Viertes Capitel.

Die Operation.

[9] Vor allen Dingen muß ich sagen, daß unsere Wohnstube zwey Eingänge hatte, einen durch das Haus, den andern durch den Laden.

Mein Vater war nach L. gegangen, um neue Waaren einzukaufen, und die Stiefmutter ließ mich wider Vermuthen die ganze Zeit im Laden. Eines Abends, als ich eben zugemacht hatte, wollt' ich durch die eine Thüre in die Stube gehen, fand sie aber beyde verschlossen. Da ich zu gleicher Zeit einen Degen fallen und meine Stiefmutter ächzen hörte, so erschrack ich außerordentlich. Nun war über der kleinen Thüre ein Fensterchen angebracht,[10] ich nahm also die Ladenleiter und stieg hinauf.

Die Stube war sehr schwach erleuchtet; gleichwohl konnte ich sehen, daß meine Mutter mit einem Dragoner auf dem Kanapee lag. Er hatte sie völlig zu Boden geworfen, hielt sie mit beyden Armen umfaßt und schien sie zu würgen. Sie zerarbeitete sich heftig unter ihm, und stöhnte und ächzte gleich einer Sterbenden.

»Herr Jesus! – Herr Jesus!« – rief ich im höchsten Entsetzen außer mir – »Hülfe! Hülfe! Mörder, Mörder!« und stieß so stark an die Thüre, daß sie aufsprang und ich mit der Leiter hinein fiel. Noch ehe ich Zeit hatte, mir aufzuhelfen, stand meine Mutter vor mir und schlug mit beyden Fäusten auf mich los.

»Verfluchte Carnalige! Was schreyts denn? Kennt der Racker denn den Herrn Feldscheer[11] nicht? Siehst du nicht, daß er mich operirt?« – Ich sahe mich nach ihm um, aber er war zur Thüre hinaus.

Blutend entriß ich mich den Händen meiner grausamen Stiefmutter, und flüchtete auf mein Kämmerchen. Es war ein scheuslicher Anblick, sie vor mir zu sehen. Ihre Haare waren zerstreut, ihr Halstuch war abgerissen, sie stand ohne Rock und Schürze da. Was das für eine Operation gewesen war, weiß ich nicht, ich sah bloß, daß ihr der Schaum vor dem Munde stand und ihre Augen wie Katzenaugen glänzten.

Quelle:
Christian Althing: Hannchens Hin- und Herzüge nebst der Geschichte dreyer Hochzeitsnächte. Leipzig 21807, S. 9-12.
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