1. Meiner Mutter

[67] Wozu denn das ewige Sorgen,

lieb Mütterchen! gib es doch auf!

Sorgen macht alles nur schlimmer

und ändert doch nichts im Lauf!

Auf deine alten Tage

möcht ich, daß froh du wärst

und nicht mit Gedanken um uns,

deine Kinder, das Herz dir beschwerst.


Du hast dich in deinem Leben

wahrlich genug gesorgt,

du gabest mit Zinseszins ihm

zurück, was es dir geborgt ...

Du bist bald siebzig Jahre

und mich dünkt, du hättest nun[67]

nicht bloß ein Recht mehr, nein,

auch die Pflicht, dich auszuruhn.

Du trugest Leid und Schmerzen,

ohn daß sich ein Wort dir entrang,

du gingest mit schwerem Herzen

so manchen schweren Gang ...

und als der Vater erblindet,

die ganze, lange Zeit,

du wurdest nie müde in treuer

frohwilliger Freudigkeit!

Nur als er dann starb, da freilich

wurde merklich weißer dein Haar,

doch deine Liebe zu uns

blieb so jung, wie sie immer war.

Und nun sind wir groß geworden

und wanderten in die Welt,

und ein jedes hat sich fürs Leben

sein gutes Ziel gestellt ...

Du aber, lieb Mütterchen, gib jetzt

dein Sorgen endlich auf,

Sorgen sieht alles nur schwärzer

und ändert doch nichts im Lauf!


Du weißt ja, wir haben niemals

Arbeit und Umtrieb gescheut,[68]

wir haben, im Gegenteil, immer

uns jeglicher Mühe gefreut,

und wenn auch nicht alles ging,

wie man wünschte, es möchte gehn,

so blieb doch keines mutlos

oder müßig am Markte stehn.

Wir haben uns, Gott sei Dank,

immer selber zu raten vermocht,

und schlug auch vieles fehl,

hat uns doch nichts unterjocht.

Daß einem das Herz einmal schwer

und daß man weniger froh,

das will nichts heißen, Mutter,

das geht einem jeden so.


Man hätte mitunter ja manches

leichter und schneller erreicht,

wenn man weniger.. stolz gewesen

und rücksichtsloser vielleicht,

und wenn ... ja, ja, wenn du früher

nicht immer so abgewehrt,

wenn der Vater warnen wollte:

›Güte hätte gar keinen Wert,

und Bescheidenheit und dergleichen

sei ja ganz schön fürs Haus,[69]

draußen im Leben doch gälte

nur Vorteil und nur Faust!

Seid ohne Arg wie die Tauben,

sag eine alte Lehr,

aber: auch klug wie die Schlangen,

setze sie gleich hinterher.‹

Es hätte uns manche Enttäuschung

erspart und manche Gefahr ...

und doch, ich möchte nicht anders

gewesen sein als ich war,

denn auf die Dauer ist's doch nichts

mit allzuleichtem Gewinn ...

ich warte gern und möchte

nicht anders sein, als ich bin!


Aber drum laß auch dein Sorgen,

du weißt nicht, wie stark mein Arm!

wie zuversichtfröhlich und reich

mein Herz in der Brust und wie warm!

Und ob auch manche Blüte

von Wetterschlag verheert,

das Lied meiner Jugend hat mir

nicht Blitz, noch Frost zerstört!

und noch grüßt blaurotflammend

der Stern vom leuchtenden Pol,[70]

wie damals vor Jahren, als ich

zum erstenmal sagte Lebwohl!

Nur zweifeln darfst du nicht, Mutter,

das nimmt die Zuversicht ...

und Siegvertrauen muß haben,

wer da im Kampfe ficht.


In lodernder Schönheit Prangen

liegt offen vor mir die Welt,

verkämpft ist und überwunden

was lang mir die Jahre vergällt,

die Ketten, die mich gebunden,

liegen zersplittert im Grund,

frei bin ich, Mutter, und stark

und freudig und jung und gesund,

und in goldenen Morgenfeuern

glänzt sonnenhell mein Ziel ...

und wer sich so stark fühlt, Mutter,

für den ist Kampf nur Spiel!

Quelle:
Cäsar Flaischlen: Gesammelte Dichtungen. Band 2: Aus den Lehr- und Wanderjahren des Lebens. Stuttgart 1921, S. 67-71.
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