Viertes Kapitel.

[60] Beschreibung einer der blutigsten Schlachten oder vielmehr Zweikämpfe, die nur jemals in Hausgeschichten auf die Nachwelt gebracht worden.


Aus den im vorigen Kapitel beigebrachten Gründen und wegen andrer ehelichen Vorteile, welche den meisten Ehegenossen wohl bekannt sind und die gleich den Geheimnissen der Freimaurer niemand bekannt gemacht werden sollten, der nicht von der hochlöblichen Brüderschaft Mitglied ist: war Frau Rebhuhn darüber gar wohlgemut, daß sie ihren Eheschatz unschuldigerweise verdammt hatte, und gab sich Mühe, ihren falschen Verdacht durch Liebesbezeigungen wieder gut zu machen. Ihre Leidenschaften waren wirklich gleich heftig, wohin sie auch gerichtet sein mochten; denn, wie sie sehr heftig zürnen konnte, so konnte sie auch fast ebenso heftig lieben.

Allein, obgleich diese Leidenschaften gewöhnlich einander ablösten und selten einmal vierundzwanzig Stunden hingingen, während welcher der Pädagog nicht gewissermaßen der Gegenstand von beiden gewesen; so war doch bei außerordentlichen Gelegenheiten, wenn die Leidenschaft des Zorns sehr arg getobt hatte, der Nachlaß gewöhnlich länger, und so war gegenwärtig der Fall: denn sie beharrte länger in einem Stande milder Freundlichkeit, nachdem dieser Anfall von Eifersucht vorüber war, als ihr Ehegemahl jemals erlebt hatte. Und wär es nicht bloß wegen einiger kleinen Uebungen gewesen, wozu alle Anhänger der Xanthippischen Sekte täglich verbunden sind, so hätte Herr Rebhuhn einige Monate hindurch einer vollkommen heitern Stille genossen.

Völlige Stille zur See wird von erfahrnen Seemännern allemal für einen Vorboten des Sturms geachtet: und ich kenne einige Leute, die, ohne eben durchgängig am Aberglauben zu hängen, zu besorgen geneigt sind, daß große und ungewöhnliche Ruhe und langer Frieden Vorläufer von ihrem Gegenteile sind. Aus dieser Ursache hatten die Alten bei solchen Gelegenheiten die Gewohnheit, der Göttin Nemesis zu opfern: eine Göttin, welche nach ihrer Meinung mit einem neidischen Auge auf menschliche Glückseligkeit herabsähe und in ihrer Vernichtung ein ganz eigenes Behagen fände.

Da wir weit entfernt sind, an irgend eine solche heidnische Gottheit zu glauben oder irgend jemand in seinem Aberglauben zu bestärken, so wünschen wir, daß irgend ein haarscharfer Philosoph sich ein wenig Mühe geben wollte, die Grundursache dieses schnellen Uebergangs vom Glück zum Unglück heraus zu demonstrieren. Ein Uebergang, der so oft bemerkt worden und wovon wir ein Beispiel[61] zu geben im Begriff stehen; denn unser Geschäft ist, Thatsachen zu erzählen, und die Ursachen müssen wir Männern von viel höherm und tiefern Genie überlassen.

Die Menschenkinder haben von jeher ein großes Vergnügen darin gefunden, das Thun und Lassen anderer zu wissen und zu untersuchen. Daher hat man zu allen Zeiten und unter allen Völkern gewisse Plätze für öffentliche Zusammenkünfte ausgesonnen, woselbst die Neubegierigen zusammenkommen und ihre gegenseitige Neugier befriedigen könnten. Unter diesen haben die Barbierstuben mit Recht den Vorzug gewonnen. Bei den Griechen war Barbierzeitung ein sprichwörtlicher Ausdruck und Horaz thut in einer von seinen Episteln von römischen Barbieren in eben dem Lichte sehr ehrenvolle Erwähnung.

Die Barbierer in England sind dafür bekannt, daß sie ihren griechischen und römischen Vorgängern nichts nachgeben. Man sieht bei ihnen die auswärtigen Affairen auf eine Art ausmachen, welche der, womit solche in den Kaffeehäusern behandelt werden, fast sehr nahe kommt, und häusliche Vorfälle werden in den ersten weit umständlicher und freimütiger vorgenommen als in den letztern. Doch diese Oerter sind eigentlich nur für Mannspersonen. Da nun aber das Frauenzimmer dieses Landes von den niedern Klassen sich häufiger zu einander gesellt als das von andern Nationen, so wäre unsere Polizei höchst fehlerhaft gewesen, hätte sie nicht gleichfalls einige Oerter festgesetzt, wo unsere Weiblein für ihre Neugier Nahrung finden können, da man sieht, daß sie in diesem Punkte nicht weniger Bedürfnisse haben als die andere Hälfte des Geschlechts.

Im Genuß solcher Versammlungsplätze müssen sich also die britischen Schönen viel glücklicher achten als alle übrigen ihrer Schwestern in fremden Landen; weil ich mich nicht erinnere, von dergleichen Art etwas in der Geschichte gelesen oder auf meinen Reisen gesehen zu haben.

Dieser Versammlungsplatz ist denn kein anderer als die Lichtgießerbude, der bekannte Sitz aller Neuigkeiten oder, wies es wohl besser, obgleich etwas gemeiner heißen möchte, alles Gevatternschnacks. Als Frau Rebhuhn in dieser weiblichen Versammlung gegenwärtig war, befragte sie eine von ihren Nachbarinnen, ob sie nichts Neues von Hannchen Jones gehört hätte, worauf sie verneinend antwortete; worauf die andere mit einem Lächeln versetzte: das Kirchspiel sei ihr viel Dank schuldig, dafür, daß sie das Mädchen, so wie sie gethan, fortgejagt hätte.

Frau Rebhuhn, deren Eifersucht, wie der Leser recht gut weiß, längst vertrieben war und die keine andere Klage über ihre Magd gehabt hatte, antwortete ganz keck: sie wisse nicht, was sie damit[62] sagen wollte; ihr sei das Kirchspiel dafür nichts schuldig, denn Hannchen hätte schwerlich, wie sie glaubte, ihresgleichen hinter sich gelassen.

»Nein, gewiß nicht,« sagte Trine Gevatterin, »ich hoffe nicht! Doch, denk' ich, hätten wir Schlumpen noch genug! Sie hat also noch nicht gehört, dünkt mich, daß die Dirne mit zwei Wechselbälgern niedergekommen ist? Doch was geht's uns an, sagt mein lieber Mann und der andere Kirchen-Jurat; da sie hier nicht geboren sind, haben wir's nicht nötig, sie zu füttern.«

»Zwei Wechselbälger!« antwortete Frau Rebhuhn hastig. »Sie macht mich erstaunen. Ob sie hier aufgefüttert werden müssen, weiß ich nicht; aber das weiß ich, daß sie das Mensch hier aufgesackt haben muß, denn sie ist noch keine neun Monate von hier weg.«

Nichts kann so schnell und plötzlich sein, als das Geschäft der Phantasie, besonders wenn Hoffnung oder Furcht, oder Eifersucht, bei welcher die beiden vorigen nur als Handlanger arbeiten, solche in Gang setzt. Es fiel ihr augenblicks ein, daß Hannchen fast niemals aus dem Hause gegangen wäre, so lange sie bei ihr gedient. Das Lehnen über dem Stuhle, das plötzliche Aufspringen, das Latein beim Essen, das Lächeln, das Rotwerden und viele andere Dinge drängten sich auf einmal in ihr Gehirn. Die Zufriedenheit, die ihr Mann über Hannchens Entlassung bezeigte, kam ihr jetzt als bloße Verstellung vor, in dem Augenblick aber wieder als wahr, und doch wieder, um ihre Eifersucht zu bekräftigen, als wäre solche aus Sättigung entstanden und aus hundert andern schlimmen Ursachen mehr. Mit einem Wort, sie war überzeugt von ihres Mannes Verbrechen und verließ augenblicklich voller Verwirrung die gesprächige Versammlung.

So wie der schöne Kater Murner, welcher, obgleich der jüngste vom Geschlecht der mausenden Löwen, dennoch nicht ausartet von der Wildheit des ältern Zweiges ihres Hauses, und, obgleich geringer an Stärke, doch gleich bleibt an Blutgier dem edlen Tiger selbst; wenn ein kleines Mäuslein, das er lange spielend gequält, seinen Krallen für ein Weilchen entwischt, herumspringt, das Haar sträubt, einen hohen Buckel macht und schreit und kratzt; wenn aber der Koffer oder Kasten, wohinter sich das Mäuslein verkrochen hatte, weggenommen wird, wie in Blitz auf seine Beute schießt, sie packt, und mit vergifteter Wut beißt, quetscht und das arme Tierchen in Stücke zerreißt:

So, mit nicht geringerer Wut schoß Frau Rebhuhn auf den Pädagogen! Ihre Zunge, Zähne und Hände fielen alle zugleich über ihn her. Seine Perücke war in einem Hui! vom Kopfe;[63] sein Hemd in Fetzen vom Leibe, und seinem Angesichte entflossen fünf blutige Ströme und bezeichneten die Zahl der Krallen, womit die Natur unglücklicherweise seinen Feind bewaffnet hatte.

