Fünftes Kapitel.

[291] Enthält mehr Abenteuer, welche Herrn Jones und seinem Gefährten unterwegs aufstießen.


Unsre Reisenden gingen jetzt so hurtig, daß sie sehr wenig Zeit und Atem zum Sprechen hatten. Jones dachte den ganzen Weg über an Sophie und Rebhuhn an die Banknote, welche, ob sie ihm gleich einiges Vergnügen machte, ihm doch zu gleicher Zeit auch einigen Aerger über das Glück verursachte, das ihm auf allen seinen Wegen noch niemals eine solche Gelegenheit zugeführt hätte, seine Ehrlichkeit zu zeigen. Sie waren eine starke Stunde gegangen, als Rebhuhn, der es nicht länger mit Jones behendem Schritt aushalten konnte, ihm zurief und ihn bat, er möchte es doch etwas langsamer angehen lassen; worin ihm Jones um desto leichter willfahrte, weil er seit einiger Zeit die Hufspuren der Pferde verloren hatte, welche er bei dem Tauwetter eine ziemliche Strecke hindurch hatte wahrnehmen können, und sie waren nun auf einer weiten Trift, über welche verschiedene Wege liefen.

Er stand also hier still, um zu überlegen, welchem von diesen Wegen er folgen sollte, als sie auf einmal den Schall einer Trommel hörten, welcher aus der Nähe zu kommen schien. Dieser Ton setzte alsobald Rebhuhns Furcht in vollen Gang und er schrie: »Gott sei uns gnädig und barmherzig! Gewiß, da kommen sie schon!« – »Wer kommt schon?« rief Jones; denn die Furcht hatte längst schon in seinem Gemüte viel lieblicheren Ideen Platz gemacht, und seit seinem Abenteuer mit dem lahmen Manne war er des völligen Vorsatzes, Sophien nachzureisen, und er hatte nicht den geringsten Gedanken an einen Feind. »Wer!« schrie Rebhuhn. »Je, die Rebellen! Aber warum sollt' ich sie Rebellen nennen? Es mögen wohl recht wackere Männer sein! Das will ich ihnen ganz und gar nicht abstreiten. Mag den der Henker holen, der ihnen was zuleide sagt! ich gewiß nicht. Fürwahr wenn sie mir nichts zu sagen haben, so will ich ihnen auch gewiß nichts zu sagen haben, als alles Liebe[291] und Gute. Ums Himmels willen! lieber Herr, sagen Sie ihnen doch ja nichts zuwider, wenn sie kommen sollten, dann lassen sie uns vielleicht in Ruh' und Frieden gehen. Aber wär' es wohl nicht am ratsamsten, wenn wir uns dort solange in jene Büsche verkröchen, bis sie vorbeimarschiert sind? Was können zwei wehrlose Mann gegen vielleicht ihrer fünfzigtausend thun? Fürwahr, niemand als wer nicht bei Sinnen ist, – ich hoffe, Ihr Gnaden werden mir drüber nicht böse, – aber gewiß kein Mensch, der mens sana habet in corpore sano –« Hier unterbrach Jones den Strom der Beredsamkeit, womit ihn die Furcht begeistert hatte, indem er sagte: »Aus den Trommeln schlösse er, sie wären nicht weit von einem Städtchen.« Er ging also geradeswegs nach der Gegend hin, woher der Schall kam, und munterte Rebhuhn auf, er solle Mut fassen, denn er wolle ihn in keine Gefahr führen, und setzte hinzu, es wäre unmöglich, daß die Rebellen schon so nahe sein könnten.

Rebhuhn schöpfte ein wenig Trost aus dieser letzten Versicherung, und ob er gleich viel lieber Linksum gemacht hätte, so folgte er doch seinem Vormann, wobei sein Herz, nur nicht nach Heldenmanier, den Takt zur Trommel schlug, die nicht eher schwieg, bis sie quer über die Trift gegangen und in einen hohlen Weg gekommen waren.

Und jetzt entdeckte Rebhuhn, der mit Jones gleichen Schritt hielt, etwas Buntes, das nur wenig Ruten weit von ihnen in der Luft flatterte. Da er nichts andres meinte, als es wäre eine feindliche Fahne, fing er an zu blöken: »Lieber Gott! da sind sie, Junker! da ist die Kron' und Sarg. Ach lieber Gott! so was Greuliches hab' ich in meinem Leben noch nicht gesehen, und sind ihnen noch dazu schon im Schusse!«

Sowie Jones nur in die Höhe blickte, ward er ganz deutlich gewahr, was es gewesen, das den Rebhuhn so ins Bockshorn gejagt hatte. »Rebhuhn,« sagte er, »ich denke, mit dieser Armee wird Er wohl allein im stande sein, es aufzunehmen! Denn aus der Fahne kann ich schon erraten, was es für eine Trommel gewesen, die wir vorhin hörten, und welche Rekruten für ein Marionetten-Theater zusammentrommelt.«

