Sechs und vierzigster Brief
Olivier an Reinhold

[164] Der König mag bald kommen; sonst muß er sich andre Wirthe suchen. Ob er glaubt, ich könne mich nicht losreißen? Mehr als einmal habe ich ihm den Dienst aufgekündigt. Immer hat er mich durch allerley Ränke wieder hineingezogen.

Hätte ich nur meine Güther verkauft,[164] noch morgen gienge ich aus dem verwünschten Lande. Das allein hält mich zurück. Nicht die abgeschmackte Puppe, der Ruhm, womit er mich vormals gelockt hat.

Von ihr verlassen, bin ich nun dem Wahnsinn des unbändigen jungen Menschen ausgesetzt. An ihm sehe ich, was aus mir werden würde, wenn ich sie nicht mehr hätte.

Erklären soll ich ihm: wie diese Trennung möglich war? – entdecken soll ich: wo sie ist? Er will sie nicht sehen; aber bewachen, beschützen will er sie. »Von uns entfernt, droht ihr Gefahr. Der König, tausend Andre können sie rauben. Sie ist schon geraubt, und ich, ich habe es zu verantworten.« –[165]

»Was kümmert mich der Dienst und der König! – rief er – Mögt Ihr doch Standrecht über mich halten! Ich gehe davon und suche sie auf!«

Kein andrer Rath; ich mußte ihn arretiren lassen. Es hat mich Überwindung gekostet; aber bis der König da ist, muß es so bleiben.

Bin ich etwa glücklicher? – Um den leisesten Verdacht zu entfernen, habe ich seit acht Tagen jeder Nachricht von ihr entsagt. Meine Vertrautesten ahnen nicht wo sie ist, und sollen es nicht ahnen.

So wie ich sie nicht sehe, bekomme ich meine Festigkeit wieder, bin hart wo ich es seyn muß, und gefaßt mit dem Schicksale in[166] die Schranken zu treten; falle auf dem Wege Freund, oder Feind.

Und so muß es auch seyn. Auf welche Weise ich sie erworben haben mögte; sie ist mein Eigenthum. Wer sich daran wagt, mag es mit mir versuchen.[167]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 164-168.
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