Sieben und dreißigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

[121] Alle Ahnungen sind überflüssig. Ihr Bothe kam nur zwey Stunden später als er sollte; aber wir sind entdeckt. Der König war schon seit geraumer Zeit hier und suchte Julie eben so geflissentlich auf, als sie ihn vermied. Welch Wunder! daß er bey seiner außerordentlichen Reitzbarkeit, sich angezogen fühlt, wo die kältesten[121] Männer gerührt werden. – Julie in ihrer Kinderunschuld meinte, es sey Wohlgefallen an unserm Geschwätz und fürchtete nur das Aufsehen. Aber seine Augen haben ihn verrathen, und jetzt, nach der Ankunft des Obristen ist kein Zweifel mehr übrig.

Schon seit mehreren Tagen hatten wir unter dem Vorwande einer Unpäßlichkeit allen Spaziergängen entsagt. Endlich lockte uns das schöne Wetter aus unserm Zimmer hervor. Wir glaubten überdem, der König sey ausgeritten, und athmeten sorgenlos die reine erquickende Luft, als wir plötzlich seine Stimme dicht neben uns hörten. »Laßt ihn hierher kommen,« – sagte er zu seinen Leuten, und[122] stand vor uns, ehe wir nur versuchen konnten, ihm auszuweichen.

Ein paar Minuten, und wir sind, trotz unserer Einsylbigkeit, wieder meisterhaft ins Gespräch verwickelt. Aber mit einem Male ruft der König: »Ah da ist er! Nicht wahr? Sie verzeihen mir, wenn ich einen alten Freund in Ihrer Gegenwart bewillkomme?« –

Wir verneigten uns und schwiegen. Was konnten wir auf diese übertriebene Höflichkeit antworten? –

Jetzt erscheint ein großer entsetzlicher Mann in p... Uniform am Ende der Allee. Der König verdoppelt die Schritte. Wir müssen folgen. Auch der Mann nähert sich schneller.[123] »Julie! – rufe ich mit einem Male – wer ist das?« – »Der Obriste Olivier!« – sagt der König, starrt mich an, und wendet sich dann zu Julie mit der Frage: »kennen Sie ihn?« – »Es ist mein Vormund« – antwortet sie gefaßt; aber bleich wie eine Leiche. Der König steht still, und seine Augen ruhen unverwandt auf Julien. So findet uns der Obriste.

Es war unmöglich den gewaltsamen Kampf zwischen Anstand und überwältigender Empfindung bey ihm zu verkennen. – »Wahrscheinlich eine ganz unvermuthete Zusammenkunft?« – sagt der König in einem empfindlich höflichen Tone. – »Meine Braut – antwortet[124] der Obriste, und seine Augen sprühen Flammen – mußte sich ohne Abschied von mir trennen.« – Mit einer tiefen Verbeugung setzt er nach einem allgemeinen Stillschweigen hinzu: »ich habe nicht säumen wollen Ew. Majestät Befehlen zu gehorchen.«

»Verbunden! sehr verbunden!« – ruft der König im lustig seyn sollenden Tone – »Aber jetzt wäre es grausam Ihnen mit meinen Angelegenheiten beschwerlich zu fallen. Kommen Sie Fräulein! – indem er sich zu mir wendet – Sie müssen Ihr Versprechen erfüllen, und mir die neue Anlage zeigen.«

Ich wußte von keinem Versprechen und von keiner Anlage. Aber in ein dummes Hinbrüten[125] versunken, lasse ich mich halb bewußtlos mit fortreißen.

»Mein Fräulein – sagt der König – lösen Sie mir das Räthsel! Eine Braut, die vor ihrem Geliebten erblaßt?« –

»Ihro Majestät! Fräulein S... ist nicht Braut.«

»Sie ist es nicht?« – ruft er, und weckt mich erst jetzt aus meiner Betäubung. Ich will mir helfen – Vergebens! er läßt nicht nach mit Fragen, treibt mich von einer Unbesonnenheit zur andern, und verwickelt mich endlich so sehr in meine Antworten, daß mir bald nichts mehr zu gestehen übrig bleibt.

Mit tödtlichem Schrecken sehe ich ihn jetzt[126] meine Hände in unbändiger Freude ergreifen und sie mit Küssen bedecken. Höre ihn mich beschwören, seine Freundin zu seyn, Julie zu bewegen, seinen Schutz anzunehmen, zu glauben, daß er mein Vertrauen auf keine Weise mißbrauchen werde. – O Gott! ich weiß nicht mehr, was er mir alles sagte. – Mir war, es habe der Donner vor mir eingeschlagen. Stumm, zitternd und taumelnd ließ ich mich von ihm bis zu meinem Zimmer begleiten.

Julie fand mich im Fieber. Noch jetzt bin ich nicht davon befreit. Das Reisen hat uns der Arzt verboten. Haben sie die Güte meine Mutter zu benachrichtigen. Fort müssen[127] wir, das ist gewiß. Aber wann? wohin? kann ich noch nicht entscheiden.

Juliens Gesundheit scheint unverwüstbar. Sie spricht mir Muth ein, und versichert, es werde noch alles gut gehen. Ach woher nehme ich die Kraft, ihr meine Unbesonnenheit zu gestehen? Ich suche die Gelegenheit und zittre davor. Auf jeden Fall melde ich Ihnen unsre Abreise.[128]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 1, Posen und Leipzig 1802, S. 121-129.
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