Sechster Brief
Olivier an Reinhold

[20] Warum nun gleich so kurz und so bitter? Wahrlich Du irrst! Ach wenn ich ein Spiel ahne; so ist es ein sehr ernsthaftes Spiel, und wobey ich leider der verlierende Theil seyn werde. –

Mein Glück hat mich berauscht, die Vergangenheit und die Zukunft habe ich vergessen.[20] Nur so ist es möglich glücklich zu seyn. – Aber der Rausch ist verschwunden, und dafür die Zweifelsucht mit allen Quaalen erwacht.

Wie? ist das Liebe, was sie mir zeigt? – Ist es Mitleid? Ist es Ergebung? – Zwar verzeihen wir den Weibern keine Ausbrüche der Sinnlichkeit; aber sollte sie sich darum niemals verrathen? Ist es bey wahrer Liebe möglich, jede Aufwallung zu unterdrücken? Und wenn auch eine ganze Reihe menschlicher Empfindungen diesem schwärmerischen Herzen vormals unbekannt war; mußten sie nun nicht erwachen? Ach was soll ich glauben? – Ihre Aufführung ist untadelhaft. Selbst Antonelli wird mit einer Art Kälte[21] empfangen. Aber ... ich weiß nichts hinzuzusetzen. Ich fühle es, ich bin ungerecht, und doch ruft eine Stimme in meinem Innern: es ist nicht so wie es seyn sollte.

Auch Antonelli ist verändert. Alle seine Munterkeit ist verschwunden. Was fehlt ihm? – Ich vermeide die Antwort auf diese Frage.[22]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 20-23.
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