Viertes Capitel.

Die Einladung.

[201] Ich trank so eben mein letztes Glas Orgeade aus, als mich jemand sanft beym Arme faßte. Als ich mich umdrehte, sahe ich eine Schäferin,[201] die mir ein kleines Zettelchen in die Hand drückte. Ich nahm es, und sie verschwand.

»Was ist denn das?« – sagte ich, eröffnete es, und fand einige Zeilen mit Bleistift geschrieben: – »Kommen Sie in das Nebenzimmer! Eine Ihrer Freundinnen erwartet Sie« – Sie betrügt sich, dachte ich, aber meine Neugierde und meine Eitelkeit ließen mich nicht lange wählen.

»Liebster N–« – sagte sie, als ich hineintrat – »endlich kann ich Sie einmal sprechen. Durch G–« – so hieß der Maskenvermiether – »habe ich Ihren Anzug erfahren. – Ich weiß, Sie verzeihen meiner Liebe. – Wir haben uns oft gesehen; aber meine Verhältnisse« –

Ich war boshaft genug, mich sanft zu verbeugen, und ihre Hand zu drücken.[202]

»Sie verstehen mich, mein süßer Freund! – Sie haben Mitleid mit mir – Sie kennen meine Lage – Wenn Sie meine Empfindungen theilen, so entziehen Sie mir nicht den Trost« – –

Sie fing an mich zu interessiren, ich führte ihre Hand zu meinen Lippen, und sie drückte sie heftig dagegen.

»Ich bin ein unglückliches Weib!« – fuhr sie fort – »Aber vielleicht sollte mir's dennoch gelingen, einen Freund« – –

Sie brach ab und seufzte. Ihr schöner Busen hob sich sichtbar, und ihr Arm sank auf den meinigen.

»Rechnen Sie ganz auf mich, meine Gnädige!« – sagte ich mit verstellter Stimme, ohne an meine Unvorsichtigkeit zu denken, und mit geheimer Freude eine Nebenbuhlerin zum besten zu haben.[203]

»Aber wir sind hier genirt!« – fuhr sie fort, und drückte mir die Hand mit Inbrunst – »Ich habe den Schlüssel zu einem kleinen Cabinette auf dem andern Flügel! – Ich würde Ihnen vorschlagen« –

»Lassen Sie uns eilen, meine Gnädige!« – sagte ich meiner Rolle gemäß; denn der Punsch hatte mich unternehmend gemacht – »Aber man kennt meine Maske!« – »Warten Sie!« – antwortete sie freudig – »Ich werde Ihnen sogleich ein Domino schicken!« –

Ich sah, daß es eine Dame von Stande seyn mußte, weil sie über Cabinetter und Nebenzimmer disponiren konnte. Auch erinnerte ich mich gehört zu haben, daß die vornehmen Damen sehr aufrichtig wären. – Alles das schmeichelte meine Eitelkeit. – »Ich will doch sehen, was da herauskommen wird!« – dachte ich. In dem Augenblick brachte mir ein Knabe ein Domino mit Zubehör;[204] ich warf es über, gab ihm meinen Turban, und folgte ihm.

Quelle:
Christian Althing: Hannchens Hin- und Herzüge nebst der Geschichte dreyer Hochzeitsnächte. Leipzig 21807, S. 201-205.
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