Neuntes Kapitel.

Die Ueberraschung.

[19] Die Gesellschaft nahm Abschied, und es blieb niemand zum Abendessen da, als der Baron und die Oberstin. Die Gräfin schlug einen Spaziergang in den Garten vor, und der Baron war erfreut darüber. Kaum hatten sie einige Touren gemacht, als sie abgerufen wurde. Sie sah ihn lächelnd von der Seite an, und er verstand sie.

Aber auch der Oberstin hätte dieser absichtliche Zufall nicht willkommener sein können. Liebte sie Baron Solting? Gab er ihr wirklich[19] den Vorzug? – Sie hoffte es, sie schmeichelte sich damit; aber sie wollte es wissen, sie wollte es von seinen Lippen hören.

Ich wünsche Ihnen Glück, Herr Baron! sagte sie lächelnd. Sie machen sehr schnelle Fortschritte.

Der Baron: Fortschritte, meine Gnädige? – O möchten sie sich bis zu Ihrem Herzen erstrecken.

Die Oberstin: Zu meinem Herzen? (lebhaft aber freundlich) Sie verwechseln mich wahrscheinlich mit der Frau Gräfin?

Der Baron: Nein, meine Gnädige! Ich weiß, mit wem ich spreche; ich weiß, daß es meine angebetete Julie ist; ich weiß, daß ich seit meiner Zurückkunft nur für sie gelebt habe, und ewig nur für sie leben werde. – Er hatte ihre Hand gefaßt; sie zog sie nicht zurück, und er drückte sie begeistert an seine Lippen.

Die Oberstin antwortete nichts. Die Ueberraschung, die Freude, tausend entzückende Empfindungen verschloßen ihre Lippen. Sie setzte sich unwillkürlich auf eine Rasenbank, und er nahm ungehindert Platz neben ihr.

Sie schweigen? fuhr er fort. Kann meine Liebe Sie beleidigen? – O einziges unübertreffliches Weib! – indem er sich zu ihren[20] Füßen warf, und sein Gesicht auf ihren Arm beugte. Verdiene ich kein Mitleiden? Haben Sie keine Belohnung für meine Treue? Können Sie auf mich zürnen?

Ach, ich wünsche es für meine Ruhe! gab sie gerührt zur Antwort, als sie in dem nämlichen Augenblicke den Grafen am andern Ende der Allee erblickte. Mon Dieu! Levez vous, Monsieur! Ich bitte Sie!

Der Baron stand auf. – Ce n'est que le Comte! – Sie wollte antworten, aber er kam mit starken Schritten auf sie zu.

Ah! bon soir! sagte er mit verbissenen Augen und veränderte die Farbe. C'est vous Madame! Mais perdonnez! Ich habe da eine charmante Szene gestört. Sie scheinen große Rechte aus Soltings Dankbarkeit zu haben, oder hat er vielleicht ein außerordentliches Anliegen?

L'un, ou l'autre pourrait être vrai! fiel die Oberstin empfindlich ein. Mais Monsieur le Comte, er wird es Ihnen besser sagen können, als Ich: Au plaisir Messieurs! – Der Graf wollte sie zurückhalten, aber sie riß sich aufgebracht von ihm los.

Quelle:
Christian Althing: Dosenstücke, Rom; Paris; London [o.J.], S. 19-21.
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