Vierter Tag

Ich war gänzlich betäubt in mein Zimmer getragen, und erwachte erst den folgenden Tag um ein Uhr.

Ein fürchterlicher Kopfschmerz verwirrte noch immer meine Vorstellungen, und nur allmählich ward ich meiner schrecklichen Ausschw ifung mir bewußt.

»Man soll den Doctor holen,« – rief ich – »er muß mir sagen, wie das alles gewesen ist.«

Er kam und schien sehr gerührt.

»Armer junger Mann! Sie haben viel verlohren!« –

[51] Ich. Viel! nun wie viel denn?

Er. Drey tausend Louisd'or.

Ich. Was! und das ließen Sie mich verspielen?

Er. Winkte ich Ihnen denn nicht? that ich nicht alles was ich konnte?

Ich. Drey tausend Louisd'or! – Ich hatte ja kaum hundert bey mir.

Er. Mein Gott! Sie wissen nicht, daß Sie aufs Wort gespielt haben.

Ich. Tod und Teufel! der verfluchte Punsch! –

Er. Ach es war ja fürchterlich, wie Sie tranken! – Sie wollten nicht hören! –

Ich. Hören! Ich erinnere mich nicht, daß Sie mir ein einziges Wort gesagt hätten!

»Er!« – rief der junge Engländer im hereintreten – »Er war mit der höllischen Klique verbunden!« –[52]

»Mylord!« sagte der Doctor, und arbeitete an einer stolzempfindlichen Miene – »ich verbitte mir –

Der Engländer. »Was Lord! was verbitten! Man kennt Sie, mein Herr! Seyn Sie ruhig, das rathe ich Ihnen!«

Der Doctor. »Blos die Gegenwart des Barons hält mich ab.«

Der Engländer. »Mag Sie doch abhalten, was da will! mich wird nichts abhalten der ganzen Welt zu sagen, daß man uns berauscht hat, um uns auf das schändlichste zu plündern; aber Gott soll mich verdammen, wo ich einen einzigen Schilling mehr bezahle, als was ich bey mir hatte.

Der Doctor. Das mögte seine Schwierigkeiten haben. – –

Der Engländer. Schwierigkeiten! o ho! so viel Sie wollen! Lassen Sie mich nur machen! ich werde mit diesen Schwierigkeiten[53] schon fertig werden. Der Baron, hoffe ich, wird auch kein Kind seyn.

Wie? – Sie schweigen? – –

Ich habe mein Wort gegeben« – sagte ich erröthend. –

Der Engländer. Ihr Wort! – Wem haben Sie Ihr Wort gegeben? – Einer Bande Diebe und Betrüger.« –

Der Doctor. Das sollte der Major wissen! – –

Der Engländer. O er wird das Vergnügen haben, es selbst von mir zu hören! –

In dem Augenblicke trat der Schottländer herein.

»Sir Walther« – fuhr der Engländer fort – »wird meiner Meinung seyn.«

Der Schottländer. Welcher Meinung? –

Der Engländer. Daß man uns gemeinschaftlich geplündert hat.

[54] Der Schottl. Wohl möglich. –

Der Engl. Und das wir nicht nöthig haben, einen Pfennig mehr zu bezahlen, als was wir bey uns hatten.

Der Schottl. Hm – – das ist eine andere Sache. – –

Der Engl. Nein bey Gott! das ist dieselbe, und noch dazu eine ganz simple Sache!

Der Schottl. Kann seyn. – Ich habe mein Wort gegeben, und werde bezahlen.

Der Engl. A la bonne heure! bezahle wer da will! ich bezahle nicht, und wenn eine ganze Legion Teufel gegen mich aufstände! – Adieu Baron! Lassen Sie sich nicht übertäuben! –

Mit diesen Worten verschwand er, und gab dem Doctor freies Feld. Dieser überschüttete uns nun mit Lobsprüchen; aber sie schienen auf Sir Walther eben so wenig[55] als die Exclamationen des Engländers zu würken.

Er versicherte ganz trocken: daß er sein Wort halten, aber Niemand überreden werde dasselbe zu thun.

»Das kommt auf eines jeden Disposition an,« – fuhr er fort, – »dem Einen ist es unangenehmer zu bezahlen, dem Andern schuldig zu bleiben.«

»Ich gehöre mit zu den letzten, und darum werde ich mich sobald als möglich von der Sache los machen. Hier« – indem er sich zu dem Doctor wandte – »ist die Summe für den Major. Mich sieht er nicht wieder. –

Der Doctor griff mit vielen Bücklingen nach dem Gelde, und ich maschinalisch nach meiner Brieftasche. Die schottländische und die deutsche Nation wurden nun wechselsweise erhoben, und der Officier de santé[56] empfahl sich unter tausend Freundschaftsversicherungen.

