Neuntes Capitel.

Lügen.

[22] Als ich ins Wirthshaus trat, kam mein Vater heraus. – Ich dachte, der Donner schlüge neben mir ein; dennoch hatte ich Geistesgegenwart gnug, ihm den Rücken zuzukehren. Zitternd machte ich die Stubenthüre auf, und dachte alle Minuten, er würde hineinkommen und mich erkennen. Aber ich hörte gesprächsweise, daß der Krämer fort wäre, und wünschte mir Glück, gerade in diesem Augenblicke gekommen zu seyn.

»Nun Musje« – sagte der dicke Wirth – »Will's was essen?« und zu gleicher Zeit brachte mir seine Frau einen gehäuften Teller[23] mit Braten und Salat. Sie sah mich dabey so freundlich an, daß ich wieder lachte. –»Wo kommt er denn her, Musje?« – fragte sie. – »Aus dem Gebirge!« – gab ich zur Antwort. – »Wo will er denn hin?« – »Nach D.« – »Und so ganz allein! so ein blutjunges Bürschchen.« – »Ja meine Aeltern sind abgebraunt« – log ich frischweg, denn der Braten hatte mir Muth gegeben. –

In dem Augenblicke kam eine Kutsche mit vier Pferden gefahren. Die Wirthin lief an die Thüre; ich besah mich auf einem Huy im Spiegel und war vollkommen mit meiner Figur zufrieden.

»Das geht gut« – sagte ich. – »Nur Courage! Ehe meine goldne Kette und meine sechs Thaler alle werden, kann ich bis nach Constantinopel kommen.« Dabey ließ ich mir das Essen vortreflich schmecken, als die Thür ausging, und die Fremden hereintraten.

Quelle:
Christian Althing: Hannchens Hin- und Herzüge nebst der Geschichte dreyer Hochzeitsnächte. Leipzig 21807, S. 22-24.
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