Achtzehnter Brief
Wilhelmine an Reinhold

[58] Wenn Sie, mein theurer Freund! am Rande eines Abgrundes lustwandeln, sich noch dazu auf dem Wege berauschen, und alle Warnungen Ihrer Freunde nicht achten, so bedarf es keiner Inspiration, um zu wissen, wie es Ihnen gehen wird.

Wenn Ihnen aber die Abgründe, wie die starken Getränke von Natur zuwider sind, so[58] braucht niemand zu antworten, denn niemand wird fragen.

Der Herr General muß erndten, was er gesäet hat. Unser allgemeines Schicksal. – Wer sich darüber wundert, gehört in das Land der gebratenen Tauben.

Geben Sie mich auf! Sie sehen, das Bewundern wird mir eben so unmöglich, wie das Beklagen. Zu dem Ersten gehört immer eine angemeßne Entfernung von dem Gegenstande, zu dem Zweyten ein gewisser Grad von Hoffnung. Leider fehlt es mir an beyden, und ich bin daher selbst im hohen Grade zu beklagen.

Ihr Freund hat alle heitere Aussichten[59] meines Lebens zerstört. Mich nun unter seine Bewundrer aufnehmen zu lassen, würde in der That zu den Übermenschlichkeiten gehören, die ich, grade um sie recht bewundern zu können, so viel als möglich von mir entfernt halte.

Hätte das Jedermann gethan; so stünden die Sachen vielleicht etwas besser. Wie sie nach einigen Jahren, vielleicht schon nach einigen Monaten stehen werden, ist bey mir keinem Zweifel unterworfen. –[60]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 58-61.
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