»Marionetten?« antwortete Rebhuhn mit dem lebhaftesten Entzücken. »Aber sollt's gewiß wohl nichts Schlimmeres sein? Das Marionettenspiel hab' ich lieber als alle Lustbarkeiten auf Gottes Erdboden. O gütiger, lieber Herr, lassen Sie uns doch hierbleiben und hineingehen. Ich bin dazu schier des Todes vor Hunger; denn es ist fast Abend und ich habe noch keinen Bissen genossen, seit Glocke drei heute morgen.«

Sie langten nun an in einem Gasthofe, oder eigentlicher in einer Bierschenke, wo sich Jones überreden ließ, einzukehren, um so[292] mehr, da er nicht sicher war, ob er noch auf dem Wege wäre, den er wünschte. Sie gingen beide geradezu nach der Küche, woselbst Jones sich zu erkundigen begann, ob heute morgen keine Damen dieses Wegs gekommen wären, und Rebhuhn forschte ebenso lebhaft nach dem Zustande der Speisekammer, und in der That gelang es ihm mit seiner Nachfrage am besten, denn Jones konnte von Sophie nichts Neues erfahren; Rebhuhn hingegen fand zu seiner großen Zufriedenheit Ursache, sehr bald den angenehmen und herzerquickenden Geruch von einer Pfanne voll Eier und Schinken zu erleben.

Bei starker und gesunder Leibesbeschaffenheit thut die Liebe eine ganz verschiedene Wirkung von der, welche sie bei der schwachmatten Art von Menschen anrichtet. Bei den letzten zerstört sie gemeiniglich all den Appetit, welcher auf die Erhaltung des Leibes geht. Bei den ersten aber, ob sie gleich oft Essen und Trinken sowohl als alles übrige vergessen und versäumen läßt, so darf man doch nur einen gut bekrusteten Lendenbraten einem hungrigen Liebhaber vor die Nase setzen, und er wird selten ermangeln, gar behende seine Rolle zu spielen. Ebenso ging's auch hier; denn obgleich Jones eines Einbläsers bedurfte, und wenn er allein gewesen wäre noch viel weiter mit leerem Magen gereist sein möchte, so hatte er sich doch kaum bei den Eiern und Schinken niedergelassen, als er ebenso wacker und heißhungrig zulangte wie Rebhuhn selbst.

Die Nacht trat ein, ehe noch unsre Reisenden ihre Mahlzeit geendigt hatten, und weil es auf den Neumond losging, so war es außerordentlich dunkel. Rebhuhn vermochte also über Herrn Jones, zu bleiben und das Marionettenspiel mit anzusehen, welches eben angehen sollte und wozu sie von dem Entrepreneur des Theaters sehr dringend eingeladen wurden, der ihnen beteuerte, seine Figuren wären die schönsten, die man nur jemals in der Welt gesehen hätte, und wären allenthalben in allen vornehmen Städten und von hohen Standespersonen mit dem gnädigsten Beifall beehrt worden.

Dies dramatische Werk ward mit großer Regelmäßigkeit und strengem Wohlstande aufgeführt. Es war betitelt: Auswahl der besten und ernsthaften Stellen aus dem »aufgebrachten Ehemann«; und in der That war es ein sehr ernsthaftes feierliches Lustspiel, ohne niedrigen Witz, närrische Einfälle oder Possen, oder um ihm nichts mehr als Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ohne irgend etwas, das einen hätte zum Lachen bewegen können. Die Zuschauer waren außerordentlich vergnügt. Eine sehr ehrbare Matrone sagte dem Prinzipal, sie wollte morgen abend ihre beiden Töchter mitbringen, weil er kein possenhaftes Zeug vorstellte, und ein Aktenschreiber und ein Accisbedienter bezeugten beide, die Charaktere des Herrn und der Frau Townny wären brav gehalten und richtig nach[293] dem Leben gezeichnet. Dieser Meinung stimmte Rebhuhn gleichfalls bei.