Jetzt rollte ein Wagen vor die Thür. –

»Aha der schöne Postzug! die Göttin des Tages!« – rief Sir Walther – »da muß die Freundschaft weichen! – Auf Wiedersehn, Baron!«

In der That es war Rose. –

»Himmel was habe ich gehört,« – rief sie – »Welch ein Unglück! Ach Treuloser! wären Sie gestern Abend zu mir gekommen, Sie hätten es vermieden!«

»Aber ich sehe schon« – fuhr sie mit einem durchdringenden Blick auf meine, freilich etwas magre Brieftasche fort – »Ich sehe schon, Sie wollen mit mir brechen.« –

»Ich Unglückliche! es wird mich zur Verzweiflung bringen! – Aber schwach sollen Sie mich wenigstens nicht finden! es sey! ich entsage Ihnen auf ewig!« –[57]

»Rose! geliebte Rose!« – rief ich, als sie halb ohnmächtig auf das Sopha sank – »welche schreckliche Vorstellungen. Ich Ihnen untreu! Ich Sie verlassen! – Nimmermehr! Erholen Sie Sich! Auch mein Unglück ist nicht so groß, als Sie glauben.«

»Sehen Sie« – fuhr ich fort; indem ich zu meinem Bureau ging – »hier sind wenigstens noch für 6 tausend Louisd'or Papiere.«

»Ah das verändert die Sache« – rief sie begeistert – »Fort mit den melancholischen Grillen! ich Thörinn! Wie konnte ich nur einige Augenblicke an Ihrer Liebe zweifeln! Nein! Nein! Wir sind auf ewig verbunden!« –

Diesen Abend, mon idole! – –

Jetzt mußte ich zu einem Freunde des Doctors eilen, wo ich zu Mittage gebeten[58] war und unter mehrern Gästen auch den Major Saggs fand.

Er überhäufte mich mit Liebkosungen, und konnte mir nicht genug betheuern, wie unendlich er meinetwegen gelitten habe. Aber er tröste sich mit der Wandelbarkeit des Glücks. Man werde heute nach dem Essen wieder spielen, und es komme auf einen Versuch an. Er sey im Hause bekannt und werde die Tische schon einrichten.

In der That, kaum waren wir aufgestanden, so lagerte sich alles wieder zum Spiele. Der Major wies mir einen Platz an, und nach einer Stunde hatte ich zweyhundert Louis baar und funfzehnhundert aufs Wort gewonnen.

»A ça Baron!« rief der Major – »heute ist der glückliche Tag! geschwinde noch eine Partie!«

Aber Rose erwartete mich, und die Freundschaft des Herrn Majors war mir doch, bey[59] aller meiner niedersächsischen Gutmüthigkeit, etwas zweifelhaft geworden. Ich winkte dem Doctor und empfahl mich.

»Sehen Sie!« – rief dieser – »man muß nur nicht gleich muthlos werden. – Das Glück hat seine Launen. Heute so, morgen so.« –

»Kann seyn,« antwortete ich etwas kalt. – »Fürs Erste werde ich aber nicht wieder spielen.«

»Richtig! richtig!« fiel er ein, – »man muß sich nicht abandonniren. Ach die Deutschen! parlés moi de cela, das hat Festigkeit!« –

Jetzt kamen wir bey Mademoiselle Rose an. War es meine Heiterkeit, des Doctors Blick, oder die Penetration meiner Geliebten – genug sie schien mein Glück errathen zu haben, und kam mir triumphirend entgegen.[60]

Auch Mama war äußerst zärtlich, und gab mir eine gute Lehre über die andere.

»Spielen und spielen ist zweierley« sagte sie – »ein kleines vingt-un bey uns – nun ja das lasse ich mir gefallen – da kommt man nicht aus der Fassung – aber so ein mörderliches Pharo – nein! Gott soll mich bewahren! das ist schändlich, unchristlich, abscheulich! – mich grauset schon wenn ich daran denke!« –

Jeden Ruhepunkt in Mama's Rede füllte Rose mit Einem: »Hörst du wohl, lieber Freund?« – und lehnte sich zärtlich auf meine Schulter.

Ihre Berührung würkte electrisch, – Kaum sah ich mich von Mama und dem Doctor befreit, so eilte ich mit dem Feuer der heißesten Dankbarkeit, ihr meine Liebe zu versichern.[61]

Weis der Himmel, wie es zuging, aber die Rede kam immer wieder auf meinen Gewinnst. –

Eh' ich michs versah, lag er zu Rosens Füßen, und ich hatte keinen sehnlicheren Wunsch, als daß sie ihn annehmen mögte.

Anfangs weigerte sie sich zwar; aber von meinen dringenden Bitten verfolgt, wie hätte sie länger wiederstehen können! –

Es war sehr spät geworden – Mama und der Doctor kamen nicht wieder. – Alles schien uns zu begünstigen; – warum hätten wir uns trennen sollen? –[62]

Quelle:
Karoline Auguste Ferdinandine Fischer: Vierzehn Tage in Paris. Leipzig 1801, S. 49-63.
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