Zwey und funfzigster Brief
Reinhold an Wilhelmine

[195] Wahrlich, mein Fräulein! Sie sehen weit in die Zukunft; aber wer kann Sie darum beneiden? – In der That! ich halte Sie jetzt für die Unglücklichste von uns Allen.

Warum nun der Hofnung so gänzlich entsagen? warum nun das Schlimmste ergreifen? – Der Obriste soll sich rächen für die Überlegenheit seiner Frau? – Nein, mein Fräulein![195] das liegt nicht in der männlichen Natur; oder diese Überlegenheit muß sich auf eine sehr unliebenswürdige Weise ankündigen.

Nur ein Pfaffe könnte mit einem Weibe um Reinheit des Herzens sich streiten. Könnte sich rächen, wenn sie mehr wäre, als er sich vorgenommen hätte zu scheinen. Der wahre Mann ist gewöhnlich zu sinnlich, zu sehr durch die Gegenwart gefesselt, zu sehr von ihr begünstigt, um mit dem Weibe hierinnen wetteifern zu wollen. Sein Reich ist ganz eigentlich von dieser Welt, und wenn es ihm in diesem Reiche nicht gar zu übel ergehet; so denkt er nur spät an das Andre.

Überdem bietet ihm ja diese Reinheit so[196] manches Ruhekissen für seine irdischen Wünsche. Wo er hervortreten will, da zieht sie sich zurück, wo er erndten will, da hat sie niemals gesäet. Mit einem Worte! hier ist kein Wetteifer möglich. Weswegen soll er sich rächen.

Aber Oliviers Eifersucht kann erwachen. Und freilich, hier gestehe ich Ihnen, wird mir bange. Doch was kann diese Bangigkeit helfen! Julie hat entschieden, und wir vermögen nichts, als ihr Schicksal zu mildern.[197]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 1, Posen und Leipzig 1802, S. 195-198.
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