Zwey und funfzigster Brief
Julie an Wilhelmine

[187] So bin ich denn schon von allem was ich liebte geschieden! – Ubaldo redet nur durch Blicke, die ich nicht verstehen mag. Die Mädchen zittern und schweigen, mein Mann schweigt, Du, von der ich Verzeihung, Versicherung Deiner wiederkehrenden Liebe hoffte, Du schweigst auch. – So schweigt denn alles! ist alles für mich todt. – Ach Gott! so schauderhaft muß die Meeresstille seyn vor einem Sturme.[187]

Wird man mich diesem Menschen überlassen? Ist er es allein, den ich fürchte; oder was ist es sonst? – Der süße Friede ist von mir gewichen. Eine leidenschaftliche Unruhe, eine Bangigkeit verfolgt mich. – O Gott! was habe ich gethan? was steht mir bevor?

Habe Dank, Unglücklicher! du hast meinen Schmerz in Wehmuth aufgelöst. Ich kann weinen. Ach lange habe ich nichts seelenerschütterndes gehört.

Da war ein Mensch an der Pforte und verlangte durch Zeichen, eingelassen zu werden. Ubaldo fuhr hart gegen ihn heraus. Aber nun stimmte er auf seiner Klarinette ein Adagio an, das alles, was auf dem Hofe[188] war, herbeylockte und endlich den harten Oberaufseher überwältigte. Ich selbst stand unbeweglich am Fenster und horchte auf die schön verbundenen Töne.

Die Gestalt des fremden Mannes zeugte von dem äußersten Elende. Er war mit Lumpen bedeckt, und hatte ein großes Pflaster über dem einen Auge. Seine Sprache war so unverständlich, daß Ubaldo erst mit vielem Hin- und Herreden, die Bitte um ein Nachtlager, begreifen konnte. Nach mancherley Schwierigkeiten ward es ihm endlich zugestanden. Die Musik hatte aller Herzen für ihn gewonnen.


(Am folgenden Tage.)

[189] Der Fremde ist noch hier. Ubaldo, bis zur Narrheit in sein Instrument verliebt, hat sich bey ihm in die Lehre gegeben. Es ist wahr, der sonderbare Mensch spielt zum Entzücken. Mir ist es unbegreiflich, wie er bey so außerordentlicher Geschicklichkeit, in dieses Elend gerathen konnte.


Ubaldo hat mir verschiedenes von seinen überstandenen Abentheuern mitgetheilt. Aber das alles ist so romanhaft und zum Theil so unzusammenhängend, daß man, wie Ubaldo, schon ganz und gar eingenommen seyn muß, um es zu glauben.[190]

Sollte er von meinem Manne abgeschickt sollte Ubaldo verdächtig geworden seyn? – Gott gebe es! dann würde ich von diesem, mir jetzt so widrigen Menschen befreyt werden.

Wenn er meine Briefe unterschlüge! – Wenn dieß die Ursache Deines, meines Mannes Stillschweigens wäre. – O warum bin ich denn so ganz ohne Rath und ohne Schutz! Warum kommt mein Mann nicht? – Schon nach acht Tagen wollte er mich abholen.

Sollte er krank seyn? Sollte Ubaldo es verheelen? – O Gott! O Gott! in der Gewalt dieses Menschen! – Keiner von Euch weiß wo ich bin. Ich selbst kenne nicht einmal den eigentlichen Nahmen dieses Guthes. Welche[191] Angst überfällt mich! – Ach Niemand kann mir helfen! ich selbst muß mich retten.

Wenn ich dem Fremden diesen Brief übergäbe – Wenn ich ihn flehentlich bäte – Er hat ein menschliches Herz; das verräth sein Instrument.

Ach ich Unglückliche! einem Landstreicher mich anvertrauen! der vielleicht mit Ubaldo im genauesten Verständnisse, auf nichts als niedrige Ränke bedacht ist.

Es wird dunkel um mich her! Wer rettet mich aus dieser Finsterniß! –[192]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 187-193.
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