Drey und zwanzigster Brief
Julie an Wilhelmine

[71] Wie lange habe ich Dir nicht geschrieben. Vergieb mir beste Wilhelmine! Ich war es meinem theuern Manne schuldig. Ach Du hast keinen Begrif wie er mich liebt, und wie viel er leidet durch diese Liebe. Wie sehr wäre ich ihrer unwürdig, suchte ich nicht alles zu vermeiden was irgend seiner Ruhe nachtheilig werden könnte.

Um jeden Zweifel zu entfernen bin ich sogar eine geraume Zeit nicht aus meinem[71] Zimmer gekommen, und wäre bald krank darüber geworden. Da hättest Du ihn sehen sollen! – O gewiß! ich muß um vieles besser werden, diese Liebe ganz zu verdienen.

Solltest Du glauben, ich würde noch von der gemeinsten Eitelkeit beherrscht? – Vor einigen Wochen öffne ich des Morgens die Thür unsers Schlafzimmers, und sehe einen Mann ausgestreckt auf der Erde liegen. Er hatte das Gesicht unter dem Arme verborgen; aber seine Gestalt blieb mir unvergeßlich.

Was ist das nun anders als Eitelkeit! – kann es nicht ein wahnsinniger Mensch gewesen seyn? können ihn nicht tausend mir unbekannte Ursachen, zu dem sonderbaren Entschlusse gebracht[72] haben, sein Nachtlager vor unsrer Thür zu wählen? Aber nein! die Eitelkeit – oder sollte es wirklich mein Herz seyn? – besteht darauf, um meinetwillen war er da, um meinetwillen ist er wohl oft schon da gewesen.

Sonderbar genug verwechsle ich ihn immer, durch eine gewisse Ähnlichkeit getäuscht, mit Antonelli. Mit Antonelli, der mich lange vergessen hat.

Ach wie sehr täuscht sich ein junger Mann in diesem Alter. Antonelli glaubte eine unüberwindliche Leidenschaft für mich zu fühlen, und nach einigen Wochen bin ich rein aus seinem Gedächtniß verschwunden.

Wenn ich nun meinem thörichten Herzen[73] gefolgt, und jetzt allen Quaalen der Selbstverachtung Preis gegeben wäre! – Aber Gott sey gelobet! ich bin gerettet.

Seit ich die milde herrliche Luft unter den Blüthenbäumen wieder athme, ist himmlischer Friede in mein Herz zurück gekehrt und alle meine Gefühle sind wieder dem Manne geweiht, der mich so einzig, der mich mehr liebt, als ich bis jetzt noch verdiene.

Wie sein herrlicher, großer Charakter sich mir alle Tage mehr entwickelt! So wie ein Mensch leidet, hört er auf sein Feind zu seyn und wäre er es auch Jahre lang gewesen. Wer hätte dieses tiefe Erbarmen unter dieser rauhen Hülle gesucht! – Wahrscheinlich hat[74] ihn sein Stand gezwungen, so viel als möglich davon zu verbergen und sogar zu vertilgen.

Gewiß erscheint er auch seinen Leuten noch immer wie ein harter Mann. Aber ich, der er sich so ganz hingiebt, ich blicke in sein schönes Herz und bewundre ihn im Stillen.

O wie freue ich mich, daß dieses Herz mit allen seinen lieblichen Schwächen, in meine Hände gefallen ist. Ich will es schonen und ehren. Seine Leidenschaft soll mir heilig seyn, und wenn sie mir auch jemals als Haß erscheint; immer will ich denken: es war doch nur Liebe.

Jetzt eben gieng er von mir. »An wen schreibest Du?« – fragte er, und sah mich[75] forschend dabey an. »An Wilhelminen« – sagte ich lächelnd. »Klagst Du auch?« – fragte er weiter und eine rührende Trauer verbreitete sich über sein Gesicht. »Weswegen sollte ich klagen?« – antwortete ich heiter – »Etwa deswegen – setzte ich hinzu, indem ich seine Hand küßte – daß ich unbeschreiblich geliebt, weit mehr geliebt werde; als ich verdiene?« –

Ach die Worte kamen grade aus meinem Herzen. Sie schienen mir so einfach, und so wahr. Gleichwohl erschütterten sie ihn auf eine sonderbare Weise.

Der theure liebe Mann! wann wird er einmal zur Ruhe kommen? –[76]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 71-77.
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