Zehntes Capitel.

Betrachtungen.

Nein, es ist unmöglich, glücklicher zu werden, als ich es damals war. Meinen Geliebten stündlich zu sehen, ihn bey tausend Gelegenheiten zu berühren, die Gefährtin aller seiner Beschäftigungen, aller seiner Vergnügungen zu seyn – wo ist ein Mädchen[81] von funfzehn Jahren, die mich nicht beneiden würde?

Ich kleidete ihn aus und an, meine Hände ruhten minutenlang auf seinen schönen Gliedern; meine Augen verschlangen seine Reize. Wie oft war ich im Begriff, seinen Nacken zu küssen, wenn ich ihm das Halstuch umband: wie oft zitterten meine Finger an seinen Achseln, wenn ich ihm das Hemde reichte; wie oft klopfte mein Herz vor innerlichem Verlangen, wenn ich ihn im Bette weckte!

Süße entzückende Schwärmerey der ersten Liebe! Alles war mir theuer an ihm. Stundenlang konnte ich seine Kleider auf meinem Schooße halten; unzähligemal küßte ich die Stelle, wo er geschlafen hatte; meine Phantasie fand tausend Mittel, sich zu entschädigen. Ein Wink von ihm, und ich wäre durchs Feuer geflogen; ach ich hatte keinen Genuß,[82] als ihm zu dienen; keinen Wunsch, als ewig bey ihm zu seyn.

Soviel Eifer, soviel Anhänglichkeit erwarb mir auch seine Freundschaft. Zwar nahm er mich für das, was ich schien; er liebte nur den Knaben; aber er liebte mich herzlich. Sein ruhiger Ton, seine männlichen Gefühle machten mir ihn um so theurer; ach ich hatte ja nur immer ein Mädchenherz!

So vergingen Wochen und Monate, und meine Gestalt entwickelte sich zusehends. Ich erhielt tausend Beweise weiblicher Zuvorkommung, aber wie hätte ich sie erwiedern können! Lorchen liebte mich unaussprechlich; ich erkannte ihre Zärtlichkeit an der meinigen; jedes Wort, jede Mine war aus meinem Herzen genommen, dennoch hatte ich nichts als Freundschaft für sie. Sie hatte mein Glück gemacht, sie hatte mir einen Geliebten gegeben, aber es war unmöglich, der ihrige zu seyn.

Quelle:
Christian Althing: Hannchens Hin- und Herzüge nebst der Geschichte dreyer Hochzeitsnächte. Leipzig 21807, S. 81-83.
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