Ein und zwanzigster Brief
Olivier an Reinhold

[67] Was? bin ich ein Weib geworden? Soll dieser Knabe mich beherrschen? Er darf sie nicht sehen, er muß fort. Zwey können sie nicht besitzen. Meine Rechte sind die ältern, und ich habe mehr Nachsicht gehabt, als ich sollte.

Was irre ich herum bey Nacht und bey Tage? Was zweifle ich? was frage ich? Nur [67] Eins thut hier Noth, und dieß Eine muß geschehen.

Will ich Verzicht thun? Will ich es? – Rasender Gedanke! Will ich leben, ohne zu athmen? – und, liebt er sie wie ich? Wie viel Weiber kennt er, um die Einzige zu würdigen.

Aber sie? – Wenn sie ihn erkannt hätte, wenn sie sich hingerissen fühlte von Jugend, von Schönheit, überwunden von diesem gänzlichen Dahingeben? – O! fort! fort! Zum Wahnsinn ist es noch Zeit genug.[68]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 67-69.
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