Funfzehnter Brief
Olivier an Reinhold

[45] Du hast immer Deinen Willen gehabt; wenn es Dir gelungen ist, mich im Voraus mit mir selbst zu versöhnen. Aber jetzt zweifle ich daran.

Du kennst sie nicht; sonst würdest Du manches nicht geschrieben haben.

Ja, ich gebe zu, die Leidenschaft hat mich verblendet. Es ist wohl manches von dem[45] was ich glaubte, nicht möglich. Aber ich, ich selbst weiß ja, wie man sie liebt, wie man kein Verbrechen scheut, wenn es auf ihren Besitz ankommt.

Sieh, bey andern Weibern bleibt noch immer die Hoffnung, man könne etwas Ähnliches, vielleicht gar etwas Besseres wieder finden. Aber bey ihr ist das schlechterdings unmöglich.

Diese Engelgestalt kehrt nicht zum zweytenmale wieder. Dieser stillsiegende Geist kann nur diesen Körper bewohnen.

Du solltest sie erwachen, Du solltest sie einschlummern sehen. – Es ist einzig. Letzt habe ich sie eine halbe Nacht beobachtet. Der[46] Mond schien ihr gerade in das Engelgesicht und – nun ja, ich nannte mich einen Verrückten, daß ich je etwas Unedles von ihr geglaubt hatte.

Aber hoffe darum nicht, daß ich sie fremden Augen wieder Preis gebe. Mein Glück ist zu groß, und das Schicksal um so tückischer.

Den groben Tagelöhnern fällt, wenn sie in ihre Nähe kommt, das Arbeitszeug aus den Händen. Den Sohn meines Gärtners habe ich wegschaffen müssen. Er stahl Schuhe, Bänder, und alles was er von ihrer Kleidung habhaft werden konnte, um das alles nachher wie Heiligthümer zu verehren. Brachte ganze[47] Nächte im Garten, vor unserm Schlafzimmer, auf der feuchten Erde zu.

Wir wußten nichts davon. Der Bube hatte sich, seitdem ihn der Vater aus der Fremde kommen ließ, immer vor mir verborgen. Kaum sah ich ihn ein paar Mal im Vorüberlaufen.

Gestern Morgen öffnet Julie die Thür, und fliegt heftig erschrocken wieder zurück. »Was ist?« – frag ich nicht minder erschrocken, da ich die Todesblässe auf ihrem Gesicht bemerke. »Es lag ein Mann – antwortet sie, und taumelt mir zitternd entgegen – es lag ein Mann auf der Erde. Beynah wäre ich über ihn gefallen.« – »Wer untersteht[48] sich!« – ruf ich, und reiße die Thür auf – da sehe ich den Buben in die Wohnung seines Vaters fliehen.

Nun erzählt mir der Alte, wie oft er ihn gewarnt habe, wie aber alles fruchtlos gewesen sey. Er irre jetzt ganze Tage in dem benachbarten Walde umher, und kehre nur des Abends wieder zurück.

Es versteht sich, daß ich nun auf die Abreise drang. Seitdem habe ich den Tollkopf nicht wieder gesehen.

Jetzt läugne, daß ich zu strengen Maaßregeln gezwungen bin.[49]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 45-50.
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