Ein und dreyßigster Brief
Reinhold an Olivier

[106] Gestern war T... bey mir. Ich wollte meinen Augen kaum trauen. Seit er zum Günstlinge erhoben ist, habe ich ihn nicht gesehen. Seine hämischen Anmerkungen über Dich führten oft Streit herbey, und so war ich recht wohl damit zufrieden.[106]

Nun aber gestern überfällt er mich plötzlich mit einem ganzen Heere Schmeicheleyen und Freundschaftsversicherungen. Ich lächle, mache einen stummen Bückling über den andern und vertiefe mich so hartnäckig in die Zeremonien, daß ich ihn nach einer Viertelstunde ziemlich in die gehörige Entfernung bringe.

Gleichwohl erfolgen nun eine Menge Hof-Stadtneuigkeiten, Erkundigungen nach Dir. – »Wie sich der König sehne Dich einmal bey sich zu haben. Wie es gar nicht artig sey, so spröde zu thun. Das alles würde Dir nichts helfen. Man könne Dich aufsuchen.«

Ich erschrack, und fieng an zu sondiren.[107] »Ja, ich selbst wisse am besten, wie viel an dem eigentlichen Frieden noch fehle. So still werde es nicht abgehen. Ein paar Feldzüge müsse man noch in den Kauf geben. Der König werde Dir das alles schon begreiflich machen und hoffe, Du werdest nicht aufhören, Dein Vaterland zu lieben.«

»Darüber ist kein Zweifel; – antwortete ich – aber mich dünkt, man könnte ihn in Ruhe lassen. Für ein Menschenleben hat er genug gethan, und die andern Herren sind ja auch keine Feinde vom Hinaufrücken.«

»Ach ja! wenn es nur auf das Rücken ankäme.« –

»Nun das Andre wird sich auch finden!«[108]

»Man hat's gesehen!« –

»Olivier ist kein Freund vom Kriege.«

»Darüber erstaunt man.«

»Mich dünkt ohne Grund. Er suchte Lorbeeren; jetzt hat er mehr als er bedarf.«

»Aber das Vaterland!« –

»Eben das Vaterland – sagt er – braucht Ruhe.«

»Das Wort klingt komisch in seinem Munde! – Männer, Frauen und Mädchen nannten ihn vormals den Unruhigen.« –

»Die Zeiten ändern sich; warum sollten sich die Menschen immer gleich bleiben?« –

Er antwortete mit seinem gewöhnlichen Faunenlächeln, umarmte mich, zu meinem[109] großen Leiden, einmal über das andere, und empfahl sich mit einem Epigramm.

Ich setze nichts weiter hinzu. Du selbst mußt am besten wissen was dabey zu thun ist. Rathen kann ich Dir nicht mehr; aber nie werde ich aufhören, Dich zu lieben.[110]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 106-111.
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