Siebenter Tag

Eine neue Beschäftigung für mein Herz war ohnstreitig das beste Mittel dazu. Sir Walther gab ein Souper bey seiner Freundin Amelie, und hatte mich dazu eingeladen. Die Gelegenheit war erwünscht und durfte nicht unbenutzt vorübergehen.

Ich hatte Mademoiselle Amelie in Longchamp gesehen, und war so ziemlich was man bezaubert zu nennen pflegt. Sir Walther dachte sehr liberal, und wollte überdem in zwey Tagen nach England zurück. Mademoiselle Amelie empfing mich mit Auszeichnung, und tolerirte meinen[85] empfindungsvollen Galimathias mit wahrhaft englischer Geduld.

Ein Heer französischer Helden und anglisirter Adonissen machte mir Platz. Sie schienen, von ihrer Unwürdigkeit durchdrungen, aller Hoffnung auf ewig zu entsagen.

Mademoiselle Rose ward von einer bequemen Eleganz umgeben, aber Mademoiselle Amelie bewohnte einen Feenpallast.

Hier schien alles Geistige versinnlichet, alles Sinnliche vergeistiget. Man fühlte sich mit einemmale der kleinlichen Alltagswelt entrückt, und überließ sich in süßer Betäubung der wonnevollsten Ahnung.

Sir Walther bestimmte mir als seinem presumtiven Erben den nächsten Platz bey seiner Freundin.

Welche leidenschaftlose Ruhe in seinem Betragen! – welche liebenswürdige Leichtigkeit in dem ihrigen! –[86]

Wie so alles ganz anders, als in dem steifen, romantischen Deutschland! –

»Man hatte sich geliebt, so lange man glücklich dadurch war – man hörte auf sich zu lieben, sobald man befürchten mußte unglücklich dadurch zu werden.«

»Keine Thränen und keine Vorwürfe – keine Dolche und keine Giftbecher.«

»Statt zu schwärmen, hatte man vernünftig gerechnet, und es versteht sich von selbst, daß man die Ewigkeit der Liebe nur als Null hatte gelten lassen.«

Alle diese Bemerkungen verdankte ich Mademoiselle Ameliens Gesellschafterin. Einer kleinen Brunette, welche zwar nicht überflüßig hübsch; aber vollkommen im Stande war Mademoiselle Ameliens Comentatorinn zu werden.

»Bey den Herren Platonikern« – fuhr sie fort – »da ist es gewöhnlich, daß man beständig in den Lüften thront und[87] die göttliche Psyche mit Ambrosia und Nectar speist; aber in unsern prosaischen Zeiten würde man nicht weit damit kommen.«

»Mademoiselle Amelie hat so gut, wie eine Andere, geschwärmt, aber sie hat sehr bald gesehen, wie wenig den Männern damit gedient war.«

»Einem jungen Menschen, der seine Cariere noch zu machen hat, ist eben so wenig als einem Geschäftsmanne, der nur eine augenblickliche Erholung wünscht, an einer unendlichen Leidenschaft gelegen.«

»Auch giebt es warlich nichts ekelhafteres, als die so hoch gepriesene fidelité à toutes epreuves. Das sitzt gegen einander über und jähnt zum Erbarmen.«

»Da ist an keine Abwechslung, an keine erfrischende Nahrung für Geist und Herz zu denken. Einen Tag wie den andern starrt man dieselben Fehler und dieselben Vollkommenheiten an.«[88]

»Die Seele ermattet über dem ewigen Einerley. Man stirbt zehn Jahre früher, als man nöthig gehabt hätte, und bildet sich ein: die menschliche Liebe gekannt zu haben, wenn man eine einzige ihrer tausendfältigen Nuancen kaum halb ergründet hat.«

»Aber Mademoiselle« – unterbrach ich die kleine Aelster – »wenn man nun wirklich liebt?« –

»Verzeihen Sie mein Herr, aber der Einwurf war etwas deutsch. – Ich sage Ihnen ja: daß man nur liebt, wenn man ein wenig nicht recht gescheut ist.«

»O Gott! dieser herrlichen Leidenschaft auf ewig entsagen!« –

»Herrlich tant qu'il vous plaira! Zeigen Sie mir Jemand, der vom Morgen bis zum Abend, Jahr aus Jahr ein, liebenswürdig ist, – fügen Sie die Kleinigkeit hinzu, daß ich für diese Liebenswürdigkeit empfänglich bin, halten Sie mich schadlos[89] für den ersten Kuß, für den ersten Händedruck, den ich bey einem freien Herzen hundertmal vervielfältigen kann, und ich werde lieben, daß Ihnen Grausen und Entsetzen ankommen soll.«

»Ah Mademoiselle!« – rief ich – »welche Philosophie!«

»Gut für das Theater« – sagte mein Nachbar, ein junger Schweizer; der bis jetzt unserm Gespräch stillschweigend zugehört hatte.

»Das soll wohl gar ein Vorwurf seyn« – antwortete Mademoiselle Iris – »aber er ist wider Ihren Willen zu einer Lobrede geworden.«

»Wenn ein System dem Orte, der Zeit und den Umständen angemessen ist – so ist es doch wohl alles, was es seyn kann.«

»Wollte der Himmel, man könnte von Ihren neuen und alten Philosophemen dasselbe sagen.«[90]

»Aber es ist bekannt: daß Ihre Herren Philosophen eben so wenig Zeit haben, sich um diese Kleinigkeiten zu bekümmern, als ihre hochgepriesene Regeln selbst auszuüben.«

»Zugegeben Mademoiselle!« – erwiederte der Schweitzer – »wenn nun aber diese guten Leute sich einbilden: daß Zeiten und Umstände sich nach ihren Systemen, nicht diese nach jenen sich richten müssen? – Wenn sie Ihnen nun sagen: daß sie sich getrauen, eben so consequent wie Sie, und vielleicht noch ein wenig consequenter zu seyn, wenn es darauf ankommt, so angenehme Regeln wie die Ihrigen zu befolgen?«

Madem. Iris. Ach da liegt ja eben das lächerliche! – Sie stecken sich ein Ziel was sie nimmermehr erreichen können!

Der Schweitzer. Schon das Annähern, Mademoiselle, ist viel werth. –

[91] Madem. Iris. A la bonne heure! Mein Herr! es giebt Kappen von verschiedenen Farben. Ueber den Geschmack läßt sich nicht streiten. – Ich befinde mich wohl in der Meinigen: und lasse den Herren Philosophen die Ihrige.

Der Schweitzer lächelte und schwieg, die Tafel ward aufgehoben, und Mademoiselle Iris versprach mir beim Abschiede, alles mögliche für mich zu thun.

»Mademoiselle Amelie ist äußerst gewissenhaft« – setzte sie hinzu – »Sir Walthers Termin geht bis übermorgen; aber dann können Sie auch eben so zuverläßig, wie er, auf meine Gebietherin rechnen.«[92]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Vierzehn Tage in Paris. Leipzig 1801, S. 83-93.
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