Achtes Kapitel.

[15] Enthält zänkische Auftritte von eben nicht ungewöhnlichem Schlage.


Jungfer Honoria war kaum von ihrem Fräulein weggegangen, als ihr etwas (denn ich möchte nicht gerne, wie das alte Weib beim Quevedo, dem Teufel durch falsche Beschuldigungen Unrecht thun, und möglich ist es doch, daß er die Hand nicht im Spiele hatte) als etwas, sage ich, ihr einblies, sie könne, wenn sie Sophien und alle ihre Geheimnisse dem Junker Western aufopferte, wahrscheinlicherweise ihr Glück machen. Mehr als eine Betrachtung rieten diese Entdeckung als vorteilhaft an. Die angenehme Aussicht auf eine hübsche Belohnung für einen dem Junker so großen und wichtigen Dienst führte ihre Habsucht in Versuchung; und dazu kamen die Gefahr bei der vorhabenden Unternehmung, die Ungewißheit der glücklichen Ausführung, die Nacht, die Kälte, die Räuber, die Keuschheitsschänder; alles empörte ihre Furcht. Und so mächtig wirkten alle diese Dinge bei ihr, daß sie beinahe entschlossen war, von der Stelle hin zum Junker zu gehen, und ihm die ganze Sache zu eröffnen. Unterdessen war sie ein zu gerechter Richter, um sogleich einer Seite Recht zu geben, ehe sie noch die andere gehört hätte. Und hier nun erschien zuerst eine Reise nach London und redete Sophiens Bestes. Sie hatte ein sehnliches Verlangen, einen Ort zu sehen, woselbst sie sich solche Wonne einbildete, die nur wenig geringer scheint, als sich ein schwärmender Heiliger den Himmel denkt. Nächst diesem wußte sie auch, Sophie sei viel freigebiger, als ihr Vater, und so versprach sich ihre Treue von dieser eine größere Belohnung, als sie durch ihre Verräterei gewinnen könnte. Sie nahm also alle die Artikel, welche ihre Furcht auf der andern Seite aufgewiegelt hatten, in ein nochmaliges scharfes Verhör; und nachdem sie die Sache ordentlich gesichtet hatte, fand sie, daß das meiste durchfiel. Da nun jetzt beide Schalen so ziemlich im Gleichgewicht schwebten, und ihre Liebe zu Sophie auf die Seite geworfen wurde, wo ihre Ehrlichkeit lag, so fing diese an, so ziemlich zu ziehen, als ihr ein Umstand in die Gedanken fiel, der eine gefährliche Wirkung hätte thun können, wäre er seiner ganzen Schwere nach auf die gegenseitige Schale gelegt worden. Dies war die Länge der Zeit, welche dazwischen verlaufen mußte, ehe Sophie im stande sein konnte, ihr Versprechen zu erfüllen; denn, ob ihr schon ihr mütterliches Vermögen nach dem Tode ihres Vaters nicht entgehen konnte, so wenig wie dreitausend Pfund Sterling, die ihr ein Oheim vermacht hatte, und welche ihr ausgezahlt werden mußten, sobald sie mündig geworden, so lag doch alles dies noch im weiten Felde, und mancherlei Zufälle konnten die aufs künftige verheißene[16] Freigebigkeit ihres Fräuleins verhindern; da hingegen die Belohnung, welche sie von Herrn Western zu erwarten hätte, unmittelbar erfolgen würde. Allein während sie noch diesen Gedanken nachhing, schickte Sophiens guter Geist, oder vielmehr der Geist, der über Jungfer Honorias Ehrlichkeit wachte, oder vielleicht auch das bloße Ungefähr, einen Zufall in die Wege, der auf einmal ihre Treue befestigte und sogar das vorhabende Geschäft erleichterte.

