Elftes Kapitel.

[29] Abenteuer einer Kompanie Soldaten.


Der Krugwirt, welcher seinen Sitz grade gegenüber der Thüre von der Schenkstube genommen hatte, war entschlossen, daselbst die ganze Nacht hindurch Wache zu halten. Der Pferdeknecht, der Herrn Jones hergebracht hatte, und noch ein andrer Kerl blieben lange mit ihm auf dem Posten, ob sie gleich nichts von seinem Argwohn wußten oder für sich selbst irgend einen hatten. Die wahre Ursache ihres Wachens machte demselben in der Länge selbst ein Ende. Denn diese war keine andre, als die Güte und Stärke des Biers, von welchem sie, nachdem sie ein ziemliches Maß davon eingeschlürft hatten, erst sehr laut und lärmend wurden und darnach beide in einen festen Schlaf verfielen.

Aber kein Bier oder starkes Getränke war vermögend, Roberts Furcht einzuschläfern. Er saß beständig wachend auf seinem Stuhl und wendete die Augen nicht ab von der Thüre des Zimmers, wo[29] Jones schlief, bis ein entsetzliches Donnern an der äußersten Pforte des Hofes ihn von seinem Sitze abrief und ihn nötigte aufzumachen; dies war nicht so bald geschehn, als sich seine Küche plötzlich mit Herren in roten Röcken anfüllte, die alle in solchem Getümmel auf ihn herein drängten, als ob sie's im Werk hätten, sein kleines Kastell mit Sturm einzunehmen.

Der Wirt ward nun von seinem Posten verdrängt, um seine zahlreichen Gäste mit Bier zu versorgen, welches sie mit großer Hast und Eile begehrten, und bei seinem zweiten oder dritten Transporte aus dem Keller sah er Herrn Jones vorm Feuer mitten unter den Soldaten stehn. Es ist leicht zu glauben, daß die Ankunft so vieler guten Gesellschafter allem Schlafe ein Ende machen muß, nur jenem nicht, von welchem uns der Schall der letzten Posaune wecken wird.

Nachdem die Gesellschaft so ziemlich ihren Durst gestillt hatte, blieb weiter nichts übrig, als die Rechnung zu bezahlen; ein Umstand, der oft unter der niedern Klasse der Feuergewehrhelden allerlei Unheil und Mißvergnügen zu erregen pflegt. Denn gemeiniglich finden sie es sehr schwer, die Hauptsumme nach den strengsten Regeln der Gerechtigkeit in die gehörigen Brüche zu teilen, da diese Gerechtigkeit befiehlt, daß jeder Mann nach dem Verhältnis bezahlen solle, wie er mehr oder weniger getrunken hat. Diese Schwierigkeit that sich auch bei dieser Gelegenheit hervor und sie war um so größer, als einige von den Herren in ihrer außerordentlichen Eile gleich nach dem ersten Trunke wieder abmarschiert waren und darüber vergessen hatten, zu der vorbesagten Rechnung den geringsten Beitrag zu leisten.

Es entstand nun ein heftiger Wortwechsel, wobei, wie man sagen möchte, jede Silbe mit einem Eide bekräftigt wurde, denn es wurden wirklich ebensoviel Schwüre und Flüche vorgebracht, als sonstige Silben gesprochen. In dieser Uneinigkeit sprach die ganze Gesellschaft auf einmal und zugleich und ein jeder schien auf nichts anders zu denken, als die Summe zu schmälern, die auf seinen Anteil fiel: so daß der höchst wahrscheinliche Schluß, den man voraussehen konnte, dahinaus ging, daß die Zahlung eines großen Teils der Rechnung zu Lasten des Wirts fallen oder (welches auf eins hinausläuft) unbezahlt bleiben würde.

Diese ganze Weile über war Jones in einer Unterredung mit dem Wachtmeister begriffen. Denn diesen Befehlshaber ging der Streit ganz und gar nichts an, weil er nach undenklichem Gebrauch von allen solchen Kontributionen befreit war.

Der Streit war endlich dermaßen hitzig, daß er sich auf eine militärische Entscheidung zu lenken schien, als Jones hervortrat und das ganze Getümmel auf einmal dadurch stillte, daß er erklärte, er[30] wolle die ganze Rechnung bezahlen, welche wirklich ihrem ganzen Inhalte nach nur einige Dreier über einen Gulden betrug.

