Sieben und dreyßigster Brief
Reinhold an Olivier

[125] Dein Leiden zerreißt mir das Herz. Armer, unglücklicher Mann! Mit allen Deinen Schätzen, mit allen Deinen Lorbeeren unglücklich. Ach warum mußt Du gerade jetzt diese Sehnsucht nach Liebe empfinden, jetzt, wo sich das Schicksal so grausam gegen Dich verschwöret.

Solltest Du denn gar nicht zu retten seyn?[125] – – Hast Du niemals versucht, sie als Deine Kinder zu denken? – in ihnen, durch ihre Liebe glücklich zu seyn? – Du mußt es mehr als einmal in Deinem thatenreichen Leben gefühlt haben: wie schön, wie überschwänglich die Selbstüberwindung lohnet.

Wenn ein hartnäckiger, listiger Feind Dich erbitterte, tausend Schwierigkeiten sich Deiner brennenden Ruhmsucht entgegen stellten, Du endlich nahe warst das Ziel zu erreichen, hat Dich da nicht oft Erbarmen mitten im Laufe zurückgehalten, und sind es nicht gerade diese Augenblicke, bey denen Du, wenn Dich alles Übrige anekelte, mit Wohlgefallen verweiltest? –[126]

Gewiß! Dein Schicksal liegt mir schwer am Herzen. Ich habe nur einen Wunsch: Dich mit Dir selbst einig zu sehen. Ich kenne nur eine Möglichkeit – doch, ich schweige. Aber das laß Dir sagen – denn wer wollte Dich um des augenblicklichen Schmerzens willen dem tückischen Irrthume preis geben – aufopfern wirst Du müssen, auf welche Seite Du dich wendest. Auch dann, wenn Du den Tod wählst, opferst Du auf. Wie viel? – wer kann es bestimmen! –

Die große unergründliche Natur handelt nach unwandelbaren Gesetzen. Erbarmen ist ihr fremd. Hebst Du gewaltsam ihren Schleyer; welche Macht kann Dich retten? – So[127] weit das Gedenkbare reicht, findest Du die schreckliche wieder. Darum gieb Dich duldend in ihre Hand. Dann wird sie sanft Dich erlösen.

Du sagst: ich bin Dein Einziges. So entschließe Dich dann muthig, und schnell! Komm an mein Herz! Wir wollen meinen Olivier suchen. Vielleicht finden wir ihn wieder.[128]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 125-129.
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