Die Kammerjungfer der gnädigen Tante von Western maßte sich bei verschiedenen Gelegenheiten einen großen Vorrang über Jungfer Honoria an. Erstlich war sie von vornehmerer Abkunft, denn ihre Ur-Großmutter mütterlicher Seite war eine nicht gar zu weitläufige Base von einem irländischen Reichsbaron; zweitens hatte sie mehr Jahrlohn, und endlich war sie in London gewesen und hatte folglich mehr von der vornehmen Welt gesehen. Sie hatte sich also beständig gegen Jungfer Honoria mit derjenigen steifen Zurückhaltung benommen und immer jene Merkmale des Vorrangs von ihr erzwungen, welche jede Klasse von Weibern, im Umgange mit denen von einem niedrigern Range, beobachtet und verlangt. Nun aber war Honoria mit dieser Lehre nicht zu allen Zeiten so völlig einstimmig, sondern pflegte oft den Respekt hintanzusetzen, welchen die andre von ihr begehrte. Die Kammerjungfer der ältern Dame fand an Honorias Gesellschaft nicht den mindesten Gefallen. In der That sehnte sie sich herzlich, nach dem Hause ihrer Herrschaft zurückzukehren, worin sie nach Herzenslust über alle übrigen Bediente schaltete und waltete. Es war ihr also ein böser Strich durch die Rechnung gemacht worden, als den Vormittag ihre gnädige Herrschaft, gerade da sie auf dem Punkte stand abzureisen, ihren Vorsatz geändert hatte, und sie war seitdem beständig, wie man zu sagen pflegt, voller Piken.

In dieser nicht gar sanften Laune kam sie in das Zimmer, woselbst Honoria auf die vorhin erzählte Art beratschlagte. Honoria ward ihrer nicht so bald gewahr, als sie solche auf folgende höfliche Weise anredete: »So! Mädäm, ich seh', wir werd'ns Vergnügen von Dero G'sellschaft noch läng'r hab'n! Ich fürchtet' schon, die Verunein'gung zwischen unsern gnäd'gen Herrn und Ihrer Dame hätt' uns Sie rauben woll'n.« – »Ich wees nich, Mätäm,« antwortete die andere, »wos Sie met tem Wir und Uns meenen? Kloben Se mir, ich kenne keene Perschon unterm kanzen Hooskesinde, die sich für meen Kesellschaft schickte. Ich meene, sollt' ich wohl hoffen, meine Kesellschaft sei nicht zu schlecht für Ihre Herrschaften, vom Sonntag bis zum Sonnabend henzu. Ich will das nich von Ihnen kesagt hoben, Jungfer Honoria, tänn Sie sind eene zivilisierte hübsche Jungfer, und wänn Sie eenmal nur een pischen mehr[17] von der Welt werden kesähn hoben, so werde ich mir keene Schande draus machen, mit Ihnen in London im Parke schpazieren zu köhn.« – »Daß dich! je! Wasch mir'n Pelz, und mach mir'n nicht naß!« rief Honoria. »Mein'r Ehr', die Dame thut 'n mal wieder mächtig vornehm! Jungfer Honoria! daß dich! Vorwahr, Madahme, Sie würde an meinem Zunamen nicht ersticken. Denn, obschons mein' Frölen mich Honoria nennt, so hab' ich doch ein'n Zunamen so gut als andre Leut'. Schande draus mach'n, mit mir spazieren zu gehn. Ich dacht' was mir biß! Ich meene, sollt ich wohl hoffen – ich bin eben so gut, wie Sie!« – – »Weil Sie tänn meine Höflichkeit so schlecht pelohnt,« sagte die andere, »so muß ich Ihr klaren Wein einschenken, Jungfer Honorja! daß Sie nicht so kut ischt, als ich. Ufm Lande ist mer wohl freelich kenötigt, met allerlei Fetzen vorlibe zu nehmen, davor aber, wenn ich in der Schtadt pin, so pesuch ich niemant als Kammerfrauen von Tamen vom vornähmschten Atel. Kewiß, Jungfer Honoria, es ist en kraußer Unterschied unter Ihr und mir, sollte ich wohl meenen.« – »Hoff' es gleich wiedrum so viel!« antwortete Honoria, »so'n g'wisser Unterschied in 'm Alter, und – ich denk' auch, in unsern Personen!« Sowie sie diese letzten Worte aussprach, strotzte sie mit der beleidigendsten, höhnischsten Miene vor Ihro Gnaden Kammerdienerin vorbei, warf die Nase in die Höhe, schüttelte den Kopf und knitterte ihr den Reifrock gewaltig mit ihrem eigenen zusammen. Das andre Dämchen machte eins von ihren boshaftesten Hohngesichtern, und sagte: »Keschöpf! Sie ist unter meinem Zorne! Man konnte mirsch vertänken, wänn 'ch mich durch niederträchtige Worte met so eenem frechen, naseweisen Treppenfeger kemeen machen wollte; aber, Mamselchen, tos muß ich Ihr sagen: Ihre Kemeenheeten zeigen sowohl von Ihrer schlechten Herkunft, als von Ihrer schlechten Erziehung, und beede machen Sie recht keschickt dazu, eine nietrige Aufpasserin pei eenen Landmädchen zu sein!« – »Mit Respekt von mein Frölen gesprochen«, schrie Honoria. »Solch Verwegenheit leid 'ch nicht von Ihr, mein'r Ehr, das sag' ich Sie. Sie ist ebensoviel besser, als Ihre, als sie jünger ist, und ist noch hunderttausendmal schöner!«