Diese Erklärung erwarb dem Jones den Dank und Beifall der ganzen Kompanie. Die Ausdrücke, gnädger Junker, stattlicher Herr, nobler Mann, erschollen aus allen Ecken der Küche; ja der Wirt selbst begann eine bessere Meinung von ihm zu schöpfen und der Erzählung des Pferdeknechts beinahe nicht mehr so recht zu glauben.

Der Wachtmeister hatte dem Herrn Jones Nachricht gegeben, wie sie auf dem Marsch gegen die Rebellen begriffen wären und daß sie erwarteten von dem großen Feldherrn, dem Herzog von Cumberland, gegen den Feind angeführt zu werden. Aus diesem Umstande (welchen wir nicht für nötig erachtet haben, bekannt zu machen) mag der Leser merken, daß es grade um die Zeit war, als es mit der Rebellion zum Höchsten gediehen, und in der That waren die besoldeten Mörder jetzt nach England marschiert in der Absicht, wie man dafür hielt, des Königs Armee zu schlagen und alsdann wo möglich nach der Hauptstadt vorzudringen.

Jones hatte etwas vom Helden in der Mischung seines Temperaments und war ein herzlicher Freund von der Freiheit des Vaterlandes und der protestantischen Religion. Es ist daher kein Wunder, daß bei Umständen, welche viel romantischere und wildere Unternehmungen gerechtfertigt haben würden, ihm der Gedanke in den Sinn kam, diesen Feldzug als Freiwilliger mitzumachen.

Unser kommandirender Wachtmeister hatte vom er sten Augenblick an, da er diese gute Gesinnung wahrnahm, alles gesagt, was in seinem Vermögen stund, um sie zu ermuntern und zu bestärken. Er erklärte diese edle Entschließung nunmehr öffentlich, welche dann mit großen Freuden von der ganzen Kompanie, die ein einstimmiges Vivat der König! und der noble Junker! schrie, aufgenommen wurde, und die Mannschaft setzte hierauf mit manchem Fluch hinzu: »Bei Euch beiden wollen wir standhaft aushalten bis auf den letzten Blutstropfen.«

Der Geselle, der den ganzen Abend mit dem Wirt und dem Pferdeknecht beim Feuer gesöffelt hatte, ward durch einige Gründe, die ihm ein Korporal in die Hand gegeben hatte, gleichfalls bewogen, den Zug mitzuthun, und nun, nachdem das Felleisen des Herrn Jones auf den Packkarren gelegt worden, stand das Heer im Begriff, sich vorwärts zu bewegen, als der Pferdeknecht, der Herrn Jones hergebracht hatte, auf ihn zuging und sagte: »Herr, ich hoffe doch, Sie werden bedenken, daß die Rosse eine ganze Nacht über die Zeit ausgeblieben sind und daß wir eine große Strecke auf dem unrechten Wege gemacht haben?« Jones wunderte sich nicht wenig über die Unverschämtheit dieses Begehrens und unterrichtete die[31] Soldaten von der Rechtmäßigkeit seiner Sache, welche alle den Kerl einstimmig verdammten, daß er sich unterstände, einen wackern Herrn beschnellen zu wollen. Einige sagten: man solle ihn krumm schließen, andere, er verdiene Spießruten zu laufen, und der Wachtmeister zeigte ihm ein spanisches Rohr, wünschte, er hätte ihn unter seiner Kompanie und schwur dabei recht herzlich, daß er sodann ein Exempel an ihm statuieren wolle.

Jones begnügte sich unterdessen mit einer verneinenden Bestrafung, ging mit seinen neuen Kriegskameraden davon und ließ dem Pferdeknechte die armselige Rache, hinter ihm her zu fluchen und zu lästern, in welches letztere der Wirt mit einstimmte und sagte: »Ja, ja, es mag mir der rechte Falk sein, versichre Euch 'n hübscher Gunker, fürwahr, der unter d' Soldaten geht! sie werden dich bebebrämten Westen, wart nur! Lieber Jott! 's ist en alt Sprichwort, aber wohl 'n wahr Wort, daß nicht alles Jold ist, was gleist. Ich bin froh, daß ich ihn aus dem Hause los bin.«

Diesen ganzen Tag über marschierten der Wachtmeister und der junge Soldat mit einander, und der erste, welches ein pfiffiger Kumpan war, erzählte dem letztern manches lustige Histörchen von seinen Feldzügen her, ob er gleich wirklich in seinem Leben noch keinen einzigen gemacht hatte, denn er war erst neulich in Dienste gekommen und hatte sich durch seine Verschlagenheit dergestalt bei seinen Offizieren in Gunst gesetzt, daß er sich zu einem Kurzgewehr emporgeschwungen hatte; hauptsächlich freilich durch sein Verdienst um die Werbung, wobei er durch seine verschmitzte List gar vortreffliche Dienste leistete.

