Erstes Capitel.

Geheimnisse.

[55] »Nun was hat dir denn geträumt, lieber Gustel?« – sagte Lorchen am andern Morgen, und knipp mich freundlich in die Backen. – »Gar nichts!« – gab ich zur Antwort, und wurde feuerroth.

Ach wie hätte ich ihr's auch sagen können, da ich kaum wagte, mir's selber zu gestehen. Ich hatte ihn gesehen und liebte ihn. Wer war glücklicher als ich? Nie ist ein Dienst entzückter angetreten worden. Ich konnte ihn sehen, ich konnte zu jeder Minute um ihn[55] seyn, auch er schien sich über mich zu freuen. Ach er hatte die ganze Nacht vor meinen Augen gestanden, und sein reizendes Bild erfüllte mein ganzes Herz.

Nichts verschönert so sehr, als die Liebe. Auch Lorchen schien entzückt über meine Gestalt. – »Ich soll meinem Gustel Hemden machen!« – sagte sie – »und den Nachmittag wird auch der Schneider kommen. – Laß doch sehen, du kleiner Schelm!« – indem sie mir nach dem Arme griff, und ein Bändchen um den Knöchel legte. – »Wie weit muß ich dir denn die Aermel machen?« – Sie drückte meine Hand an ihr Herz, und schlug die Augen nieder; aber ich dachte an Junker Adolph.

»Und der Hals?« – fuhr sie fort, – faßte mich sanft unter das Kinn, und legte ihr Bändchen an. – »Was er für weiße Haut hat« – sagte sie nach einer Pause und küßte[56] mich auf die Lippen. – »Nun will ich auch recht fleißig nähen, und wenn der Schneider deine Sachen bringt, dann wollen wir dich recht anputzen? – Nicht wahr, lieber Gustel? – Aber du mußt mir auch recht gut seyn« – indem sie mich fest an sich drückte – »ich habe dich gewiß recht lieb, gewiß.« – Die hellen Thränen standen ihr in den Augen, ich wurde gerührt, und bedauerte von ganzem Herzen, daß ich kein Junge war. –

Quelle:
Christian Althing: Hannchens Hin- und Herzüge nebst der Geschichte dreyer Hochzeitsnächte. Leipzig 21807, S. 55-57.
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