Neunter Brief
Olivier an Reinhold

[30] Du antwortest nicht? – ich verstehe Dein Schweigen. Aber höre! höre und erstaune.

Ich wollte mit ihr auf meine Güther. Alles war zur Abreise bereit. Ich hatte sie gebeten, sich wegen der lästigen Besuche, für krank auszugeben.

Gestern wünscht sie in den Garten zu gehen. Auf meinen Befehl war er verschlossen. Aber der Gärtner glaubt, weil sie es ist, den Augenblick öffnen zu müssen, und, der Dummkopf schließt nicht wieder zu.[30]

Antonelli kommt, frägt nach mir, der Bediente sieht den Garten offen, glaubt, ich sey darin, und läßt ihn hinein gehen.

Jetzt kehre ich von einem Besuche zurück, und höre das Alles. Seit einer Stunde war Antonelli in dem Garten. Seit einer Stunde! – Ich fasse mich, ich gehe hinein.

Es war seine Stimme. Laut rief er ihren Nahmen. Mein Blut wollte erstarren. Ich nähere mich der Laube, worinnen sie waren. Ja! ja! sie beide! allein –

Er hält sie bey ihren Kleidern. Sie will entfliehn, sieht mich, und stürzt, laut schreyend, mir in die Arme.

Ich dachte, die gegen einander kämpfenden[31] Empfindungen würden mich tödten. Sie bittet, fleht, ich möge sie auf ihr Zimmer bringen. Sie konnte nicht gehen, ich mußte sie tragen. Der unbesonnene Bube hat die Frechheit mir zu folgen, klagt sich laut an, spricht von einer unüberwindlichen Leidenschaft, sagt: er könne nicht leben, ohne sie zu sehen. –

Die Wuth verschließt mir den Mund; aber ich winke dem Kammerdiener. Er versteht mich. Der Wagen fährt vor, ich bringe sie hinein und wir rollen davon.

Also, keine Palliative! Ich bin bey meiner empfindlichsten Seite angegriffen, und thue was ich muß.[32]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Die Honigmonathe, Band 2, Posen und Leipzig 1802, S. 30-33.
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