Neun und vierzigster Brief
Wilhelmine an Reinhold

[185] Julie sagte mir, der Obriste hätte gestern ein großes Paquet an Sie abgehen lassen. Was kann ich nun weiter erzählen? Sie wissen ja alles. – Sie ist gebunden; und ich werde mich losmachen. Was soll ich hier? – Sie hat meines Rathes nicht bedurft, und wird[185] dessen künftig eben so wenig bedürfen. Ich mag diese Unnatürlichkeiten nicht länger mit ansehen. Ich bin ihrer müde. Meinetwegen mag bewundern wer da will; ich kann mir nicht helfen! – Mein gesunder Menschenverstand sagt mir: es taugt nichts, und wird nie etwas taugen. – Wenn ich mir die Folgen dieser schrecklichen Überspannung denke, so weine ich vor Gram und Verdruß.

Es ist Selbstmord! ja, sagen Sie was Sie wollen! es ist der grausamste, fürchterlichste Selbstmord. Mußte sie sich nicht einem Manne erhalten, der sie liebte, den sie lieben konnte? – Darf sie sich muthwillig elend machen? –[186]

Sie ist gut, ja sie ist besser als Alles was wir kennen und kennen werden; aber einen Fehler hat sie doch: sie ist zu weich, und ohne Härte giebt es keine Tugend.

Was wird nun diese übermenschliche Aufopferung hervorbringen? – O Gott, ich darf nicht daran denken! – Leben Sie wohl.[187]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 1, Posen und Leipzig 1802, S. 185-188.
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