Vorbemerkung

Diese »Lehr- und Wanderjahre« bilden eine Art Ergänzung zu den zwei Jahre früher erschienenen Prosagedichten »Von Alltag und Sonne« und enthalten eine Sammlung von Gedichten aus den Jahren 1899.

Freunde sagten mir, es habe etwas Bedenkliches, in einer Zeit so schneller Entwicklungen und so reicher lyrischer Ernte Gedichte zum Druck zu bringen, deren Entstehung zehn und fünfzehn Jahre zurück liegt.

Ich gebe das gerne zu. Ich habe selbstverständlich jedoch nur Gedichte aufgenommen, denen diese Wartezeit meiner Meinung nach nichts angehabt hat. Abgesehen davon aber war und ist es mir nicht darum zu tun, einen Band zu veröffentlichen, der sich von dieser oder jener augenblicklichen Richtung tragen lassen will.

All die Ismen, für die so leidenschaftlich gekämpft wurde, als ob es Wesensgrundsätze wären, blieben bei Licht besehen ganz in äußerlichen technischen Fragen stecken. Der wirklich Schaffende schafft nur sich, und jeder Ismus darf und wird ihm lediglich Mittel sein und nicht Zielsatz. Die ewige große Verwechslung! Man posaunt ein einzelnes Kunstmittel zum Kunstziel empor und streitet um den Kerl auf der Bühne, und das Wesentliche ist doch der hinter der Bühne.

Es war mir nur darum zu tun, was mir geglückt schien,[5] zu einem Bande zu vereinigen unter dem Gesichtspunkt der Lebensentwicklung, die sich aus den Gedichten selbst ergibt. Ich möchte daher auch, daß das Buch, wenigstens von denen, die mir näher stehen, in diesem Sinn genommen würde: als ein Ganzes und im Zusammenhang auch mit meinen andern Dichtungen.

Es enthält die Auf- und Ab-Stimmungen, die in dieser oder jener Weise schlechterdings jeder einmal lebt, da jeder einmal 20 Jahre ist und dann 25 und 30 und 35 wird. Denn unsere Lebensgänge sind nicht so verschieden, als ihre äußere Verschiedenheit scheinbar dartut. Die Seele lebt im letzten Grunde immer und in jedem das gleiche Leben, nur die Gesichter sind verschieden und die Hüte, die man trägt.

Die Innenwelt kämpft überall den gleichen Kampf und freut sich überall der gleichen Freude.

So verstanden objektiviert sich auch das Individuellste und Persönlichste zum Allgemeinen und Typischen.

Der Schaffende kann nur sich selbst geben, wenn er sich nicht damit genügen will, bloß Außenbilder zu zeichnen. Er begreift nur aus sich heraus, nicht in sich hinein.

In dieser Richtung liegen zugleich die beiden großen Grundgebiete alles dichterischen Schaffens.

Das eine baut auf dem Leben der Innenwelt auf, das sich nach außen hin zu vollbringen und auszugestalten sucht und dabei zu stetem Kampf gezwungen ist, das andere auf der wirklich errungenen oder nur bei Seite geschobenen Überwindung dieses Gegensatzes.

Was uns not tut, ist eine Kunst mit den Zielen der Kunst Goethes und der Kunst Schillers: die Kunst einer bestimmten, festen Weltanschauung, nicht die irgend eines Ismus.[6]

Es gilt für das Leben zu schaffen, nicht für technische Seiltänzereien! Freilich ohne darin stecken zu bleiben. Aus ihm heraus und darüber hinaus ... sowohl über Grau als über Blau. Wir brauchen eine Kunst, die lebbar ist, die mit hilft, aus dem Kampf, in dem wir alle liegen, hinauszufinden, und die uns vorbildlich vorangeht. Mit Genrebildchen und Ansichtspostkarten, mit Anekdoten und Novellchen ist nichts getan.

Unsere Dichtung – ich bekenne mich herzlich gerne zu dem verrufenen, ›Soll!‹ – muß allmählich wieder ›moralisch‹ werden, im Sinne Schillers. Alle große Kunst war es, und ganz implicite.

Und noch eines:

Das alte schöne Wort ›Dichter‹, das man in Kinderjahren mit der höchsten Weihe umgibt, kommt immer mehr außer Kurs und verliert immer mehr seine alle Gipfel umfassende Bedeutung, da sich unsere besten Könner bewußt oder unbewußt immer ausschließlicher auf irgend ein Sondergebiet zurückziehen.

Nach außen hin leistet dies einer längst zu Torheit gewordenen Ästhetik Vorschub, die eine Scheidung zwischen dramatischem, epischem und lyrischem Schaffen festlegte und jedes Gebiet für eine besondere Begabung abgrenzte.

Ich meine, wer was kann, kann nicht bloß als Lyriker, kann auch als Epiker und als Dramatiker etwas, wenn er wirklich will, und das heißt: wenn er sich auf seinen Stuhl setzt und nicht etwa denkt, den Seinen gäbe es der Herr im Schlaf, und Talent und Genie sei etwas, wofür man selber eigentlich nichts könne. Denn es gibt keine Wesensunterschiede zwischen dramatischem, novellistischem oder lyrischem Schaffen.[7]

Entweder es ist Einer Dichter und dann kann er, wenn er nicht vor erlernbaren kleinen technischen Griffen zurückschreckt, ebenso gut mit Pinsel als mit Stichel oder Feder bis zu der Höhe, bis zu der er überhaupt kann, oder er kann überhaupt nicht zu einer Höhe.

Wendet man ein, daß dies alles vielleicht mehr Charakterals Kunstsache sei – gut! Dann aber fehlt es eben an Charakteren. Virtuosen können sie nicht er setzen.

Es wäre mir daher eine Art Genugtuung, wenn dieses Bändchen Gedichte allen, die mich unter die Lyriker einreihen, den Beweis gäbe, daß ich es in ihrem Sinne weder war noch bin.


Auf Mönchgut September 1899.


Cäsar Flaischlen.

Quelle:
Cäsar Flaischlen: Gesammelte Dichtungen. Band 2: Aus den Lehr- und Wanderjahren des Lebens. Stuttgart 1921, S. 5-8.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Aus den Lehr- und Wanderjahren des Lebens
Aus Den Lehr- Und Wanderjahren Des Lebens (Paperback)(German) - Common
Aus den Lehr- und Wanderjahren des Lebens