Sechzehnter Brief
Olivier an Reinhold

[50] Wer war der Gärtnerbursche? – O mein weiser Freund! das mögtest Du bey Deinem Sicherheits-System wohl schwerlich errathen. Der Herr Graf Antonelli.

Nun, was sagst Du dazu? – Auch ich, von Dir eingeschläfert, war dumm genug, nicht sogleich darauf zu verfallen. War dumm genug, nicht einzusehen, daß nur in einem südlichen, brennenden Gehirn der Gedanke entstehen[50] konnte, der Geliebten auf diese Weise zu nahen.

Ich weiß, wie das in diesem Kopfe lodert, kenne die Wünsche dieses kindischen, brennenden Herzens. Über ihn wegschreiten sollte sie. Von ihren Füßen wollte er berührt werden. – Ächt italienisch! – Ein deutscher Mann hat von dieser Selbstvernichtung, von diesem mit Leib und Seele zu eigen geben, keinen Begriff. Aber die deutschen Weiber können das alles gar treflich begreifen.

Wie ich es entdeckt habe? Wie man das meiste entdeckt; durch Zufall.

Gestern da ich an der Bleiche vorüber gehe, treibt mir ein feines gesticktes Tuch entgegen.[51] Ich halte es fest, und bemerke ein A. darinne. Noch denke ich nichts bestimmtes; aber in dem Augenblicke sehe ich des Gärtners Frau sich ängstlich zwischen der übrigen Wäsche umhertreiben, und dem Winde ein Stück nach dem andern abjagen.

»Wem gehört denn das alles?« – frage ich – »Meinem Sohne« – antwortet sie bluthroth, stotternd, und zitternd.

»Ist er noch nicht abgereist?« – »Ach Gott, nein! Er hat ein hitziges Fieber, und da war es doch nicht möglich.«

»Versteht sich! – Aber was für einen Arzt habt Ihr denn?«

»Einen Arzt? – Du lieber Gott!«[52]

»Nun! Ihr werdet doch nicht wahnsinnig genug seyn den Menschen so liegen zu lassen? Euer einziges Kind so aufzugeben!« –

»Laßt mir den Alten kommen! oder – setze ich hinzu, indem ich rasch, ohne weiter auf sie zu hören, fortschreite – besser, ist besser!« Mit diesen Worten stehe ich an der Thür des Hüttchens; aber da fällt mir das A. wieder in die Augen, und ich trete einige Schritte zurück.

Indem kommt mir der Alte entgegen, und ich stürze nun mit einer Art von Wuth hinein zu dem Bette.

Da lag er, von Fieberhitze glühend. Nannte laut ihren Namen, klagte sich an,[53] klagte mich an, und wußte nicht, daß ich vor ihm stand.

»Das, das ist Euer Sohn!« – sage ich zu dem Alten, um mir durch einen Vorwurf Luft zu verschaffen.

»Ach gnädiger Herr! machen Sie mich armen Mann nicht unglücklich! Ich hätte kein Mensch seyn müssen« –

»Schweig! – sage ich – ich will nichts mehr hören. Geh' zum Haushofmeister. Er soll Leute herschicken und im rechten Flügel ein Zimmer bereit halten.«

Der Anblick hatte mich erschüttert. Das Herz hatte den Kopf überwältigt. Jetzt wollte ich den Alten zurückrufen; aber gewaltsam[54] fühlte ich mich wieder zum Bette hingezogen, und als ich abermals zur Thür gieng, war es zu spät.

Da stand ich nun, und mein böser Geist hielt mir den ganzen Brief der Mutter wieder vor Augen. Mit Todesangst übergebe ich Ihnen mein Alles. Ich strich und strich an meiner Stirne, und die Zeile wollte nicht fort.

Die Leute waren schon gekommen, er war schon in meinem, meinem eigenen Hause, eh ich das schreckliche Gewühl meiner Empfindungen entwickeln konnte.

Laß mich Athem schöpfen! Ein ander Mal.[55]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 50-56.
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