Die Soldaten waren auf ihrem Marsche sehr lustig und fröhlich, wobei denn manche Begebenheiten erzählt wurden, welche sich in den letzten Quartieren zugetragen hatten, und jedermann hing mit vieler Freiheit den Offizieren eins an, worunter manches arg und schmutzig genug war und dicht am Verleumden herging. Dies brachte unserm Helden die Gewohnheit der Griechen und Römer in Erinnerung, nach welcher solche bei gewissen festlichen und feierlichen Gelegenheiten ihren Sklaven die Freiheit gaben, mit und über ihre Herren mit der ausgelassensten Zügellosigkeit zu sprechen.

Unsere kleine Armee, welche aus zwei Kompanien zu Fuß bestand, war nunmehr an dem Orte angelangt, wo sie den Abend Halt machen sollte. Der Wachtmeister rapportierte seinem Leutnant, der das Oberkommando hatte: Sie hätten unterwegs zwei Rekruten angeworben, wovon der eine, wie er sagte, ein so hübscher Kerl wäre, als er nur jemals einen gesehn hätte (er meinte damit den Söffler); denn er hätte fast seine sechs Fuß, wäre gut gewachsen[32] und stark von Gliedmaßen, und der andere (womit er Jones meinte) wäre für das mittelste Glied auch gut genug.

Die neuen Soldaten wurden nunmehr dem Offizier präsentiert, welcher, nachdem er vorher den vollzölligen Mann besehen hatte, hernach auch unsern Jones ins Auge nahm. Beim ersten Anblick desselben konnte sich der Leutnant einer gewissen Verwunderung nicht erwehren; denn außerdem, daß er wohlgekleidet ging und einen jungen Menschen von Erziehung verriet, hatte er auch etwas in seinen Blicken, das eine gewisse Würde anzeigte, welches man unter dem gemeinen Haufen selten antrifft und welches wirklich auch nicht immer ganz unzertrennlich mit der Gesichtsgestalt der Vornehmern verbunden ist.

»Mein Herr,« sagte der Leutnant, »mein Wachtmeister rapportiert mir, daß Sie gesonnen sind, sich bei der Kompanie, welche jetzt unter meinem Befehle steht, enrollieren zu lassen. Wenn das Ihr Vorsatz ist, mein Herr, so werden wir einen jungen Mann mit vielem Vergnügen annehmen, welcher der Kompanie so viele Ehre verspricht, indem er unter derselben die Waffen führen will.«

Jones antwortete: »Er habe kein Wort davon gesagt, daß er sich wolle enrollieren lassen; er wäre der rühmlichen Sache, für welche sie zu fechten gingen, mit herzlichem Eifer zugethan und wünschte sehr, als ein Freiwilliger zu dienen.« Er beschloß damit, daß er dem Leutnant einige Komplimente machte und ihm bezeugte, wie glücklich er sich schätzen würde, wenn er unter seinen Befehlen stehen sollte.

Der Leutnant erwiderte seine Höflichkeit, lobte sei nen Entschluß, schüttelte ihm die Hand und lud ihn ein, mit ihm und den übrigen Offizieren zu Mittag zu essen.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 29-33.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings
Tom Jones: Die Geschichte eines Findlings
Tom Jones 1-3: Die Geschichte eines Findlings: 3 Bde.
Die Geschichte des Tom Jones, eines Findlings
Die Geschichte des Tom Jones, eines Findlings

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Geschichte der Abderiten

Geschichte der Abderiten

Der satirische Roman von Christoph Martin Wieland erscheint 1774 in Fortsetzung in der Zeitschrift »Der Teutsche Merkur«. Wielands Spott zielt auf die kleinbürgerliche Einfalt seiner Zeit. Den Text habe er in einer Stunde des Unmuts geschrieben »wie ich von meinem Mansardenfenster herab die ganze Welt voll Koth und Unrath erblickte und mich an ihr zu rächen entschloß.«

270 Seiten, 9.60 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon