Achtes Kapitel.

[81] Eine Universalmedizin, die verlorene Liebe einer Ehefrau wieder zu gewinnen, welche in allen, auch in den desperatesten Fällen als probat befunden werden wird.


Für die angenehmen Minuten, die der Kapitän im Umgang seiner Ehegattin zubrachte, und deren er so wenige machte, als er es mit seiner List und Kunst bewirken konnte, ward er durch die ergötzlichen Betrachtungen reichlich schadlos gehalten, denen er sich überließ, wenn er allein war.

Diese Betrachtungen beschäftigten sich ganz allein mit Herrn[81] Alwerths Vermögen; denn erstlich übte er seine Gedanken fleißig daran, so genau, als durch Zahlen möglich, den Belauf des ganzen zu berechnen; welche Berechnung er oft zu seinem Vorteil zu verändern Ursache fand, und zweitens und vornehmlich that er sich gütlich mit Entwürfen zu Veränderungen im Hause und Garten, und mit Durchdenkung mancher andern Plane, zur Verbesserung der Güter sowohl, als zur Vergrößerung und Verschönerung der Gebäude. Zu diesem Endzwecke legte er sich auf das Studium der Bau- und Gartenkunst und las in beiden Wissenschaften manches Buch durch; denn diese Wissenschaften nahmen ihm wirklich alle Stunden weg und machten seinen ganzen Zeitvertreib aus. Endlich brachte er einen gar vortrefflichen Plan ins reine. Und sehr leid thut es uns, daß es nicht in unsrem Vermögen steht, solchen dem Leser vorzulegen, weil selbst die Ueppigkeit und Prachtsucht unsrer Tage schwerlich, wie ich glaube, seinesgleichen würde aufweisen können. Dieser Plan hatte in der That in einem sehr hohen Grade zwei der vorzüglichsten Eigenschaften, welche erforderlich sind, um alle großen und edlen Entwürfe zu empfehlen, denn es gehörte ein unmäßiger Aufwand dazu, ihn auszuführen, und eine Zeit von vielen Jahren, bevor er nur einigermaßen vollendet werden konnte. Das erste von diesen beiden, den Aufwand an Geld, versprach sich der Kapitän mit dem unermeßlichen Reichtum des Herrn Alwerth, den er ganz sicher zu erben dachte, ganz gemächlich zu bestreiten, und in Ansehung des zweiten setzten ihn sein guter Gesundheitszustand und sein Alter, das nicht höher ging, als was man das mittlere zu nennen pflegt, außer alle Sorgen, daß er nicht die Ausführung erleben sollte.

Nichts fehlte weiter, um ihn instandzusetzen, das Werk von Stund an in Gang zu bringen, als der Tod des Herrn Alwerths; diesen auszurechnen hatte er manchen Abend auf seine eigne Hand algebraisirt und überdem noch jedes Buch gekauft und gelesen, das über die Wahrscheinlichkeit der Lebensjahre, zum Behufe der Lebensversicherungen, Witwenkassen, Leibrenten u.s.w. zu haben war. Vermittelst dessen allem er sich überzeugte, daß, sowie er Wahrscheinlichkeit für sich hätte, daß sein Erblasser jeden Tag sterben könne, so hätte er überwiegende Wahrscheinlichkeit, daß er in wenig Jahren sterben würde.

Unterdessen aber, als der Kapitän eines Tages in tiefem Nachdenken über Sachen dieser Art begriffen war, begegnete ihm einer der unglücklichsten und zugleich unzeitigsten Zufälle. Die tückischste Bosheit des Glücks hätte wirklich nichts so Grausames, so Mal-à-propos, so Grundstürzendes für alle seine Projekte herausgrübeln können. Kurz, um den Leser nicht lange in Zweifel zu lassen,[82] gerade in demselben Augenblicke, da sein Herz voll Jubels klopfte, in anschaulicher Betrachtung der Glückseligkeiten, die ihm zuwachsen müßten durch Alwerths Tod – starb er selbst dahin am Schlage.

Dieser überfiel den Kapitän beklagenswürdigerweise, als er eben für sich allein seinen Abendspaziergang im Garten that, so daß niemand zur Hand war, der ihm hätte Hilfe leisten können, wenn anders Hilfe ihm hätte das Leben retten mögen. Er nahm also Maß von dem Teil des Erdbodens, welches nunmehr für all seine künftigen Bedürfnisse hinlänglich geworden war, und er lag da auf der Erde, ein großes (obgleich nicht lebendes) Beispiel von der Wahrheit jener Bemerkung des Horaz:


»Tu secanda marmora

Locas sub ipsum funus: et sepulchri

Immemor, struis domos.«


Welches ich für den Leser folgender Gestalt übersetzen will:


»Du schaffest kostbaren Vorrat zum bauen herbei, wenn's nur des Spatens und der Hacke bedarf; – bauest Häuser fünfhundert Fuß lang und hundert breit, und vergissest jenes von sechs Fuß zu zwei.«

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 81-83.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Tom Jones. Die Geschichte eines Findlings
Tom Jones: Die Geschichte eines Findlings
Tom Jones 1-3: Die Geschichte eines Findlings: 3 Bde.
Die Geschichte des Tom Jones, eines Findlings
Die Geschichte des Tom Jones, eines Findlings