hätte es sehr schlimm gehen können.

Western sah die beweinenswürdige Gemütsverfassung seiner Tochter mit ebensowenig Bedauern oder Rührung, als ein alter Gefangnenwärter die Seelenqual einer zärtlichen Ehefrau sieht, die von ihrem verurteilten Ehemanne das letzte Lebewohl nimmt, oder vielmehr er sah mit ebensowenig Rührung auf sie herab, wie sich in der Seele eines ehrlichen nährigen Krämers erhebt, welcher seinen Schuldner um etliche zwanzig bis dreißig Thaler nach dem Schuldturme schleppen sieht, welche Schuld, so rechtmäßig sie sein mag, doch der Kerl so ruchlos ist, nicht bezahlen zu können. Oder, um der Sache so nahe als möglich zu kommen, er fühlte eben dieselben Gewissensbisse, wie die Aebtissin eines Freuden-Töchterstifts, wenn eine arme unschuldige Novizin, die sie in ihr Garn gelockt hat, ihr zu Füßen fällt, wenn sie ihr zum erstenmal andeutet, sie soll, wie es genannt wird, Gesellschaft annehmen. In der That würde dies Gleichnis ganz genau passen, wenn es nicht da hinkte, daß die Kupplerin bei dem was sie thut ihren Vorteil hat und der Vater, ob er gleich in seiner Verblendung anders denkt, doch im Grunde gar keinen dabei haben kann, wenn er seine Tochter zu fast ebenso schändlichen Greueln zwingen will.

In dieser Verfassung ließ er seine arme Sophie, und als er mit einer sehr pöbelhaften Anmerkung über die Wirkung der Zähren fortging, verschloß er das Zimmer und suchte seinen Pfarrer Schickelmann auf, der alles zum Besten des Fräuleins sagte, was er durfte, welches, ob es wohl nicht alles sein mochte, was seine Pflicht erheischt hätte, doch hinreichte, den Junker in eine heftige Wut zu bringen und ihm manche unanständige Anmerkung über den ganzen Stand der Geistlichkeit abzulocken, die wir aber deswegen nicht zu Papier bringen mögen, weil wir viel zu große Ehrerbietung vor ihrem heiligen Amte haben.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 3, S. 175-181.
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