Sechstes Kapitel.

[202] Enthält unter andern Dingen Rebhuhns Treuherzigkeit, Jones' Tollheit und Fitz Patricks Narrheit.


Es war nun morgens nach fünf Uhr, und es erhob sich schon die andere Gesellschaft aus dem Bette und kam in die Küche, unter der sich auch der Feldwebel und der Kutscher befanden, welche, als völlig wieder ausgesöhnte Freunde, eine Libation anstellten; oder, unverblümter zu sprechen, einen tüchtigen Vernüchterungstrunk miteinander thaten.

Bei diesem Vernüchtern fiel nichts Merkwürdigeres vor, als Rebhuhns Aufführung bei der Gesundheit, welche der Feldwebel ausbrachte. Denn anstatt zu wiederholen: Vivat der König Georg! sagte er nur bloß: Vivat der König! und konnte man ihn auch nicht dahin bringen, ein mehreres zu sagen. Denn, ob er gleich auf dem Wege war, gegen seine eigne Sache zu fechten, so konnte man ihn doch nicht dahin bringen, dagegen zu trinken.

Herr Jones, der jetzt wieder nach seinem eignen Bette zurückgekehrt war (man wird uns aber entschuldigen, wenn wir nicht gerne sagen, aus welchem er herkam), rief Rebhuhn aus dieser angenehmen Gesellschaft zu sich auf sein Zimmer, woselbst dieser, nachdem[202] er mit einer zierlichen Vorrede Erlaubnis erbeten und erhalten hatte, seinen Rat zu erteilen, sich folgendermaßen vernehmen ließ:

»Mein lieber Herr, es ist ein altes, aber auch ein wahres Sprichwort: Des Weisen Gedanken sind oft in der Narren Munde! Ich wünschte daher, ich dürfte so dreist sein, Ihnen meinen guten Rat zu erteilen, welcher darin besteht, wieder heimzukehren und diese horrida bella, diese blutigen Kriege solchen Burschen zu überlassen, deren Magen nach Schießpulver giert, weil sie sonst nichts zu essen haben. Nun ist es aber jedermann sehr wohl bekannt, daß Euer Gnaden zu Hause keinen Mangel leiden an irgend einem Guten. Wem's nun daheim wohl ist, warum sollt' er reisen und in der Fremde sein Elend bauen?«

»Rebhuhn,« rief Jones, »du bist gewiß ein feiger Hase! Du thät'st mir also einen Gefallen, wenn du hübsch nach deiner Heimat zurückkehrtest und mich ungehudelt ließest!«

»Bitte Eur Gnaden um Verzeihung,« rief Rebhuhn; »ich sagte das nicht sowohl meintwegen, als bloß Ihretwegen; denn, was mich anbetrifft, so weiß der Himmel, daß meine Umstände schlecht genug sind, und ich so weit entfernt bin, mich zu fürchten, daß ich mir aus einer Pistole, oder einer Flinte, oder dergleichen Dingen ebensowenig mache, als aus einer Klappbüchse. Ich kann ja auch mit dem Verlust eines Armes oder Beines davonkommen! Ich versichre Sie, gnäd'ger Junker, ich bin in meinem Leben nicht weniger furchtsam gewesen! Wenn also Ihr Gnaden mit aller Gewalt hinziehn wollen, nun, so bin ich entschlossen, Ihnen im Leben und Tode zu folgen. Wollen Sie aber weiter ziehen, so wünschte ich nur meine Meinung sagen zu dürfen. So viel ist gewiß, für einen großen Herrn, wie Sie sind, ist es keineswegs anständig und schicklich, so zu Fuß zu reisen. Nun stehn da unten zwei oder drei tüchtige Gäule im Stalle, und der Wirt wird sich gewiß nicht das geringste Bedenken machen, Ihnen solche anzuvertrauen. Aber, gesetzt, er thäte es auch, so kann ich doch leicht Anstalt dazu machen, die Tiere in unsre Gewalt zu bekommen. Hm! käm' denn nun auch das Aergste zum Argen, so würde Ihnen der König doch gewiß pardonieren, weil Sie auf dem Zuge sind, für seine Sache zu fechten.« Da nun die Redlichkeit Rebhuhns gerade so weit reichte wie sein Verstand, und beide bloß kleine Geschäfte trieben, so würde er sich mit einer Spitzbüberei von diesem Gewicht nicht eingelassen haben, wenn er sich nicht eingebildet hätte, es wäre dabei gar keine Gefahr zu wagen; denn er war einer von denen, welche mehr Rücksicht auf den Galgen nehmen, als auf die unwandelbare Regel des Rechts. Aber in der That, er meinte, er könnte diesen Diebstahl ohn' alle Gefahr über sich nehmen: denn außer dem, daß er nicht zweifelte, der Name des[203] Herrn Alwerth würde den Gastwirth vermögen, die Sache im stillen abzuthun, so glaubte er auch, er würde allemal sicher sein, was für eine Wendung die Sache auch nehmen möchte, weil, nach seinen Gedanken, Jones auf der einen Seite Freunde genug haben würde, und diese Freunde auf der andern Seite auch ihn nicht stecken lassen würden.