Hier führte das böse, oder vielmehr das gute Glück Ihro Gnaden das Fräulein von Western herbei, die ihre Jungfer in Thränen sehen mußte, welche bei ihrer Ankunft gar reichlich zu fließen begannen. Da ihre Herrschaft nach der Ursache fragte, so benachrichtigte sie ihr alsobald, ihre Thränen flössen über die grobe Behandlung, die sie von dem Geschöpfe da (womit sie Honoria meinte) hätte erleiden müssen. »Und, mein knädigste Fräulein«, fuhr sie fort, »ich hätte alles mit krausser Verachtung anhören können, was sie mir uf mich sagte, aber da hat sie die kräuliche Frechheit kehabt,[18] Ihro Knaden zu verunehren, und Ihro Knaden häßlich zu heißen. – Ja, Ihro Hochwohlkepornen Knaden, sie sagte es mir in mein Antlitz hinein, Ihro Knaden wären eene häßliche alte Katze. Ich konnt's nicht ausstehn, Ihro Knaden für häßlich ausschelten zu hören.« – »Nun, was hat Sie des Mensch seine Unverschämtheit so oft zu wiederholen?« sagten Ihro, des Fräulein von Westerns Gnaden. Und hierauf wendete sie sich zu Jungfer Honoria und fragte die, wie sie die Frechheit haben könne, ihren Namen mit Unehrerbietigkeit auszusprechen? – »Mit Unehrerbietigkeit, Ihro Gnaden!« antwortete Honoria, »ich habe R' Gnaden Namen nicht aus'm Munde gehn lass'n, gar nicht! Ich sagte nur, jemand wäre nicht so schön, als meine gnäd'ge Frölen; und vorwahr, das wissen 'R Gnad'n ja ebensogut, als ich selbst!« – »Mensch!« sagte die Dame, »ich will dich lehren, daß ein Name, wie der meinige, zu heilig ist, um über die Zunge eines solchen Schandnickels zu gehen. Und wenn mein Herr Bruder dich nicht, eh' ich noch hundert zähle, aus dem Hause weiset, so will ich unter seinem Dache kein Auge wieder zuthun. Hier von der Stelle geh' ich hin, ihn aufzusuchen, daß er dich den Augenblick aus'm Hause werfen lassen soll.« – »Aus'm Haus' werfen! mir! nun, wenn's weiter nichts ist!« schrie Honoria, »'s gibt ja mehr Plätz' in der Welt! Lieber Gott! gute Bediente wiss'n immer unterzukommen! ist's nicht hierum, so ist's dort. Und woll'n Se all' aus'm Dienst jag'n, die Sie nicht für schön halten, so wird's Ihn'n bald an Bedienten fehlen; das lassen's sich nur von mir sagen!«

Ihro Gnaden, Fräulein von Western antworteten, oder vielmehr donnerten eine Antwort: da solche aber kaum artikuliert war, so können wir die eigentlichen Worte nicht genau anführen. Wir vermeiden es also, eine Rede beizubringen, welche doch am Ende ihr nicht sonderlich zur Ehre gereichen möchte. Sie ging dann gleich darauf fort, ihren Bruder aufzusuchen, mit einem Gesicht, dergestalt aufgeschwollen von Wut, daß sie mehr einer von den drei Furien, als einer menschlichen Gestalt ähnlich sah.

Nachdem die beiden Zofen abermals allein bei einander gelassen waren, begann ein neuer Zank loszubrechen, welcher bald darauf einen thätigern Handkampf veranlaßte. In diesem neigte sich der Sieg auf die Seite des Dämchens vom mindern Range; bei alledem doch nicht ohne einigen Verlust von Blut, Haaren und Fetzen von Blonden und Flor und Musselin.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 15-19.
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