26. [So dacht ich auch einst]

[173] So dacht ich auch einst: was ich träumte

in Frühlingsfülle müsse es ein Mai

ausschütten über mich aus goldenem Horn

und eines Morgens oder eines Abends müßten

plötzlich

die Berge auseinandergehn, durch die ich rang,

und alles köstlich in Erfüllung stehn,

in Glanz und Klang.


Und Jahr um Jahr kam und verrann

und Ferne über Ferne hüllte

sich auf ... nicht eine aber erfüllte,

was meine Sehnsucht hinter ihre Schleier spann!


Nun wart ich längst nicht mehr

auf solche Märchentage

und glaube wie ein töricht Kind

mein bestes Können in den Wind!
[174]

Ich will vom Leben nichts geschenkt mehr haben!

ich schaff mir selbst, was ich mir wünsche!

Tat ist Erfüllung, nicht Gebet:

die Ferne reift nur, was die Nähe sät!


Ich nehme mir, was ich vom Leben will ...

ich will vielleicht so viel nicht mehr wie früher,

doch lachend steht es und hält still

und blüht mir seinen Überfluß entgegen

in reicherer Fülle, als ich je geträumt![175]

Quelle:
Cäsar Flaischlen: Gesammelte Dichtungen. Band 2: Aus den Lehr- und Wanderjahren des Lebens. Stuttgart 1921, S. 173-176.
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