Fünftes Kapitel.

[305] Sophiens großmütiges Betragen gegen ihre Tante.


Sophie sagte während der vorherigen Rede ihres Vaters kein Wort, und niemals antwortete sie anders, als durch einen Seufzer. Weil er aber von dieser Sprache, oder wie er's nannte, Augensprecherei, nichts verstand, so wollte er sich auch nicht ohne eine andre Billigung seiner Gedanken zufrieden geben. Diese Billigung begehrte er jetzt in dem gewöhnlichen Stil von seiner Tochter, indem er ihr sagte: er erwarte, daß sie ganz bereit wäre, jedermanns Partei gegen ihn zu nehmen, wie sie immer die Partei der Betze ihrer Mutter genommen hätte. Da Sophie noch immer schwieg, so schrie er heraus: »Was bist' stumm? Warum sprichst' nicht? War deine Mutter nicht en' vertrackte Betze gegen mich? Kannst's leugnen? he! Sieh, ich glaub' du veracht'st deinen Vater auch, un hältst'n nicht 'nmal gut genug, mit 'n zu sprechen!«[305]

»Ums Himmels willen, lieber Papa,« antwortete Sophie, »machen Sie von meinem Stillschweigen keine so grausame Auslegung! Wirklich, sterben wollt' ich lieber, als mich der geringsten Unehrerbietigkeit gegen Sie schuldig machen. Aber, wie kann ich es wagen, zu reden, wenn jedes Wort entweder meinen teuren Papa beleidigen, oder mich der schwärzesten Undankbarkeit und Gottlosigkeit gegen das Andenken der besten Mutter anklagen müßte? denn gewiß, das ist meine Mama beständig gegen mich gewesen.«

»Und deine Muhme, nicht wahr? is wohl die beste Schwester auch gegen mich!« versetzte der Junker, »willst' wohl so gut sein und zugeben, das die en' Betze ist? Das darf 'ch doch wohl mit Recht und Billigkeit fordern von dir, sollt' ich denken!«

»In der That, liebster Papa,« sagte Sophie, »ich habe meiner Tante sehr viel zu verdanken. Sie hat an mir gehandelt, als eine zweite Mutter.«

»Und als 'n zweites Weib, gegen mich auch dazu!« erwiderte Western. »So so, so willste der ihre Partie auch nehm'n? Willst nicht bekennen, daß sie sich aufgeführt hat gegen mich als die schändlichste Schwester von der Welt?«

»Auf mein Wort, teuerster Papa,« sagte Sophie, »ich müßte mein eigenes Herz böslich belügen, wenn ich das thäte! Ich weiß es, Sie und meine Tante weichen in Ihrer Art zu denken voneinander ab: aber ich habe sie wohl tausendmal die größte Zuneigung gegen meinen Papa ausdrücken gehört; und nach meiner innigsten Ueberzeugung ist sie so wenig die schlechteste Schwester von der Welt, daß es vielmehr sehr wenige Schwestern gibt, die mehr Liebe für einen Bruder haben können.«

»Beim Licht besehen,« antwortete der Junker, »soll das wohl wieder soviel heißen, als: Papa hat unrecht. O ja, gewiß! Ja ja, wie könnt's anders zugehen? 'S Weib hat immer recht, und der Mann muß immer unrecht hab'n.«

»Verzeihen Sie mir, lieber Papa,« sagte Sophie, »so sag' ich nicht.«

»Was? sagst' nicht so?« antwortete der Vater. »Bist' nicht so unverschämt, zu sagen, sie hat recht? Folgt's denn nicht wie Hund uf Hasen, daß ich muß unrecht hab'n? Und vielleicht hab' ich unrecht, daß ich's leide, daß so en' Hofschranzenbetze mir ins Haus kommen darf! Wer weiß, ob's mich nicht gar 'mal bei Hof verklagt und mich angibt, wenn 'ch mal so was über diese dumme Regierung sage und sie nicht sogar meine Länder und Güter dem König zuschanzt!«

»Soweit, liebster Papa, ist sie davon entfernt,« sagte Sophie, »daß sie gegen Sie, oder Ihre Güter Böses im Sinne haben sollte,[306] daß ich überzeugt bin, wäre meine Tante gestern gestorben, sie hätte Ihnen Ihr ganzes Vermögen hinterlassen.«