Der Herr Marionettenspiel-Direktor ward durch diese Lobsprüche dergestalt in die Höhe geschraubt, daß er sich nicht enthalten konnte, noch einige von den seinigen hinzuzufügen. Er sagte, unsre Zeiten wären über diesen Punkt so aufgeklärt als über die Marionettenspiele, aus welchen man durch Abschaffung des Hanswursts und seiner Frau, der Liesel, und dergleichen groben Personagen, endlich einen sehr vernünftigen und lehrreichen Zeitvertreib gemacht habe. »Ich erinnere mich noch,« sagte er, »als ich zu erst anfing das Wort zu führen, gab es noch eine Menge von unregelmäßigen Stücken, welche gut genug dazu waren, das Volk lachen zu machen; aber sie waren gar nicht darauf berechnet, die Sitten junger Leute zu bessern, welches doch der eigentliche und wahre Hauptzweck ist, der bei einem Puppenspiele beabsichtigt werden soll; denn warum sollte man nicht Tugend und Empfindsamkeit ebensogut auf diesem Wege verbreiten können als auf einem andern? Meine Figuren haben Lebensgröße und sie stellen das menschliche Leben in allen Ständen vor, und ich bin gewiß, mein Auditorium geht aus meinen kleinen dramatischen Spielen ebenso erbaut nach Hause als aus größeren.« – »Ich bin keineswegs gesonnen,« antwortete Jones, »die größere Aufklärung in Ihrer Profession zu bezweifeln; bei alledem wäre mir's gleichwohl lieb gewesen, meinen alten Bekannten, den allezeit pritschfertigen Hanswurst mit seiner bunten Jacke wiederzufinden, und mich deucht, Sie haben dadurch, daß Sie ihn und sein lustiges Weib, die Liese, von Ihrem Theater verbannt haben, Ihr Spiel nicht sowohl verbessert als vielmehr verschlechtert.« Auf diese Worte faßte der steif und schlaffe Seiltänzer ohne weiteres eine herzliche Verachtung gegen Herrn Jones und versetzte mit spöttischer Künstlermiene: »Ich glaub' es, mein Herr, Ihre Meinung mag das wohl sein, aber ich habe das Vergnügen zu wissen, daß die aufgeklärtesten Richter ganz verschieden von Ihnen denken, und jedermanns Geschmacke zu gefallen, das ist unmöglich. Ich gesteh' allerdings, einige von den hochadeligen Personen zu Bath verlangten vor zwei oder drei Jahren gar sehnlich den Hanswurst wieder auf meiner Bühne zu sehen, und ich glaube, ich büßte ein ziemliches Geld dadurch ein, daß ich ihnen nicht darin gefällig sein wollte, aber laß andre es machen wie sie wollen, ich werde mich durch Kleinigkeiten nicht bestechen lassen, meine eigne Kunst herabzuwürdigen, und mit meinem Willen soll der Wohlstand und die Regelmäßigkeit meiner Schaubühne nicht dadurch verletzt werden, daß ich wieder solche Possenreißereien darauf litte.«

»Recht, Freund,« rief der Schreiber, »Sie haben's größte Recht![294] Immer weg mit allem was niedrig und gemein ist! Verschiedene von meinen Bekannten in London sind fest entschlossen, alles was niedrig und gemein ist vom Theater zu treiben.« – »Das ist ein sehr löblicher Vorsatz,« rief der Accisbediente und nahm dabei seine Pfeife aus dem Mund. »Ich erinnere mich noch,« fuhr er fort, »(denn ich diente damals bei unsrem Grafen), ich war den Abend auf der Bedienten-Galerie, als die Komödie vom ›aufgebrachten Ehemann‹ zum erstenmal agiert wurde. Es war eine große Menge gemeinen Schnickschnacks darin über einen Landedelmann, der zur Stadt gekommen war und im Parlament sitzen wollte, und da brachten sie ein paar von seinen Bedienten mit ins Spiel, und auf den Kutscher besinn' ich mich noch am besten, aber die Herren in unsrer Galerie konnten so gemein Zeug nicht ausstehen und zischten es aus. Ich sehe, Freund, Sie haben alle den Kram ausgelassen und verdienen dafür Lob und Ehre.«

»Ja, meine Herren,« rief Jones, »gegen so viele Stimmen kann ich meine Meinung nicht behaupten. Freilich, wenn die Mehrheit unter seinen Zuschauern ihn nicht leiden kann, so hat der gelehrte Herr, welcher das Drama dirigiert, wohl sehr recht gethan, daß er den Hanswurst und seine lustigen Kameraden aus seinem Dienste entlassen hat.«

Der Herr Puppenprinzipal begann hierauf eine zweite Rede einzufädeln und sagte ein langes und breites über die Macht des Beispiels und wie sehr die niedrige Klasse der Menschenkinder vom Laster abgeschreckt würde, wenn sie sähen, wie häßlich es bei den Vornehmern herauskäme, als er unglücklicherweise durch einen Zufall unterbrochen wurde, welchen wir vielleicht vorbeigelassen hätten, den wir uns aber jetzt nicht enthalten können zu erzählen, nur nicht in diesem Kapitel.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 2, S. 291-295.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings
Tom Jones: Die Geschichte eines Findlings
Tom Jones 1-3: Die Geschichte eines Findlings: 3 Bde.
Die Geschichte des Tom Jones, eines Findlings
Die Geschichte des Tom Jones, eines Findlings

Buchempfehlung

Anonym

Historia von D. Johann Fausten

Historia von D. Johann Fausten

1587 erscheint anonym im Verlag des Frankfurter Druckers Johann Spies die Geschichte von Johann Georg Faust, die die Hauptquelle der späteren Faustdichtung werden wird.

94 Seiten, 6.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon