Zwölfter Brief
Reinhold an Olivier

[33] Sollte mein Olivier wohl jemals recht gewußt haben was er wollte? – Also noch immer der Lobredner voriger Zeiten, und alles dessen was er nicht hat? – In Italien sehnt er sich nach den deutschen Weibern, in Deutschland nach den Italienerinnen. Dort wurde die Treue, die Reinheit der deutschen Mädchen,[33] das hohe Jungfräuliche in ihrem Wesen gepriesen; hier scheinen diese belobten Eigenschaften eben so viele Fehler zu seyn.

Arme Weiber! wann werdet ihr den männlichen Egoismus befriedigen? – Seyd ihr eingeschränkt an Verstande; so glauben wir uns berechtigt euch als bloße Mittel zur Befriedigung unserer Sinnlichkeit zu gebrauchen. Untersteht ihr euch zu denken; so beschuldigen wir euch der Unweiblichkeit und betrachten euch als Empörer. Behandeln könnt ihr uns mit der höchsten Vernunft, nur wissen dürft ihr nicht, daß ihr sie habt. Alles Große und Erhabene an euch dulden wir nur als Instinkt, nie als Raisonnement.[34]

Aber Olivier, liegt dieser schreckliche Despotismus in der Natur? und läge er darin, müßten wir ihn dann nicht eben so wie die Erbsünde bekämpfen? – Wahrlich ich glaube es ist einmal Zeit, wenn wir anders auf wahre Bildung Anspruch machen wollen. Achtung der Weiber war immer der richtigste Maasstab für die Cultur einer Nation.

Von Deinem Auftrage ein anderes Mal. Nur so viel zur Nachricht: ich kenne Deine Amazone. Sie ist ein höchst interessantes Mädchen. Eben deswegen habe ich mich aber sehr vor ihr gehütet. Unsere Angelegenheiten mit dem F...schen Hofe werden alle Tage ernsthafter, der Gesandte wirft alles auf mich,[35] und da muß ich schlechterdings jede Zerstreuung vermeiden. Doch so bald ich wieder Othem hole, besuche ich den Vater. Er ist ein alter ehrlicher Brausekopf, der seine Tochter und ihr ungeheures Vermögen gern in guten Händen wissen mögte. Aber das Mädchen hat ihm bis diesen Augenblick widerstanden, und scheint sich wirklich über alle Männer lustig zu machen. Auch Deinem gehorsamen Diener wird es schwerlich besser ergehen.[36]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 1, Posen und Leipzig 1802, S. 33-37.
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