Erstes Kapitel.

Ich bin oben.

[38] Es war Abend. Die Oberstin saß eben in ihrem Cabinete, und ihre süßen Erinnerungen machten sie nur noch schwermüthiger. Auf einmal hörte sie einen Schall an dem Fenster. – Noch einer! – Man warf von unten hinauf. Sie erschrack; sie zittert. Aber eine geheime Ahnung ergriff sie. – Wer ist da? rief sie halb leis und öffnete das Fenster, man räuspert,[38] und sie erkannte den Baron. Ich bin oben! rufte sie freudig, und er näherte sich.

In dem Augenblick trat ihre Vertraute herein. Sie winkte ihr, und ward verstanden. Man entdeckte zwei zerbrochene Stäbe; man knüpfte eine alte Strickleiter an, der Baron schwingt sich hinauf, und ist in ihren Armen.

Zärtlicher, himmlischer Augenblick! Der Baron vergaß alles darüber. Das Fenster gieng in den Garten; er hatte bei dem nächtlichen Lärmen zwei Stäbe zerbrochen, und war glücklich hinunter gekommen. Aber um unentdeckt zu bleiben, mußte er sich den ganzen Tag in der Einsiedelei verbergen, die am äußersten Ende des Gartens war. Endlich sahe er Licht im Cabinete, und warf mit kleinen Steinen an das Fenster.

Die Oberstin eilte, ihn zu erquicken, und erzählte ihm alles. Wie viel zärtliche Liebkosungen! Beide wetteiferten, sich für ihren Schmerz zu entschädigen. In süßer Vertraulichkeit ruhten sie schweigend neben einander, als sie den Obersten in dem Corridor hörten. – Um Gotteswillen! rief die Oberstin, und der Baron wollte wieder herunter springen. – Nein, Bester! Nein! Hier ist ein Anzug! Geschwind werfen Sie die Saloppe über, indem sie ihm eine Nachthaube aufsetzte.[39]

Kaum waren sie fertig, als der Oberste anklopfte. Sie öffnete ihm, und er machte der Fremden ein tiefes Compliment. – Hahaha! sagte er lächelnd, das ist vermuthlich der schöne Dieb? Hahaha! Nicht wahr, ma petite femme? – Die Oberstin erröthete und die Fremde empfahl sich, ohne ein Wort zu sagen.

Quelle:
Christian Althing: Dosenstücke, Rom; Paris; London [o.J.], S. 38-40.
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