War es wirklich Sophiens Absicht, oder nicht, das maße ich mir nicht an zu entscheiden; so viel ist aber gewiß, die letzten Worte drangen sehr tief in die Ohren ihres Vaters, und brachten eine weit sichtbarere Wirkung hervor als alles übrige, was sie bis dahinge sagt hatte. Als ihn der Schall traf, machte er eben die Bewegung, wie ein Mann, den eine Musketenkugel in den Kopf trifft. Er stutzte, schwankte und ward blaß. Hierauf blieb er einige Minuten stumm; und brachte dann stotternd folgendes hervor: »Gestern! Ihre Güter mir hinterlassen! hatt' sie? W'rum eb'n gestern, von all'n Tagen im Jahr? hm! so! Also; wenn 's nu morgen stirbt, so läßt sie 's ein'n andern, und der wohl nicht 'mal zur Familie gehört!« – »Meine Tante,« fiel ihm Sophie in die Rede, »ist freilich sehr aufgebracht, und ich möchte für nichts Bürge sein, solange das bei ihr dauert.«

»So? möcht'st du nicht!« rief der Vater; »he! sag' doch mal, wer ist schuld, daß sie aufgebracht ist? Und noch dazu, wer eigentlich ist's, der 's so aufg'bracht hat? du und sie, wart ihr nicht hart an 'n ander, ehr' ich noch h'rein kam? und noch dazu, kam nicht das ganz' arme Leb'n um dich her? Ich, ich habe manch liebes Jahr mit Schwester nicht gezankt, als um dich; und nu möchtste gern mir's Wasser in d' Schuh gießen. Und so, als ob's ich gethan hätt', wenn sie ihr' Güter aus'r Familie vermacht. – Konnt's ja wohl vorhersehn, daß mir's so gehen würd'! Das wird wohl so all dein Dank sein, vor mein' schöne Lieb' und Zärtlichkeit, die 'ch vor dich g'habt hab'!«

»Ich bitte also« rief Sophie, »auf meinen Knieen bitte ich Sie, wenn ich die unglückliche Veranlassung zu dieser Veruneinigung gewesen bin, daß Sie suchen wollen, es bei meiner Tante wieder gutzumachen und nicht zu leiden, daß sie in diesem heftigen Zorn Ihr Haus verlasse. Sie hat ein sehr versöhnliches Gemüt und wird sich durch ein paar höfliche Worte besänftigen lassen. O, ich bitte, bitte, liebster Papa.«

»So! so soll ich hingehen und um Vergebung bitten, was du g'sündigt hast, nicht? muß ich?« antwortete Western, »du hast den Hasen abspring'n lass'n, und ich muß nu in Kreuz und Quer reiten, um 'n wieder vorzubringen. Je nun, ja! wenn ich gewiß wüßt« – – Hier stockte er, und da Sophie mit ihrem Bitten fortfuhr, ließ er sich endlich bereden; und nachdem er erst zwei oder drei stachelige Redensarten gegen seine Tochter ausgestoßen hatte, wackelte er so schnell fort als er konnte, um seine Schwester herumzubringen, eh' noch ihre Pferd' und Wagen fertig gemacht werden könnten.[307]

Sophie begab sich hierauf nach ihrem Trauergemache, woselbst sie (wenn ich den Ausdruck brauchen darf) sich mit dem ganzen Ueberflusse ihres zärtlichen Grames gütlich that. Sie las den Brief, den sie von Jones erhalten hatte, mehr als einmal wieder durch; auch ihr Muff ward bei der Gelegenheit gebraucht; und sie badete diese beide sowohl, wie sich selbst in ihren Thränen. In dieser Lage ihres Herzens wendete die freundschaftliche Jungfer Honoria ihre äußerste Geschicklichkeit an, um ihre betrübte Herrschaft zu trösten. Sie nannte hintereinander die Namen mancher jungen Herren her; und nachdem sie ihre Personen und Geistesgaben weidlich herausgestrichen hatte, versicherte sie Sophien, sie könne dreist darunter wählen, welchen sie wolle. Diese Methode muß gewiß schon mit gutem Erfolge bei Krankheiten von dieser Art angewendet worden sein, sonst würde ein so geschickter Arzt, als Jungfer Honoria, gewiß nicht gewagt haben, damit den ersten Versuch zu machen; ja, ich habe gehört, daß das Kollegium der Kammerjungfern dieses Remedium für so zuverlässig und allgemein halte, als nur irgend eines unter allen weiblichen Verschreibungen zu finden sei. Allein, ob Sophiens Krankheit innerlich von jenen Fällen verschieden war, mit welchen sie die äußerlichen Anzeichen gemein hatte, das kann ich hier nicht ausmachen; in der That aber machte es die gute Kammerzofe dadurch eher schlimmer als gut, und brachte endlich ihre Herrschaft in eine solche Hitze (und das war keine so leichte Sache), daß sie die Schnürjungfer mit zorniger Stimme aus ihrer Gegenwart entfernte.


Ende des ersten Bandes.[308]

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 305-309.
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