Viertes Kapitel.

[303] Porträt der Ehegenossin eines Landjunkers, nach dem Leben gemalt.


Nachdem Herr Western sein Holla geendigt und wieder ein wenig Atem geschöpft hatte, begann er in sehr pathetischen Ausdrücken über den unglücklichen Zustand der Männer zu klagen, welche, wie er sagte, immer den Launen einer oder der andern verdammten Betze vor die Peitsche laufen müßten. »Ich meinte, 'ch wär von deiner Mutter hart genug gehetzt worden; aber nun die lahm liegt, kommt da 'n ander Tiffe und sitzt m'r auf'n Läufen, aber eher soll m'r die beste Mähre im Stall' umfall'n, eh'r ich mich so von 'n will stell'n lassen.«

Sophie hatte niemals die geringste Zwistigkeit mit ihrem Vater bis auf diese unglückliche Heiratssache mit Blifil gehabt, ausgenommen zur Verteidigung ihrer Mutter, welche sie sehr zärtlich geliebt, ungeachtet sie solche schon in ihrem elften Jahr verloren hatte. Der Junker, welchem diese arme Frau die ganze Zeit ihres Ehestandes hindurch beständig als eine getreue Oberaufseherin über das Hauswesen gedient, hatte diese treuen Dienste dadurch belohnt, daß er gegen sie das gewesen war, was man so einen guten Ehemann zu nennen pflegt. Er schalt und fluchte selten über sie (vielleicht die Woche nur einmal) und schlug sie niemals. Sie hatte nicht den geringsten Anlaß zur Eifersucht, und mit ihren Tagesstunden konnte sie anfangen was sie wollte; denn ihr Eheherr überlief sie zu keiner Zeit, weil er den ganzen Vormittag mit seinen weidmännischen Uebungen im Feld und Forst und den ganzen Nachmittag mit seinen nassen Brüdern zubrachte. In der That sah sie ihn selten anders als bei den Mahlzeiten, woselbst sie das Vergnügen hatte, von eben den Schüsseln vorzulegen, die sie vorher mit geholfen hatte anzurichten. Von diesen Mahlzeiten begab sie sich ungefähr fünf Minuten später hinweg als die übrigen Bedienten, indem sie bloß solange wartete, um des Junkers gewöhnliche politische Gesundheit mitzutrinken. Dies war so, wie es scheint, die Verordnung des Herrn Western; denn er hatte zum Sprichwort: die Weiber müßten mit der ersten Schüssel hereinkommen und nach dem ersten Glase wieder hinausgehen. Diesem Befehle Gehorsam zu leisten, mochte der guten Ehefrau eben wohl nicht schwer[303] sein; denn das Tischgespräch (wenn man's Gespräch nennen kann) war sehr selten so beschaffen, daß ein Frauenzimmer dabei Unterhaltung finden konnte. Es bestand mehrenteils in lautem Geschrei, Sanggeheule, Erzählungen von Jagdabenteuern, Zotenreißen und Durchhecheln der Weiber und der Landesregierung.

Dies waren gleichwohl die einzigen Tageszeiten, wo Herr Western seine Ehegattin sah: denn wenn er sich zu ihr ins Bett verfügte, war er gewöhnlich so benebelt, daß er nicht sehen konnte; und solange die Jagd offen war, stand er schon wieder auf, noch ehe der Tag graute. Auf diese Art war sie völlige Herrin ihrer Zeit und hatte dabei noch eine Kutsche mit vieren, über die sie gewöhnlicher Weise befehlen konnte; obgleich dabei das Unglück war, daß sie davon, wegen der schlechten Nachbarschaft und der schlechten Wege nur sehr geringen Nutzen hatte; denn niemand, der seinen Hals und seine Gebeine nur einigermaßen lieb hatte, mochte die Wege befahren, und wer nur irgend etwas mit seiner Zeit anzufangen wußte, mochte die Nachbarn nicht besuchen. Nun, um ganz offenherzig gegen den Leser zu sein, müssen wir gestehen, daß sie gegen diese großen Gefälligkeiten nicht alle die Erkenntlichkeit bezeigte, die man erwarten mochte; denn sie war von einem zärtlichen Vater wider ihren Willen verheiratet worden, weil diese Heirat auf ihrer Seite sehr vorteilhaft war, indem des Junkers Güter jährlich gegen dreitausend Pfund Sterling abwarfen und ihr ganzer Brautschatz sich nicht höher als achttausend Pfund belief. Hierdurch hatte sich etwas Trockenes und Finsteres in ihre Gemütsart geschlichen: denn sie war eine weit bessere Hausfrau, als eine gute Ehefrau. Dabei war sie auch nicht immer dankbar genug, den außerordentlichen Grad von lautlachender Fröhlichkeit, womit sie der Junker zuweilen zu empfangen pflegte, nur mit einem aufgeräumten Lächeln zu erwidern. Und überdem unterfing sie sich noch, sich zuweilen in Dinge zu mischen, die sie nichts angingen, wie zum Exempel: in das übermäßige Trinken ihres Mannes, wogegen sie ihm bei den wenigen Gelegenheiten, die er ihr dazu gab, in den sanftesten Ausdrücken Vorstellung that. Und einmal in ihrem Leben bat sie ihn sehr ernsthaft, er möchte sie auf zwei Monat nach London führen, welches er ihr rund von der Hand abschlug; ja, nachher ihr dieser Bitte wegen beständig böse war, denn er wußte gar wohl, daß in der Hauptstadt alle Ehemänner das Jagdwappen an der Stirne trügen.

Aus dieser letzten und aus mancher andern guten Ursache hatte Western zuletzt seine Frau herzlich gehaßt; und so wie er ihr diesen Haß vor ihrem Tode niemals verhehlte, so wenig vergaß er ihn nachher, vielmehr, wenn ihm das Geringste in die Quere ging,[304] zum Exempel eine Fehljagd oder eine Seuche unter seinen Hunden oder andre dergleichen harte Plagen mehr, schüttete er allemal seine Galle in Schmähungen aus über die Verstorbene und pflegte zu sagen: »Wenn nun mein' Frau noch lebte, die würd' sich 'nmal freu'n darüber!« Besonders mochte er diese Schmähungen gerne in Sophiens Gegenwart hinwerfen: denn, sowie er sie mehr liebte als irgend etwas, so war er auch wirklich darüber eifersüchtig, daß sie ihre Mutter mehr geliebt hatte als ihn: und Sophie ermangelte bei solchen Gelegenheiten fast niemals, diese Eifersucht zu erhöhen; denn er begnügte sich nicht damit, bloß ihre Ohren mit den Stachelreden auf ihre Mutter zu beleidigen, sondern strebte auch darnach, zu allen diesen Schmähungen ihren ausdrücklichen Beifall zu erzwingen; welches Begehren er aber niemals, weder durch Versprechungen noch Drohungen, von ihr erhalten konnte.

Nach dem Gesagten wundern sich vielleicht einige meiner Leser, daß der Junker seine Tochter nicht ebensosehr haßte, als er ihre Mutter gehaßt hatte: aber ich muß sie belehren, daß Haß keine Wirkung der Liebe ist, selbst nicht durch Vermittlung der Eifersucht. Es ist wirklich einer eifersüchtigen Person sehr möglich, den Gegenstand ihrer Eifersucht zu töten, aber nicht ihn zu hassen. Da dieser Satz ein ziemlich harter Brocken ist und fast ein wenig nach Paradoxie schmeckt, so wollen wir hier das Kapitel schließen, um dem Leser Zeit zu lassen, ihn gehörig wiederkäuen zu können.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 303-305.
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