Als Herr Jones fand, daß es dem ehrlichen Rebhuhn mit diesem Vorschlage völliger Ernst sei, las er ihm recht derb den Text, und zwar in so bittern Ausdrücken, daß sich der andre bemühte, die Sache ins Lächerliche zu kehren und mit aller Behendigkeit das Gespräch auf etwas andres zu lenken, indem er sagte: er glaube, sie wären hier in einem Hause, wo die Töchter der Freude ihr Wesen hätten, und er habe mit vieler Mühe zwei solche artige Geschöpfe abgehalten, Se. Gnaden mitten in der Nacht aus dem Schlafe aufzuwecken. »He, da!« sagte er, »ich glaube, sie sind dennoch in Ihrer Kammer gewesen, ich mochte wollen oder nicht, denn der einen ihr Muff liegt ja da auf der Erde.« Wirklich hatte Jones, als er im Finstern wieder nach seinem Bette gegangen war, den Muff auf seinem Kissen nicht wahrgenommen, und hatte ihn, wie er ins Bett gestiegen, heraus auf die Erde geworfen. Rebhuhn nahm ihn jetzt auf und wollte damit in seine Tasche fahren, als Jones ihn zu sehen verlangte. Der Muff war so sehr kenntlich, daß ihn unser Held gewiß ohne den angehefteten Zettel wiedererkannt haben würde. Auf diese schwere Probe ward aber sein Gedächtnis nicht gestellt; denn im ersten Anblick sah und las er die Worte Sophie Western auf dem Papier, welches mit einer Nadel drangesteckt war. In einem Hui wurden seine Blicke wild und wütend und er rief mit heftiger Bewegung: »Alle Himmel! wie ist der Muff hierhergekommen?« – »Das weiß ich ebensowenig, wie Ihr Gnaden,« sagte Rebhuhn, »aber ich sah ihn am Arme einer der beiden Weibsbilder, welche Ihren Schlaf gestört haben würden, wenn ich's gelitten hätte.« – »Wo sind sie?« schrie Jones und sprang dabei aus dem Bette und griff nach seinen Kleidern. »Schon viele Meilen weit von hier, wie ich glaube,« sagte Rebhuhn. Und nun ward Jones bei fernerm Nachfragen hinlänglich versichert, daß diejenige, welche den Muff am Arme getragen, niemand anders gewesen sei, als die liebenswürdige Sophie in eigner Person.

Das Betragen des Herrn Jones bei dieser Gelegenheit, seine Gedanken, seine Blicke, seine Worte, seine Gebärden waren so beschaffen, daß eine jede Beschreibung davon zur Stümperei werden würde. Nachdem er dem Rebhuhn wohl tausendmal und sich selbst nicht viel weniger die bittersten Flüche angewünscht hatte, befahl er dem armen Menschen, welcher vor Furcht fast von Sinnen gekommen[204] war, hin unter zu laufen und Pferde zu mieten, sie möchten auch kosten was sie wollten. Die wenigen Minuten nachher, als er seine Kleider übergeworfen hatte, eilte er selbst die Stiegen hinab, um in eigner Person die Befehle auszurichten, die er eben gegeben hatte.

Ehe wir aber erzählen, was bei seiner Ankunft in der Küche vorging, wird es nötig sein, erst vorher das beizubringen, was sich darin zutrug, seitdem Rebhuhn von seinem Herrn daraus abgerufen ward.

Der Unteroffizier war eben mit seinem Kommando abmarschiert, als die beiden irländischen Herrn aufstanden und herunterkamen, beide klagend, daß sie die Nacht über durch das ewige Getümmel im Gasthof so oft geweckt worden, daß sie nicht im stande gewesen wären, die ganze Nacht durch ein einzigmal ein Auge zuzuthun.