Rebhuhn focht einige Zeit bloß verteidigungsweise, und strebte wirklich nur, sein Angesicht mit seinen Händen zu schützen; da er aber fand, daß seine Widersacherin von ihrer Wut nicht nachließ, so dachte er, er könne wenigstens suchen, sie zu überflügeln oder ihre Flügel unthätig zu machen. Da er also ihre Arme packte, verlor sie im Ringen ihr Kopfzeug; und ihr Haar, das zu kurz war, die Schultern zu erreichen, sträubte sich auf ihrem Kopfe empor; ihr Schnürleib, das nur unten durch ein Loch befestigt war, barst auf, und ihr Busen, woran sie weit mehr Vorrat hatte, als an Haaren, fiel bis unter den Gürtel herab; auch ihr Gesicht war befleckt mit dem Blute ihres Bettgenossen; ihre Zähne knirschten vor Wut; und Feuer, wie es vom Amboß eines Grobschmieds sprühet, schoß ihr aus den Augen, so daß alles zusammengenommen diese amazonische Heldin einem weit kühneren Manne, als Rebhuhn war, ein Gegenstand des Schreckens hätte werden können. Er hatte endlich das Glück, durch den Besitz ihrer Arme die Waffen, welche sie am Ende ihrer Finger trug, unbrauchbar zu machen; welches sie nicht so bald merkte, als die wässerige Weichheit ihres Geschlechts das Feuer ihres Zorns löschte und sie plötzlich in Thränen zerschmolz; worauf denn bald eine Ohnmacht die Schlacht endigte.

Das bißchen Besinnung, welche Rebhuhn während dieses Auftritts, von dessen Anlaß er kein Wort wußte, noch übrig behalten hatte, verließ ihn nunmehr noch völlig. Er lief augenblicklich auf die Straße und schrie aus: seine Frau läge in Todesnöten, und flehete die Nachbarn an, sie möchten ihr doch aufs eiligste zu Hilfe kommen! Verschiedene gute Weiber thaten sein Begehren, gingen in sein Haus, brauchten die in solchen Fällen gewöhnlichen Mittel, und Frau Rebhuhn ward zur innigsten Freude ihres Mannes wieder zu sich selbst gebracht. Sobald sie ihre Lebensgeister ein wenig wieder gesammelt und durch ein herzstärkendes Gläschen wieder etwas beruhiget hatte, begann sie die Gesellschaft von den mancherlei Beleidigungen, die sie von ihrem Manne erfahren hätte, zu benachrichtigen. Er begnügte sich nicht damit, sagte sie, ihr eigenes Ehebette zu beflecken, sondern als sie ihm das vorgeworfen, habe er sie noch dazu auf die entsetzlichste Weise, die man sich nur erdenken könnte, gemißhandelt; habe ihr das Kopfzeug und die Haare vom Kopfe gerauft, habe ihr die Schnürbrust vom Leibe gerissen und zu gleicher Zeit ihr einige Stöße und Schläge versetzt, davon sie die Mäler wohl mit in ihr Grab nehmen würde.[64]

Der arme Mann, welcher in seinem Gesichte mehr sichtbare Merkzeichen des ausbrechenden Aergers seiner Frau aufzuweisen hatte, stand da im stillen Erstaunen über diese Anklage, welche, wie ihm hoffentlich der Leser bezeugen wird, weit über die Schranken der Wahrheit hinausging; denn in der That, er hatte ihr nicht einen einzigen Schlag gegeben. Da aber sein Stillschweigen von der ganzen Gerichtsbank als ein Geständnis des Verbrechens angesehen ward, so begannen sie alle una voce ihn herunterzumachen und auszuhunzen, wobei oft wiederholt ward, nur eine feige Memme könne ein Weib schlagen.

Rebhuhn ertrug alles mit Geduld, als aber seine Frau sich auf das Blut in ihrem Gesichte als auf einen Zeugen seiner Grausamkeit berief, da konnte er nicht umhin, das Eigentum seines Blutes zu reklamieren (wir wissen, daß es sein war), weil er es für unnatürlich hielt, daß sein eigenes Blut wider ihn selbst um Rache schreien sollte, wiewohl ehemals das Blut der Erschlagenen gegen ihre Mörder gethan haben und noch thun soll.

Auf diese Reklamation gaben die Weiber keine andere Antwort, als: es wäre schade, daß das Blut nicht aus seinem Herzen wäre, anstatt aus seinem Gesichte, und alle erklärten dabei, daß, sollten ihre Ehemänner nur eine Hand gegen sie aufheben, sie ihnen das Blut aus dem Herzen abzapfen wollten.

Nach manchem Verweise, wegen des Vergangenen, und mancher Vermahnung, die dem armen Rebhuhn wegen seiner künftigen Aufführung gegeben worden, ging endlich die Gesellschaft auseinander und ließ Mann und Weib zu einer persönlichen Konferenz bei einander, worin Rebhuhn sehr bald die Ursache aller seiner Leiden erfuhr.

Quelle:
Fielding, Henry: Tom Jones oder die Geschichte eines Findelkindes. Stuttgart [1883], Band 1, S. 60-65.
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