Zwey und vierzigster Brief
Olivier an Reinhold

[143] Du hast sie nicht gesehen; das macht Dein Philosophiren begreiflich. Auch bewahre Dich Gott dafür! Du wärest noch unglücklicher als ich, Du würdest leiden, wo ich handle.

Wer zweifelt, daß ich mein Verfahren an einem Dritten mißbilligen würde? Aber ich, ich kann nicht anders. »Schreite muthig[143] aus dem Zauberkreis der Leidenschaft.« Aber in diesen Kreis hat das Schicksal meine ganze Glückseligkeit gebannt. Außer ihm ist eine scheußliche, grausenvolle Öde. Ich kenne sie schon diese Hölle. Nein, nein! daß ich mich vor den Quaalen der Verdammten schütze, das will ich verantworten.

Ach wenn das Treiben und Drängen der unglücklichen Erdenwürmer mich anekelte, wenn Wollust und Ruhmsucht mir schienen was sie sind, wenn ich mich nach allen Seiten wendete und trostlos fragte; warum? warum wozu? – Dann erschien sie mir wie ein höheres Wesen, die grübelnde Vernunft war gefangen, und ich glaubte.[144]

Nein, Du irrst! nein sie kann nie aufhören zu seyn, und sollten wir alle verschwinden. Sie ist mit sich einig, ist ein unzerstörbares Ganze. In ihr lebt wahrhaft ein unsterblicher Geist. Darum will ich mich an sie schließen, will fest an ihr halten, daß sie mich hinüber ziehe in das unbegreifliche Leben.

Noch habe ich sie nicht gefragt. Ein sonderbares, linkisches, muthloses Wesen befällt mich in ihrer Gegenwart. Aber sie sieht was ich leide, sie begreift, wie unmöglich es ist, daß ich sie einem andern Manne überlasse. Auch vermeidet sie jede männliche Gesellschaft. Es ist gut, ich weiß ihr Dank dafür; aber[145] es kann, es darf auch nicht anders seyn – ich würde rasen.

Freilich! manchmal erschrecke ich wohl vor dem Gedanken, sie könne ganz die Meinige werden. – Aber dann habe ich sie ja, dann wird die Gewohnheit, sie zu sehen und zu besitzen, diese quaalvolle Empfindung mildern. Dann werde ich nicht mehr die Gewänder, die sie umschließen, die Lüfte, die sie umwehen, beneiden.

Letzt kamen wir von einem Spaziergange. Sie klagte über Durst, und foderte ein Glas Wasser. Wie sie es so mit Begierde ergriff, es an den Mund brachte, und nun in hastigen Zügen es leerte – ja, da hatte ich mit[146] mir zu kämpfen. Zweimal streckte ich die Hand aus nach dem Glase, und ließ sie dann beschämt wieder sinken. – Wer hätte mich begriffen? wer hätte geahnet was ich litt, sie etwas so mit Begierde verlangen, es körperlich mit sich vereinigen zu sehen. – Endlich bekam ich das Glas und – freilich stieg mir das Blut dabey ins Gesicht – ja ich konnte es nicht lassen, heimlich zerschmetterte ich es gegen einen Stein.

Ach bedaure mich! Ich weiß wohl, es ist weit mit mir gekommen.[147]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 1, Posen und Leipzig 1802, S. 143-148.
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