Die Kutsche, mit welcher die junge Dame und ihre Kammerjungfer angekommen waren und welche der Leser vielleicht für ihre eigne gehalten hat, war in der That eine zurückkehrende Mietkutsche, die Herrn King zu Bath zugehörte, einem der ehrlichsten, würdigsten Männer, die jemals Pferd' und Fuhrwerk vermietet haben und dessen Kutschen und Chaisen wir unsern Lesern, die jemals des Weges reisen, aufs beste anempfehlen wollen. Auf diese Art können sie vielleicht das Vergnügen haben, in eben der Kutsche und von eben dem Kutscher gefahren zu werden, wel che wir in dieser Geschichte verewigt haben.

Der Kutscher, welcher nur zwei Passagiere hatte und hörte, daß Herr von Macklachlan nach Bath gehen wollte, erbot sich, ihn um einen sehr mäßigen Preis mitzunehmen. Er that dies Anerbieten auf die Nachricht des Stallknechts, welcher sagte, daß das Pferd, welches Herr von Macklachlan zu Worcester gemietet, viel besser dran sein würde, wenn es zu seinen Freunden dahin zurückkehrte, als wenn es noch eine längre Reise thun müßte, weil besagtes Pferd eher für ein zwei- als vierfüßiges Tier zu achten wäre.

Herr von Macklachlan ging ohne weiteres des Kutschers Vorschlag ein und beredete ihn zu gleicher Zeit, seinen Freund Fitz Patrick den vierten Platz in der Kutsche einnehmen zu lassen. Seinen gestauchten Gliedmaßen war das Fahren zuträglicher als das Reiten, und da er sich für versichert hielt, daß er seine flüchtige Frau zu Bath antreffen würde, so dachte er, ein kleiner Aufschub würde von keinen Folgen sein. Herr von Macklachlan, welcher bei weitem von beiden den verschlagensten Kopf hatte, hörte nicht so bald, daß diese Dame von Chester gekommen wäre und dabei noch die übrigen Umstände, welche er von dem Stallknecht vernahm, als er auf den Gedanken geriet, es könnte wohl gar die Gemahlin seines Freundes sein, und diese Vermutung teilte er unverzüglich Herrn Fitz Patrick[205] mit, dem ein solcher Gedanke auf hundert Meilen weit nicht eingefallen wäre. Die Wahrheit zu bekennen, war er eins von jenen Gemächten, welche die Natur in großer Hast und Eile zusammenbäckt und darüber vergißt, in ihre Köpfe ein wenig Gehirn zu kneten.

Nun geht es dieser Gattung von Leuten, wie den schlechten Schweißhunden, welche von selbst niemals eine Fährte aufnehmen; kaum aber, daß ein genossen gemachter kluger Spürer einen Laut gibt, als sie wie ein Blitz auch anschlagen und, ohne im geringsten nur zu näseln, spornstreichs in vollem Trabe grade vor sich weglaufen. Auf eben die Weise faßte Herr Fitz Patrick den Augenblick, als Herr Macklachlan seine Vermutung vorbrachte, den Gedanken auf und flog geradeswegs die Stiegen hinan, um seine Frau zu überraschen, ehe er noch wußte, wo sie wäre, und zum Unglück (denn das Glück mag gar gern solche Herren necken, die sich ohne Vorbehalt unter seine Vormundschaft begeben) rannte er mit dem Kopfe gegen verschiedene Thüren und Pfeiler, ohne damit das geringste auszurichten. Gegen mich war es viel gütiger, da es mir das eben angeführte Gleichnis von den Jagdhunden an die Hand gab, weil das arme Weib bei dieser Gelegenheit so schicklich mit einem gehetzten Hasen verglichen werden kann. Gleich diesem kleinen unglücklichen Tierlein spitzt sie ihre Ohren, um auf die Stimme ihres Verfolgers zu lauschen; gleich ihm flieht sie zitternd davon, da sie ihn hört und gleich ihm werden die armen Weiber gemeiniglich am Ende eingeholt und vernichtet.

Dies war gleichwohl gegenwärtig der Fall nicht, denn nach einem langen fruchtlosen Nachsuchen kehrte Herr Fitz Patrick wieder nach der Küche zurück, woselbst, als ob dies hier eine wirkliche wahre Jagd gewesen, ein Herr anlangte und dasselbe Jagdgeschrei machte, das die Jäger zu erheben pflegen, wenn die Hunde eine falsche Spur genommen haben. Er war eben vom Pferde gestiegen und hatte ein zahlreiches Gefolge hinter sich.

Hier, meine Leser, wird es nötig sein, Sie mit verschiedenen Dingen bekannt zu machen, welche Sie noch nicht wissen, oder Sie müßten viel weiser sein, als ich von Ihnen glauben kann. Und diesen Unterricht soll Ihnen das nächste Kapitel gewähren.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 202-206.
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